Zusammenfassung
Hinweis:
Der vorliegende Beitrag schließt inhaltlich an den Beitrag der Verfasser „Basiswissen: Zuständiges Gericht in Zivilsachen” an, der in ZAP-Ausgabe 8/2023, 393 erschienen ist.
I. Die geplante Einführung von sog. Commercial Courts
Bereits seit Längerem wird Kritik an dem Gerichtsstandort Deutschland geübt, da gerade für große Wirtschaftsstreitigkeiten die ordentliche Gerichtsbarkeit nur eingeschränkt zeitgemäße Verfahrensmöglichkeiten anbiete (vgl. z.B. Sturm/Schulz, ZRP 2019, 71; Rohner, SchiedsVZ 2019, 279 m.w.N.; Redaktion, Justizstandort Deutschland – Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten, Diskussionspapier zum Symposium am 3.9.2018 in der Vertretung des Landes NRW beim Bund, IWRZ 2018, 234). Daraus folge, dass solche Streitigkeiten vermehrt in anderen Rechtsordnungen (vgl. insb. den „London Commercial Court”, der international eine Vorreiter- und Vorrangstellung im Bereich der gerichtlichen „commercial dispute resolution” eingenommen hat – neben z.B. Singapur, Amsterdam oder Paris) oder innerhalb der privaten Schiedsgerichtsbarkeit (§§ 1025 ff. ZPO) geführt werden (vgl. dazu insb. BMJ, „Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts” v. 16.1.2023, s. dazu auch die Pressemitteilung des BMJ v. 16.1.2023 unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/0116_Commercial_Courts.html ). Nicht erst seit Kurzem gibt es ganze Rechtsgebiete, in denen fast ausschließlich Schiedsvereinbarungen (i.S.v. § 1029 ZPO) vereinbart werden und daher der Zugang zur staatlichen Gerichtsbarkeit von den Parteien gar nicht erst gesucht wird. Der Grund hierfür ist insb. in der Möglichkeit der Wahrung von Geheimhaltung sowohl der Streitgegenstände als auch der Schiedsverfahren zu suchen – neben der Qualifizierung und Qualität der (regelmäßig international agierenden) Schiedsrichter, die sich regelmäßig (nur) aus dem Umfeld international tätiger Rechtsanwaltskanzleien rekrutieren. Bedenken dagegen stellen v.a. auf die Notwendigkeit einer transparenten Fortbildung des Rechts durch staatliche („gesetzliche”) Richter ab (vgl. z.B. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
II. Diskussions- und Reformvorschläge, aktuell: Referentenentwurf des BMJ
Hinweis:
Der Bundesrat hat bereits mehrfach durch Gesetzesanträge zur Einrichtung sog. Commercial Courts die Initiative ergriffen (BR-Drucks 42/10; BR-Drucks 93/14; BR-Drucks 53/18; BR-Drucks 219/21) und nunmehr das BMJ: siehe jüngst den (undatierten) Referentenentwurf des BMJ, der via Pressemitteilung/Newsletter v. 25.4.2023 vorgestellt worden ist ( https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Commercial_Courts.html ).
1. Die Diskussion hatte bereits wieder neue Fahrt aufgenommen, wobei sich auch die im Bund regierende Ampelkoalition die Einführung von englischsprachigen Spezialspruchkörpern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten auf die Fahne geschrieben hat (vgl. den Koalitionsvertrag 2021–2025 der Regierungsfraktionen „Mehr Fortschritt wagen”, S. 84: „Wir ermöglichen englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten.”). So liegt mittlerweile seit dem 25.4.2023 ein Referentenentwurf (RefE) des BMJ vor, der verschiedene Vorarbeiten aufgreift. So wurde am 11.3.2022 ein im Bundesrat von den Ländern Nordrhein-Westfalen und Hamburg vorgelegter „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten” (mit urspr. Datum v. 22.2.2022) neu eingebracht (vgl. BR-Drucks 79/22; s.a. BT-Drucks 20/1549, BT-Drucks 20/4334). Mit einem neuen § 119b GVG-E sollte den Ländern danach die Möglichkeit eröffnet werden, an einem OLG Senate einzurichten, vor denen Handelssachen mit einem internationalen Bezug und einem Streitwert von über zwei Mio. EUR bei entsprechender Gerichtsstandsvereinbarung i.S.v. § 38 Abs. 1 ZPO auch erstinstanzlich geführt werden können (sog. Commercial Courts). Dabei sollte gewährleistet sein, dass die Verfahren vor diesen Spruchkörpern ganz oder teilweise in englischer Sprache geführt werden können. In einem § 119 GVG-E sollte es eine Entsprechung für rein nationale Handelssachen bei gleicher Streitwerthöhe und Parteivereinbarung geben. Mit dem o.g. Eckpunktepapier des BMJ wurde das Interesse an dem Vorhaben aus Sicht der Bundesregierung dann bekräftigt und Anpassungen gegenüber dem letzten BR-Entwurf vorgeschlagen (s. insb. die Absenkung der Streitwertgrenze von 2 auf 1 Mio. EUR; s.a. BMJ-RefE, dort S. 1). Vor dem RefE wurde der o.g. BR-Gesetzentwurf im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am 1.3.2023 unter Hinzuziehung von Sachverständigen (aus Praxis und Wissenschaft, s. u.a. die Stellungnahme der BRAK, Dr. M. Weigel, vom Februar 2023, https://www.bundestag.de/resource/blob/935436/8965cf55c991a3f0dc89243e55ec1a5b/Stellungnahme-Weigel_BRAK-data.pdf) diskutiert.
Hinweis:
Zahlreiche Bundesländer, u.a. Baden-Württemberg und Hamburg, haben hinsichtlich der Einführung solcher Spruchkörper bereits vorgegriffen. Am LG Stuttgart (49. Zivilkammer als „Wirtschaftszivilkammer”), am LG Hamburg (Kammer für internationale Hand...