1. Ablehnung (§§ 24 ff. StPO)
Hoch hergegangen ist es offenbar in einer Hauptverhandlung beim AG Köln. Die Wogen sind so hoch geschlagen, dass die Richterin sich schließlich dazu veranlasst sah, einen Wachtmeister zu holen und dem Verteidiger – während der nicht unterbrochenen Hauptverhandlung – anzudrohen, ihn bei weiterem störenden Verhalten aus dem Saal entfernen zu lassen. Das hat dann zu einem Ablehnungsantrag geführt. Der hatte Erfolg. Die Richterin ist im Beschluss des AG Köln vom 24.1.2020 (537 Ds 819/19) als befangen angesehen worden.
Das AG Köln (a.a.O.) stellt darauf ab, dass für eine erfolgreiche Ablehnung eines Richters nach den §§ 24 ff. StPO die Sichtweise eines vernünftigen Ablehnenden und die Vorstellungen, die sich ein "geistig gesunder Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann", von Bedeutung seien. Der Ablehnende müsse daher Gründe für sein Befangenheitsgesuch vorbringen, die jedem besonnenen unbeteiligten Dritten unmittelbar einleuchten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 24 Rn 8 m.w.N.). Hier hatte es nach dem Sitzungsprotokoll und dem insoweit im Kern übereinstimmenden Vorbringen des Angeklagten und der dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterin in der Hauptverhandlung einen intensiven und lautstärkeren Disput zwischen dem Verteidiger und der Richterin über die Art und Weise der Vernehmung des Angeklagten sowie die Unterbrechung der Verhandlung gegeben. Dieser hatte die Richterin schließlich dazu veranlasst, einen Wachtmeister zu holen und dem Verteidiger – während der nicht unterbrochenen Hauptverhandlung – anzudrohen, ihn bei weiterem störenden Verhalten aus dem Saal entfernen zu lassen.
Jedenfalls Letzteres stellt nach Auffassung des AG Köln (a.a.O.) ein offensichtlich rechtswidriges Verhalten dar, das aus der Sicht des Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit rechtfertige. § 177 GVG erlaube während einer laufenden Verhandlung keine Zwangsmittel gegen "störende" Verteidiger, weil sie nicht zu dem in der Vorschrift aufgezählten Personenkreis gehören (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 177 GVG Rn 3a). Selbst wenn man aus einer älteren Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1976 (NJW 1977, 437 f.) für Extremfälle Ausnahmen in Betracht ziehen wolle, war ein solcher Extremfall vorliegend offensichtlich nicht gegeben. Hierzu könne auf die vorgenannte BGH-Entscheidung verwiesen werden, da ihr ein im Kern vergleichbarer Fall zugrunde gelegen habe. Dort hatte ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter einer Zivilpartei den Vorsitzenden Richter in der mündlichen Verhandlung durch ständiges Unterbrechen am Protokolldiktat gehindert und dies auch nach förmlichem Entziehen des Worts fortgesetzt. Daraufhin war er auf Anordnung des Richters, die durch einen nachfolgenden Beschluss der Kammer (für Handelssachen) bestätigt worden war, durch zwei Gerichtswachtmeister aus dem Sitzungssaal geführt worden. Der BGH (Dienstgericht des Bundes) hat diese sitzungspolizeiliche Maßnahme als offensichtlich rechtswidrig bewertet. Zur Begründung verweise der BGH darauf, dass Rechtsanwälte nach dem eindeutigen Wortlaut der §§ 177, 178 GVG in der Rolle des Prozessbevollmächtigten oder des Verteidigers nicht der gerichtlichen Sitzungspolizei und Ordnungsstrafgewalt unterliegen. Das ergebe sich auch aus der Funktion des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege und als unabhängiger Berater des Mandanten in allen Rechtsangelegenheiten. Der unzweideutige Wortlaut der §§ 177, 178 GVG lasse es nicht zu, die zwangsweise Entfernung eines Anwalts in Situationen anzuordnen und vollziehen zu lassen, die nicht so außergewöhnlich seien, dass angenommen werden könnte, der Gesetzgeber habe sie nicht in seine Überlegungen einbezogen.
Hinweis:
Wenn man den AG-Beschluss liest, fragt man sich: Gibt es so ein Verhalten eines Vorsitzenden in einer strafverfahrensrechtlichen Hauptverhandlung tatsächlich noch? Denn die vom AG Köln angesprochenen Fragen sollten – unabhängig von dem angeführten BGH-Beschluss (a.a.O.) – nach dem Beschluss des OLG Hamm vom 6.6.2003 (StV 2004, 69 = StraFo 2003, 244) an sich geklärt sein. Das OLG hat – anders und weiter als der BGH – die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen einen Verteidiger nach den §§ 177, 178 GVG insgesamt, also auch in Extremfällen, als unzulässig angesehen (unter Aufgabe von OLG Hamm JMBl NW 1980, 215).
Greift das Gericht doch zu Sanktionen bzw. droht diese an, bleibt keine andere Möglichkeit, als mit dem scharfen Schwert der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu reagieren. Dabei hat das AG Köln (a.a.O.) keine Zweifel, dass sich aus einer solchen Maßnahme ableiten lässt, dass das Gericht dem Angeklagten nicht unbefangen gegenübertritt.
2. Verlesung von Urkunden in der Hauptverhandlung
Werden in der Hauptverhandlung Urkunden verlesen, ist sehr schnell der Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 250 StPO tangiert. Zwei neuere Entscheidungen des BGH befassen sich mit den bei Verlesung von Urkunden in der Hauptverhandlung ggf. auftretenden Problemen/Fragen.
a) Einführung von DNA-Gutachten im Selbstleseverfahren
Im Beschluss des BGH vom 3.9.2019 (3 StR 291/19, NJW 2019, 3736 = Str...