Ende November debattierten Sachverständige und Abgeordnete in einer öffentlichen Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses intensiv über eine mögliche Neuregelung des assistierten Suizids und der Sterbebegleitung. Anlass der Anhörung waren drei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe von Abgeordnetengruppen im Bundestag in Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020. Darin hatte das Gericht das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig erklärt (vgl. ZAP EN-Nr. 174/2020; s. auch Anwaltsmagazin, ZAP 2020, 282).
Nach der vom Verfassungsgericht verworfenen Regelung konnte sich strafbar machen, wer geschäftsmäßig die Selbsttötung eines anderen fördert. Auf ein kommerzielles Interesse kam es dabei nicht an, als geschäftsmäßig galt ein auf Wiederholung angelegtes Handeln. Die Abgeordneten hatten seinerzeit dabei u.a. das Wirken von Sterbehilfe-Organisationen im Blick. Dem gesetzlichen Verbot hielt das Verfassungsgericht entgegen, dass die Verfassung ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben” umfasse und dafür auch die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Die Schutzpflicht des Staates für die Autonomie Suizidwilliger sowie für das Leben könne grds. eine strafrechtliche Regelung des Sachverhalts rechtfertigen. Allerdings habe die vom Bundestag beschlossene Regelung die Möglichkeiten eines assistierten Suizids so sehr eingeschränkt, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibe, stellten die Verfassungsrichter:innen ihrerzeit fest.
In den nun vorgelegten, neuen Gesetzentwürfen schlagen alle drei Vorlagen einen Weg vor, wie Sterbewillige Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen können. Die Entwürfe eint dabei, dass sie auch den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten regeln. Zudem sind in allen Entwürfen Beratungspflichten, wenn auch in stark divergierendem Umfang, vorgesehen, bevor ein tödliches Medikament verschrieben werden darf. Der wesentliche Unterschied zwischen den Entwürfen liegt darin, wie sehr sie das postulierte Recht auf selbstbestimmtes Sterben bzw. die Schutzpflicht für die Autonomie und das Leben ausgestalten wollen; daraus folgt auch ein unterschiedlicher Bezug zum Strafrecht.
Besonders letzteren betonte einer der Entwürfe, der von einer Parlamentariergruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) vorgelegt wurde; sein strafrechtlicher Ansatz wurde von der Mehrheit der Experten mit juristischem Hintergrund abgelehnt. So war der Experte der Bundesrechtsanwaltskammer der Meinung, dass der Castellucci-Entwurf vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben werde. Die vorgeschlagene Regelung enge die reale Zugangsmöglichkeit zum assistierten Suizid, den das Gericht angemahnt hatte, zu sehr ein. Auch die Vertreterin des Deutschen Anwaltvereins vertrat die Auffassung, dass dieser Entwurf nicht mit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben vereinbar sei. Seine Strafandrohungen würden einen freiverantwortlich gefassten Sterbewunsch faktisch ins Leere laufen lassen und unterbinden, kritisierte sie. Ein Strafrechtslehrer war ähnlicher Meinung; er prognostizierte, dass speziell dieser Entwurf die an einem assistierten Suizid Beteiligten „zu überfordern drohe”. Einer seiner Professorenkollegen war hingegen der Meinung, dass der Castellucci-Ansatz verfassungsgemäß sei, aber auch er regte Änderungen in diesem Entwurf an. Kritik wurde auch an den beiden konkurrieren Gesetzentwürfen geübt, teilweise mit umgekehrter Zielrichtung: Sie mussten sich vorwerfen lassen, dass ihr Schutzkonzept nicht weit genug gehe; in jedem Fall müsse in einer Neuregelung sichergestellt werden, dass beim Suizidwilligen ein freiverantwortlicher Wille vorliege.
Auf breite Zustimmung bei den Sachverständigen stieß hingegen ein fraktionsübergreifender Antrag zu Suizidprävention und zur Sterbebegleitung. Die Abgeordneten schlagen darin u.a. einen bundesweiten Suizidpräventionsdienst vor, der Menschen mit Suizidgedanken und ihren Angehörigen rund um die Uhr online sofortigen Kontakt mit geschultem Personal ermöglicht. Seitens der Experten wurde betont, dass die vorgeschlagenen verbesserten Maßnahmen zur Suizidprävention „überfällig” seien; sie müssten aber auch finanziell abgesichert werden. Eine eingeladene Ethik-Expertin riet dazu, insgesamt realistisch zu bleiben: Wenn es künftig – wofür auch sie plädiere – mehr Liberalisierung bei der Suizidhilfe gebe, werde es auch mehr Suizide geben. Darauf müsse man gefasst sein und dürfe dies nicht als Versagen der Neuregelung ansehen, mahnte die Professorin.
[Quelle: Bundestag]