... so kann er was verzählen (Matthias Claudius, Urians Reise um die Welt). Nein, es ist nicht die Rede von der Deutschen Bahn; dafür würde der Platz hier ohnehin nicht ausreichen. Die Rede ist von der Deutschen Justiz, genauer gesagt von deren Kostenrechtsprechung. Während man in der Hauptsache auch einmal nach § 287 ZPO grob schätzen kann oder Entscheidungen nach Billigkeit treffen darf, verhält es sich bei der Kostenerstattung anders. Hier muss alles bis auf den letzten Cent genau abgerechnet und belegt werden. Daher verwundert es auch nicht, dass in Kostensachen häufig mehr Rechtsmittel vorgesehen sind als in der Hauptsache.
Besonders genau nimmt es die Rechtsprechung, wenn es um die Erstattung von Reisekosten des Anwalts oder der Partei geht. Diese Kostenpositionen scheinen deutschen Rechtspflegern dermaßen ein Dorn im Auge zu sein, dass sie immer wieder auf neue Ideen kommen, wie man hier die Kostenerstattung kürzen kann. Dabei geht es nicht selten um einstellige Euro-Beträge oder noch weniger.
So hatte sich ein Rechtspfleger am AG Ludwigsburg mit der Frage zu befassen, ob es denn zulässig ist, dass Anwalt und Mandant getrennt mit dem Pkw zum Termin anreisen. Er hat festgestellt, dass es billiger gewesen wäre, wenn beide gemeinsam angereist wären, und hat daher kurzerhand die getrennt angemeldeten Reisekosten von Anwalt und Partei zusammengestrichen und nur die einfachen Reisekosten des Anwalts festgesetzt. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass Anwalt und Partei aus Varel kamen, also etwa 650 km vom Gerichtsort entfernt. Die Hinfahrt mag ja noch gehen; ich möchte mir aber nicht die Rückfahrt vorstellen, wenn ich 650 km lang den Mandanten neben mir sitzen habe, vor allem nicht, wenn der Prozess nicht so gelaufen ist, wie der Mandant ihn erwartet hat. Das LG Stuttgart (AGS 2014, 98) hat die Entscheidung daher auch aufgehoben.
Auch ein Rechtspfleger beim AG Traunstein hat die Sache sehr genau genommen. Die Münchener Anwältin hatte bei einer Entfernung zum Gericht von 105 km ein Abwesenheitsgeld i.H.v. 40 EUR nach Nr. 7005 Nr. 2 VV angesetzt, da sie für Hin- und Rückfahrt einschließlich Termin mehr als vier Stunden benötigt habe. Der Rechtspfleger hat dann bei google.maps festgestellt, dass man Hin- und Rückfahrt einschließlich Terminswahrnehmung auch in drei Stunden 56 Minuten hätte bewerkstelligen können. Mit anderen Worten: Die Anwältin habe fünf Minuten vergeudete Fahrtzeit verursacht, die nicht erstattungsfähig seien. Das OLG München (AGS 2016, 507) hat glücklicherweise auch diese Entscheidung aufgehoben und klargestellt, dass kein Anwalt verpflichtet ist, so anzureisen, dass er punkt Glockenschlag am Sitzungssaal erscheint, sondern dass er in Anbetracht der Verkehrssituation durchaus zeitig losfahren darf, um einen gewissen Puffer zu haben. Zu berücksichtigen ist auch noch der Weg von der Kanzlei bis zum Auto und vom Gerichtsparkplatz bis zum Gericht. Gleiches gilt dann umgekehrt für den Rückweg.
Ein Rechtspfleger beim AG Bonn wollte einer ortsansässigen Anwaltskanzlei die Reisekosten eines von ihr beauftragten Anwalts aus dem Gerichtsbezirk verweigern. Die lapidare Begründung: Anwälte könnten sich selbst vertreten, sodass sie keinen anderen Anwalt beauftragen müssten; die gesamte Rechtsprechung des BGH zur Erstattung anwaltlicher Reisekosten gelte nicht für Anwaltskanzleien, die sich fremdvertreten ließen. Auch diese Entscheidung hatte selbstverständlich keinen Bestand (AGS 2019, 201).
Man kann sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren, dass Rechtspfleger die Erbsen noch teilen, bevor sie sie zählen. Daher werden Entfernungen z.T. nicht nur in Kilometern gerechnet, sondern in Metern. Dies führt dann unweigerlich zu der Frage, wie abzurechnen ist, wenn der nächste volle Kilometer nicht erreicht ist. Das LG Rostock (StraFo 2009, 439) hat dazu in seiner Weisheit klargestellt, dass angefangene Kilometer auf volle Kilometer aufzurunden sind.
Auch die Frage, ob ein Anwalt verpflichtet ist, zur Vermeidung höherer Kosten mit dem eigenen Pkw anzureisen, ist höchstrichterlich geklärt. Ein Anwalt ist nicht gezwungen, mit dem Pkw zu einem Termin anzureisen. Er darf vielmehr auch öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch nehmen. Insoweit hat das LAG Niedersachsen schon im Jahre 2011 ganz im Sinne von Greta Thunberg festgestellt: "Gerade in Zeiten des Klimaschutzes wird man den bahnfahrenden Anwalt nicht auf die Pkw-Benutzung verweisen können" (AGS 2011, 553).
Gerne wird auch immer wieder darüber diskutiert, ob ein Anwalt bei einer Bahnfahrt erster Klasse reisen darf. Berücksichtigt man, dass ein Zeuge erster Klasse fahren darf (§ 5 Abs. 1 JVEG) und auch die Partei die Kosten erster Klasse erstattet erhält (§ 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 5 Abs. 1 JVEG), erscheint es nur selbstverständlich, dass auch ein Anwalt erster Klasse reisen darf. Dies ist an sich einhellige Auffassung, es sei denn, der Anwalt fährt von Hamburg nach Bremen. In diesem Fall muss er sich auf den günstigeren Metronom verweisen lassen (AG Bremen AGS 2017, ...