Als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt schränkt die Baugenehmigungspflicht die aus Art. 14 GG folgende Baufreiheit formal ein. Denn stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften dem genehmigungspflichtigen Vorhaben nicht entgegen, so hat der Antragsteller einen gebundenen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung (vgl. § 72 MBO). Dieser Anspruch wandelt sich erst dann in einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn mit der Baugenehmigung eine Ausnahme (§ 31âEUR™Abs. 1 BauGB) oder ein Dispens (§ 31 Abs. 2 BauGB) begehrt wird.
a) Tatbestandliche Voraussetzungen für den Erlass einer Baugenehmigung
aa) Genehmigungspflichtiges Vorhaben
Das Vorhaben, welches genehmigt werden soll, muss zunächst genehmigungspflichtig sein. Grundsätzlich bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen einer Baugenehmigung (vgl. § 59 MBO). Bestimmte Bauvorhaben sind von Gesetzeswegen genehmigungsfrei oder lediglich anzeigepflichtig (vgl. §§ 60–62, 76 und 77 MBO). In einer solchen Situation muss der Bauherr zwar erforderliche Unterlagen (z.B. Baupläne) einreichen, darf mit dem Bauvorhaben allerdings nach einer kurzen Frist – häufig ein Monat – nach Eingang der Unterlagen beginnen, solange nicht die Durchführung eines Baugenehmigungsverfahren von der zuständigen Behörde verlangt wird (vgl. § 62 Abs. 3 S. 2 MBO).
Hinweis:
Besteht zwischen dem Bauherrn und der Bauaufsichtsbehörde Streit darüber, ob eine Genehmigungsfreiheit besteht, kann der Bauherr dies im Wege einer Feststellungsklage gerichtlich klären lassen.
Der Abbruch bzw. Abriss einer baulichen Anlage ist nicht in allen Bundesländern genehmigungsbedürftig. Häufig sind in diesem Zusammenhang auch Vorschriften zur Verfahrensfreistellung oder lediglich Anzeigepflichten einschlägig.
Bauliche Anlagen sind in den Landesbauordnungen legal definiert. Danach sind baulichen Anlagen mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen; eine Verbindung mit dem Boden besteht auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Boden ruht oder auf ortsfesten Bahnen begrenzt beweglich ist oder wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden (vgl. § 2 Abs. 1 MBO). Zudem finden sich in den Landesbauordnungen weitere Regelbeispiele, die als bauliche Anlage zu bewerten sind (z.B. Aufschüttungen, Abgrabungen, Lagerplätze, Sport- und Spielflächen, Campingplätze, Freizeit- und Vergnügungsparks, Stellplätze für Kraftfahrzeuge, Gerüste).
Unter Errichtung wird die erstmalige Herstellung eines Bauwerks oder die Wiederherstellung einer zerstörten Anlage verstanden. Die Änderung setzt eine Umgestaltung des vorhandenen Baubestands in seiner Substanz voraus (z.B. Um- oder Ausbau). Da eine erteilte Baugenehmigung auch eine konkrete Nutzung der baulichen Anlage genehmigt, bedarf die Nutzungsänderung einer erneuten Genehmigungsentscheidung der Baubehörde. Im Unterschied zur genehmigungspflichtigen Änderung bleibt die Bausubstanz bei der Nutzungsänderung unverändert. Lediglich der Zweck, dem die bauliche Anlage bisher diente, wird geändert. Um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung von einer geringfügigen Änderung, die noch von der Variationsbreite der bisherigen Nutzung abgedeckt ist, abzugrenzen, kommt es darauf an, ob die neue Nutzung möglicherweise zu einer bauplanungs- oder bauordnungsrechtlichen Neubewertung führt.
Beispiel:
Die Umnutzung einer Gaststätte mit Wohneinheiten in eine Arbeiterunterkunft stellt eine Nutzungsänderung dar, da die Nachfolgenutzung gegenüber der vorhergehenden Nutzung anderen oder weitergehenden brandschutzrechtlichen Bestimmungen unterliegt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 16.11.2018 – OVG 2 S 48.18, juris).
bb) Formelle Voraussetzungen
Die Baugenehmigung ist ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt (vgl. § 68 Abs. 1 MBO), sodass die zuständige Bauaufsichtsbehörde das entsprechende Verwaltungsverfahren erst beginnen darf, wenn ein entsprechender Antrag vorliegt (§ 22 Nr. 2 VwVfG).
Hinweis:
Ob der Bauherr einen Bauantrag stellt, entscheidet er seinem Willen entsprechend allein. Er trägt, wenn er sich gegen einen Bauantrag entscheidet, das Risiko, dass die Bauaufsichtsbehörde die Verwirklichung oder die Nutzung eines nicht genehmigten Vorhabens, das sie für genehmigungsbedürftig hält, durch eine Ordnungsverfügung unterbindet, bis er einen Bauantrag zur Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit desâEUR™Vorhabens vorlegt und ihm eine entsprechende Baugenehmigung erteilt wird (OVG NRW, Beschl. v.âEUR™1.3.2022 – 10 B 1212/21, juris).
cc) Materielle Voraussetzungen
Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (§ 72 Abs. 1 MBO). Neben den bauplanungs- und den bauordnungsrechtlichen Anforderungen können auch andere öffentlich-rechtliche Vorschriften für die Genehmigungserteilung maßgeblich sein (z.B. wasserrechtliche, immissionsrechtliche, naturschutzrechtliche Anforderungen). Da die Baugenehmigung sachbezogen ist, fallen personenbezogene Genehmigungen von vornherein nicht in den Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde.
B...