1. Übertragung des Sorgerechts
a) Kindeswille
Das Wohl des Kindes ist auch bei Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung des Sorgerechts gem. § 1671 BGB auf nur einen Elternteil oberste Richtschnur. Dem Willen des betroffenen Kindes ist besondere Beachtung zu schenken.
Das BVerfG (FamRZ 2021, 1201) führt hierzu aus, dass das Kind als Wesen mit eigener Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit unter dem besonderen Schutz des Staates steht. Jede gerichtliche Lösung eines Konfliktes zwischen den Eltern, die sich auch auf die Zukunft des Kindes auswirkt, muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Sorgerechtsentscheidungen müssen den Willen des Kindes einbeziehen. Die Gerichte haben ihr Verfahren deshalb so zu gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können. Ein vom Kind kundgetaner Wille kann Ausdruck einer Bindung zu einem Elternteil sein, der es geboten erscheinen lassen kann, ihn in dieser Hinsicht zu berücksichtigen. Diesem Aspekt kommt mit zunehmendem Alter des Kindes vermehrt Bedeutung zu.
Es ist jedoch gerechtfertigt, den Kindeswillen nicht zu berücksichtigen, wenn er beeinflusst worden ist und die manipulierten Äußerungen des Kindes die wirklichen Bindungsverhältnisse unzutreffend wiedergeben. Ein Kindeswille kann auch dann unbeachtlich sein, wenn dessen Befolgung mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist und zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde.
b) Entziehung des Alleinsorgerechts
Wird einem Elternteil, dem die elterliche Sorge gem. § 1620a Abs. 3 oder § 1671 BGB allein zustand, die elterliche Sorge entzogen, so hat das Familiengericht die elterliche Sorge dem anderen Elternteil zu übertragen, wenn dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht.
Das OLG Bremen (FamRZ 2021, 1048) weist darauf hin, dass in solchem Falle eine sog. negative Kindeswohlüberprüfung vorzunehmen ist. Die Übertragung kann nicht nur dann ausscheiden, wenn sie kindeswohlgefährdend wäre, sondern schon dann, wenn ihr weniger gewichtige Nachteile für das Kind entgegenstehen. Im entschiedenen Fall hat das Gericht eine Sorgerechtsübertragung auf den Kindesvater als dem Kindeswohl widersprechend erachtet, wegen deutlich eingeschränkter Erziehungsfähigkeit des Kindesvaters und fehlenden Bindungen zu dem seit 20 Monaten fremdplatzierten vierjährigen Kind.
2. Angelegenheit von erheblicher Bedeutung
Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinschaftlich zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so ist gem. § 1687 BGB bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich.
Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, kann gem. § 1628 S. 1 BGB das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen.
a) Begriff – Schulischer Schnelltest
Die Abgrenzung zwischen Alltagsangelegenheiten und Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung hat sich – wie das OLG Bamberg (FamRZ 2021, 1537) ausführt – an der Legaldefinition des § 1687 Abs. 1 S. 3 BGB zu orientieren. Danach sind Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens i.d.R. solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Im Umkehrschluss dazu sind Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung diejenigen, die nicht mehr diesen Anforderungen entsprechen. Bei der Teilnahme an einem schulisch veranlassten COVID-19-Schnelltest handelt es sich, aufgrund des möglichen Ausschlusses des Kindes vom Präsenzunterricht, um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung.
b) Entscheidungsbefugnis für Corona-Impfung
Nach allgemeiner Meinung ist die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen generell eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung (vgl. BGH, FamRZ 2017, 1057).
Da es sich bei der Impfung um einen ärztlichen Eingriff i.S.d. § 630d BGB handelt, ist bei einer vorhandenen Beurteilungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes, dessen Einwilligung erforderlich. Daneben bedarf es aber eines Co-Konsenses mit den sorgeberechtigten Eltern. Die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ist nach einem Beschluss des OLG Frankfurt (FamRZ 2021, 1533 m. Anm. Lipp, MDR 2021, 1271, NJW 2021, 2051) bei einer vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die ständige Impfkommission und bei einem die Impfung befürwortenden Willen des (hier fast 16-jährigen) Kindes auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet. Zur Frage der Impffähigkeit bedarf es im sorgerechtlichen Verfahren keines medizinischen Gutachtens, da eine ärztliche Prüfung vor der jeweiligen Impfung erfolgt.
Das OLG München (FamRZ 2021, 1980) stellt klar, dass eine Entscheidung über die Verabreichung von Impfungen sinnvollerweise nur einheitlich zu treffen ist. Die Übertragung der Entscheidungsbefugnis für eine Covid-19-Impfung umfasst daher neben der Erst- und Zweitimpfung auch eine von der STIKO empfohlene Auffrischungsimpf...