Die Internetplattformen Google und Meta (früher: Facebook) müssen sich vorerst nicht an die neue NetzDG-Meldepflicht für bestimmte strafbare Postings halten. Dies hat das VG Köln in einem Eilverfahren Anfang März entschieden. Das Gericht befand, dass die kürzlich ins Gesetz eingefügte Meldepflicht (§ 3a NetzDG) gegen das Herkunftslandprinzip der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECRL) verstößt und daher EU-rechtswidrig ist. Zudem sei das Bundesamt für Justiz nicht unabhängig genug, um die Einhaltung der Pflichten nach dem NetzDG zuâEUR™überwachen (VG Köln, Beschl. v. 1.3.2022 – 6 L 1277/21).
Die im vergangenen Jahr in Kraft getretene Novelle verpflichtet die sozialen Netzwerke, bestimmte Postings nebst einiger Daten der Verfasser wie deren IP-Adresse an eine Zentralstelle des Bundeskriminalamts zu melden. Hintergrund der Gesetzesnovellierung waren die steigenden Gefahren durch Hass im Internet. Bereits der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hatte gezeigt, dass herabwürdigende und bedrohliche Äußerungen im Netz auch in der Realität zu Gewalttaten führen. Infolge des rechtsterroristischen Attentats auf eine Synagoge im Oktober 2019 brachte die Regierung dann ein neues Gesetz gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus auf den Weg mit dem Ziel, Hass-Straftaten künftig härter und effektiver zu verfolgen und die Täter vor Gericht zu bringen.
Bislang agieren die Täter im Netz meist anonym; in der Praxis kommen die Ermittler deshalb entweder überhaupt nicht oder zu spät an die Daten, die sie bräuchten, um die Täter zu ermitteln. Aus diesem Grund wurde den sozialen Netzwerken die Meldepflicht direkt auferlegt. Sie entsteht, wenn andere User die inkriminierten Äußerungen dem Netzwerk zuvor gemeldet haben und dieses nach einer Prüfung konkrete Anhaltspunkte dafür findet, dass Straftatbestände wie etwa Mord- oder Vergewaltigungsdrohungen (§ 241 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder Kinderpornographie (§ 184b StGB) erfüllt sein könnten. Das BKA rechnete deswegen mit 250.000 Meldungen und 150.000 Strafverfahren pro Jahr. Um dieses Aufkommen zu bearbeiten, wurden in der Zentralen Meldestelle etwa 200 BKA-Beamte eingestellt.
Allerdings gingen die Internetplattformen Google und Meta, die ihren Europasitz beide in Irland haben, gegen diese ihnen von Deutschland auferlegte Verpflichtung vor. Mit Erfolg: Das VG Köln gab ihnen überwiegend Recht. Die Meldepflicht verstoße gegen das Herkunftslandprinzip der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECRL) und sei daher unanwendbar, entschied das Gericht im Eilverfahren. Zudem verstoße die Zuständigkeit des Bundesamtes für Justiz gegen die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie). Diese statuiere den Grundsatz der rechtlichen und funktionellen Unabhängigkeit der Medienbehörde, welche die Pflichtenerfüllung der Diensteanbieter überwache. Da das als Bundesoberbehörde eingerichtete Bundesamt für Justiz dem Bundesministerium für Justiz unterstehe, und von diesem Weisungen entgegennehme, könne von der erforderlichen Staatsferne keine Rede sein.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig; es ist noch die Beschwerde zum OVG Münster möglich. Zudem stehen noch weitere Verfahren aus: Auch die Internetplattformen Twitter und TikTok haben Rechtsmittel gegen ihre Verpflichtung aus § 3a NetzDG eingelegt. Vielleicht sind diese Streitigkeiten aber bald auch durch eine weitere Neuregelung obsolet geworden: Medienrechtsexperten haben darauf verwiesen, dass auf europäischer Ebene der sog. Digital Services Act (DSA) kurz vor seinem Abschluss steht. Er enthält vergleichbare Löschpflichten wie das deutsche NetzDG und würde diesem als Gemeinschaftsrecht – zumindest teilweise – vorgehen. Damit hätten die sozialen Netzwerke wohl nur einen vorläufigen Erfolg erzielt.
[Red.]