Justiz an der Belastungsgrenze – so lautete Anfang des Jahres eine gängige Schlagzeile (u.a. ZAP Anwaltsmagazin 2/2019, S. 54) und das gilt wohl insbesondere für Verwaltungsgerichte, die u.a. wegen der Vielzahl von Asylverfahren völlig "am Anschlag" sind.
Hierzu zwei persönliche Beispiele: Die Studienplatzklage meiner Tochter dauerte so lange, dass der mit einstweiligem Rechtsschutz verfolgte Anspruch wegen Zeitablaufs über zwei Semester nicht mehr realisiert werden konnte. Und eine Klage gegen eine Regelbeurteilung dauert inzwischen, einschließlich Verwaltungsverfahren, deutlich über drei Jahre. Davon entfallen – nach schließlich erhobener Untätigkeitsklage – bereits über zwei Jahre auf das gerichtliche Verfahren, in dem außer Stillstand nichts passiert und der erstrebte Rechtsschutz wegen Ablaufs des Beurteilungszeitraums im Ergebnis nicht mehr erreicht werden kann. Doch selbst für einen Notartermin in einer einfachen Angelegenheit war ein Termin erst nach über einem Jahr zu bekommen.
Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob wir im Bereich der Justiz auf dem besten Wege zu einer "Bananenrepublik" sind. Dieser Begriff beschreibt Staaten, deren Rechtssystem nicht funktioniert. Steht unsere Justiz vor einem Funktionsverlust, wenn es offensichtlich nicht nur die Ausnahme ist, dass Primäransprüche, selbst bei einem abschließenden Obsiegen, allein schon aufgrund von überlangen Verfahrensdauern nicht mehr realisiert werden können?
Diese Erkenntnis ist inzwischen auch in der allgemeinen Wahrnehmung angekommen. Mit Blick auf die völlige Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit (wegen vermehrter Asylverfahren), stellt z.B. Peter Hahne in seinem Buch "Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen!" (S. 11) fest: "Justitia stöhnt und ächzt und der einfache Bürger, dessen Anliegen vielleicht dringend ist, hat das Nachsehen. Oder muss er mit den Folgen gerichtlicher Überlastung leben, besser gesagt: überleben?"
Es gibt viele Bereiche, in denen Rechtsschutz und ein letztlich obsiegendes Urteil nichts wert sind, wenn dieser nicht rechtzeitig erfolgt. So werden z.B. im Strafprozess die Strafziele durch lange Verfahrensdauern vereitelt bzw. geschmälert, Studienplatzklagen gehen ins Leere. Klagen auf Baugenehmigungen oder Gewerbeerlaubnisse können existenzvernichtend sein, wenn sich durch Veränderungen am Finanzmarkt die Finanzierungsgrundlagen für den Antragsteller wesentlich geändert haben. Klagen gegen Regelbeurteilungen eines Beamten sind wirkungslos, wenn bis zu einer Entscheidung der folgende Beurteilungszeitraum bereits verstrichen ist. Tragisch kann es im Bereich des Sozialrechts etwa bei Klagen auf Übernahme von Behandlungskosten werden – hier kann eine lange Verfahrensdauer eine im wahrsten Sinne des Wortes "tödliche Wirkung" haben.
Diese wenigen Beispiele machen deutlich, dass die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes weit mehr durch die lange Dauer der Verfahren, als durch eine ausgefeilte Rechtsdogmatik bedroht ist. Langdauernde Prozesse gehören zu den Grundübeln der Rechtspflege, aber das Problem verschärft sich. Verstöße gegen Art. 19 Abs. 4 GG und entsprechende Klagen vor dem Europäischen Gerichthof für Menschenrechte gegen die Bundesrepublik Deutschland haben den Gesetzgeber dann auch zum Erlass der §§ 198 ff. GVG, die Sanktionsnormen bzw. Entschädigungsregelungen bei Verletzung des gerichtlichen Beschleunigungsgebots enthalten, veranlasst.
Was ist dies aber wert? Wenn überhaupt etwas, jedenfalls nicht viel. Zum einen können die Voraussetzungen des Anspruchs nur schwer festgestellt werden, weil abstrakt kaum definiert werden kann, was z.B. eine unangemessen lange Verfahrensdauer konkret ist. Weiterhin ist dem Haushaltsgesetzgeber kaum beizukommen, wenn er nicht für eine angemessene Ausstattung der Gerichte sorgt.
Darüber hinaus scheint das Kalkül der überlangen Verfahrensdauer zu einem Kampfmittel und verfahrenstaktischen Instrument der rechtlichen Auseinandersetzung geworden zu sein. Der Umstand langer Verfahren wird in der Praxis erkennbar dahingehend ausgenutzt, um einen Anspruchsteller mürbe zu machen und auf der Zeitschiene auszuhungern. Das eine oder andere Gericht scheint es mitunter zu begrüßen, wenn eine Partei das Verfahren verzögert, birgt dies doch die Hoffnung, dass die Gegenpartei aufgibt und sich der Fall dann mit wenig Aufwand erledigen lässt.
Schließlich dürften die Möglichkeiten der §§ 198 ff. GVG für viele Kläger zu Recht theoretisch bleiben. Dies wohl auch deshalb, weil der Richter, der mit einer derartigen Klage konfrontiert ist, letztlich auch nur ein Mensch ist. Daher wird nach menschlichem Ermessen die Bereitschaft eines Richters, in einem solchen Fall wohlwollend zugunsten des Klägers, der dem Gericht Untätigkeit vorwirft, zu entscheiden, eher abnehmen.
Bei allem Verständnis für die Belastung der Gerichte und der einzelnen Richter darf dies gleichwohl nicht dazu führen, dass die Rechtspflege funktionsunfähig wird. Um noch einmal auf eingangs genanntes Beispiel der Klage gegen ...