Es war bisher weitgehend ungeklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen die klagende Partei im sozialgerichtlichen Verfahren verlangen kann, eine Vertrauensperson zu einer gutachterlichen Untersuchung mitzunehmen (s. etwa Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/Keller, SGG, § 118, Rn 11m, ferner, grds. den Anspruch auf Teilnahme bejahend, LSG Rheinland-Pfalz NJW 2006, 1547 und OLG Hamm v. 3.2.2015 – 14 UF 135/14, NJW 2015, 1461).
Durch Urt. v. 20.10.2022 – B 9 SB 1/20 R hat der 9. Senat des BSG grds. die Rechtsstellung von Beteiligten insoweit gestärkt, jedoch hierbei gleichzeitig die Grenzen eines solchen Anspruchs aufgezeigt. Zur Beurteilung lag als Sachverhalt vor: Der Kläger wandte sich mit seiner Klage gegen die Herabsetzung seines Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 30. Im Klageverfahren bestand der Kläger bei der ersten vom SG angeordneten Untersuchung beim Gutachter auf der Anwesenheit seiner Tochter. Im Hinblick auf prinzipielle Bedenken dagegen hat der Gutachter seine Entpflichtung beantragt, woraufhin das SG einen neuen Gutachter bestellte. Dieser hat die Untersuchung des Klägers in Anwesenheit des nunmehr von diesem mitgebrachten Sohn ebenfalls abgelehnt, woraufhin die Klage abgewiesen wurde. Die Berufung blieb erfolglos. Das LSG verwies darauf, nach Sachlage habe der Beklagte den Gesamt-GdB nicht mit mehr als 30 feststellen können. Da der Kläger die weitere Aufklärung des Sachverhalts vereitelt habe – es bestehe kein Anspruch auf die Anwesenheit seiner Tochter oder seines Sohns als Vertrauensperson während der Untersuchung –, gingen bestehende Zweifel im Wege einer Beweislastumkehr zu seinen Lasten. Der vom Kläger gestellte Antrag auf Begutachtung durch einen Arzt seiner Wahl nach § 109 SGG sei rechtsmissbräuchlich, da er die von Amts wegen angeordneten Sachverständigengutachten vereitelt habe.
Das BSG folgt dem nicht, es hob auf Revision des Klägers das Berufungsurteil auf und wies die Sache an das LSG zurück. Das LSG habe den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) verletzt. Da der Sachverhalt als nicht ausreichend aufgeklärt angesehen wurde, hätten die in Betracht kommenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft werden müssen:
- Grundsätzlich stehe es den am Gerichtsverfahren Beteiligten frei, eine Vertrauensperson zu einer angeordneten gutachterlichen Untersuchung mitzunehmen. Dies leitet das BSG für prozessbevollmächtigte erwachsene Familienangehörige aus § 73 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGG, für sonstige nahestehende Personen als Beistand aus § 73 Abs. 7 S. 3 SGG her. Die Befugnis dieser Personen umfasse auch die Begleitung zu einer vom Richter angeordneten Begutachtung durch einen Sachverständigen, was sich aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren ergibt, den sowohl das Grundgesetz als auch die europäische Menschenrechtskonvention gewährt. Allerdings könne das Gericht den Ausschluss der Vertrauensperson bei der Begutachtung fehlerfrei dann anordnen, wenn dies zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen, wirksamen Rechtspflege erforderlich ist, insb. im Blick auf eine unverfälschte Beweiserhebung. Im Einzelfall sind die von den Sachverständigen gegen eine Begleitung angeführten fachlichen Gründe zu prüfen, wobei sich Differenzierungen etwa nach dem medizinischen Fachgebiet ergeben können.
- Ferner habe das Gericht fehlerhaft nicht geprüft, ob ein Gutachten nach Aktenlage ausreicht (hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/Keller, SGG, § 118 Rn 11 b).
- Schließlich entscheidet das BSG, ein Antrag nach § 109 SGG sei nicht allein deshalb rechtsmissbräuchlich, weil eine Begutachtung von Amts wegen nicht zustande gekommen ist.
Hinweis:
Leistungen der Eingliederungshilfe (§§ 90 ff. SGB IX, s. ferner unten 2.) umfassen nach § 102 SGB IX u.a. Leistungen zur Sozialen Teilhabe nach §§ 113 ff. SGB IX. Gemäß § 113 Abs. 6 SGB IX werden bei einer stationären Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) auch Leistungen für die Begleitung und Befähigung der Leistungsberechtigten durch vertraute Bezugspersonen (s. S. 2 der Norm) zur Sicherstellung der Durchführung der Behandlung erbracht, soweit dies aufgrund des Vertrauensverhältnisses der Leistungsberechtigten zur Bezugsperson und aufgrund der behinderungsbedingten besonderen Bedürfnissen erforderlich ist.