Die deutsche Justiz sieht sich in weiten Teilen an der Belastungsgrenze. Dies hat eine Umfrage der Presseagentur dpa Anfang des Jahres ergeben. Danach sehen sich Richter und Staatsanwälte trotz zwischenzeitlicher Personalaufstockung vielerorts "am Anschlag". Grund sei der erhebliche Personalmangel in den meisten Bundesländern, der weitreichende Konsequenzen für das gesamte Justizsystem habe: So ächzen Behörden und Gerichte unter einer Klageflut etwa bei Asylverfahren. Wegen des Fehlens von Staatsanwälten und Richtern ziehen sich Strafverfahren oft in die Länge oder müssen eingestellt werden, die Strafvollzugsanstalten sind in manchen Bundesländern überbelegt. Immer häufiger wird auch berichtet, dass Verdächtige auf freien Fuß gesetzt werden müssen, weil Verfahrensfristen nicht eingehalten werden können.
"Die Arbeitsbelastung insbesondere in der Strafjustiz ist enorm hoch", wird der Geschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, zitiert. Nach seiner Meinung haben sich vor allem die Staatsanwaltschaften zum Nadelöhr bei der Strafverfolgung entwickelt. Sein Verband hat berechnet, dass zzt. in Deutschland rund 2.000 zusätzliche Richter- und Staatsanwaltsstellen benötigt werden.
Dies liegt laut Richterbund auch daran, dass die Strafverfahren heute häufig viel aufwändiger als noch vor 10 oder 20 Jahren sind. Sie haben nicht selten Auslandsbezüge und richten sich gegen international verzweigte Tätergruppen. Die auszuwertenden Datenmengen haben sich vervielfacht und nicht selten fallen deshalb in den Strafverfahren Hunderte Stehordner und mehrere Terabyte Daten an.
Die Länder haben zwar inzwischen begonnen, ihre Justizbehörden personell und finanziell aufzustocken, dennoch ist der dpa-Umfrage zufolge damit das Defizit nur verringert, nicht jedoch behoben worden. Ob dies dem neuen "Pakt für den Rechtsstaat" zwischen dem Bund und den Ländern (vgl. dazu etwa ZAP Anwaltsmagazin 23/2018, S. 1201) gelingt, ist offen. Denn nicht nur die Justiz ringt um geeigneten Juristennachwuchs, auch die Wirtschaft lockt junge Jura-Absolventen mit attraktiven Konditionen. Da in Zeiten der Vollbeschäftigung der "Job-Garantie" eines Beamtenverhältnisses nicht mehr das gleiche Gewicht zukommt wie früher, zieht es heute viele Jungjuristen nach ihrem Abschluss direkt in ein Unternehmen, wo hohe Einstiegsgehälter und Aufstiegsmöglichkeiten winken.
Noch verschärfen könnte sich die Situation von der anrollenden Pensionierungswelle in der Justiz. Bis zum Jahr 2030 gehen bundesweit laut Deutschem Richterbund etwa 40 % aller Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand. Vielfach wird bezweifelt, dass diese Stellen im nötigen Umfang rechtzeitig neu besetzt werden können. Die Politik habe dieses Problem viel zu lange verdrängt, lautet die Kritik. Und es sieht nicht danach aus, dass sie jetzt konsequent gegensteuert: Im Moment streiten Bund und Länder um die Finanzierung des "Pakts für den Rechtsstaat", denn die Länder möchten, dass sich der Bund langfristig auch an der Finanzierung der Länderjustizbehörden beteiligt (vgl. zuletzt ZAP Anwaltsmagazin 23/2018, S. 1202)
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