Erbrecht ist Generationenrecht – die Auswirkungen einer Vereinbarung, sei sie lebzeitig als vorweggenommene Erbfolgeregelung, sei sie von Todes wegen erfolgt, können noch Jahrzehnte später erstmalig zum Tragen kommen. Gerade an dieser entscheidenden Fragestellung, juristisch betrachtet also der Frage nach der Kreation einer angemessenen Übergangsvorschrift, stellt der Referentenentwurf allein darauf ab, ob der Erbfall vor oder nach der Gesetzesänderung datiert. Die Frage der Anrechnungsbestimmung war aber bisher stets eine Frage des lebzeitigen Rechtsgeschäftes. Bisher konnte derjenige Zuwendungsempfänger, der bei der Zuwendung keinem Anrechnungsvorbehalt ausgesetzt wurde, sicher sein, dass er im Erbfall nicht doch noch vom Gegenteil überrascht wurde, es sei denn, er verwirklichte nachträglich einen Pflichtteilsentziehungsgrund gemäß § 2333 BGB. Nur in einem solchen Falle konnte der Erblasser ausnahmsweise noch nachträglich die Anrechnung bzw. Ausgleichung anordnen. Ansonsten war dies nur durch eine notarielle Erklärung des Pflichtteilsberechtigten in der Form eines Pflichtteilsteilverzichtes nach den §§ 2346, 2348 BGB, letztlich also nur auf seinen freien Willensakt hin möglich. Die gesetzliche Regelung, die von Anfang an Bestandteil des Bürgerlichen Gesetzbuches war, also eine mehr als einhundertjährige Tradition aufweist, wurde bisher in der richterlichen Argumentation geradezu als systemimmanente Regelung betrachtet. So führte das OLG Düsseldorf noch 1994 aus, dass Zweck der gesetzlichen Anordnung einer Anrechnungs- oder Ausgleichungsbestimmung im Moment der lebzeitigen Zuwendung die Bewusstseinswerdung beim Pflichtteilsberechtigten sei, eine Zuwendung zu erhalten, die mit dem Nachteil der späteren Anrechnungsbestimmung behaftet sei. Es könne aus diesem Grunde zwar evtl. auch einmal eine stillschweigend angeordnete Anrechnungsbestimmung geben, diese sei jedoch nur dann wirksam, wenn der Zuwendungsempfänger sie als solche erkannt hat. Entscheidend sei, dass der Pflichtteilsberechtigte durch seine gewonnene Erkenntnis, eine Zuwendung mit Anrechnungs- oder Ausgleichungsbestimmung erhalten zu sollen, bewusst die Annahme der Zuwendung erklärt oder ablehnt. Diese Argumentationskette ist nicht deshalb falsch geworden, weil man jetzt einen Perspektivwechsel hin zu einem größeren Maß an Testierfreiheit gesetzgeberisch vornehmen will. Sie wird vielmehr durch den Gesetzgeber zukünftig als irrelevant angeordnet und insofern ein neues erbrechtliches Axiom gesetzt, das zu befolgen ist.
Bei Umsetzung des Referentenentwurfs wird der Zuwendungsempfänger also die bisher als unabdingbar bezeichnete Sicherheit nicht mehr erhalten (müssen). Er muss vielmehr zukünftig immer damit rechnen, dass der Erblasser späterhin die Anrechnung letztwillig anordnet. Er wird daher in dem einen oder anderen Fall den Wunsch verspüren, diese letztwillige Dispositionsfreiheit seines lebzeitigen Vertragspartners und zukünftigen Erblassers rechtsgeschäftlich durch lebzeitiges Rechtsgeschäft zu beseitigen. Beispielsweise ist ein solcher Wunsch denkbar in Fällen der Betriebsvermögensnachfolge, bei der der Zuwendungsempfänger im Rahmen einer gemischten Schenkung (belastetes) risikobehaftetes Betriebsvermögen übernimmt. In einem solchen Falle ist es aus Sicht des Verfassers sogar naheliegend, dass der Nachfolger sichergestellt wissen will, dass er später bei der Verteilung des Privatvermögens nicht schlechter gestellt wird als seine Geschwister – die sich oftmals gerade nicht zur Übernahme des Familienbetriebs entscheiden konnten, sondern "sicherere berufliche Wege" einschlagen wollten. Die heutigen lebzeitigen Übergabeverträge der "Generation der Erben" sind eben häufig gerade keine plumpen Vereinbarungen von "Leistungen ohne Gegenleistung" mehr, sondern komplexe (rechtliche) Gebilde. Kann man denn die durch die geplante Gesetzesänderung beim Erblasser entstandene neue Facette der Testierfreiheit lebzeitig erbrechtlich wirksam wieder beseitigen?
Klar ist, dass dies zukünftig nur über einen Erbvertrag möglich sein wird, denn durch den Systemwechsel des Gesetzgebers muss zukünftig die Testierfreiheit des Erblassers in diesem Punkte wieder eingeschränkt werden. Grundsätzlich kann gemäß § 2278 Absatz 2 BGB aber nur eine Erbeinsetzung, eine Vermächtnis- oder Auflagenanordnung erbvertraglich bindend getroffen werden. Wäre eine (singuläre) nachträglich letztwillig angeordnete Ausgleichungsanordnung eine unzulässige Veränderung der Erbeinsetzung im Sinne des § 2278 Absatz 2 BGB und insofern unwirksam, sofern der Erblassers zuvor in notarieller Form, zum Beispiel in einer entsprechend gekennzeichneten Passage im Rahmen des Übergabevertrages, den Verzicht auf sein Recht auf nachträgliche Anordnung der Zuwendung zur Anrechnung oder Ausgleichung erklärt hat? Ein Verzicht des Erblassers auf die neue hinzugetretene Möglichkeit einer nachträglichen Anrechnungs- oder Ausgleichungsanordnung ist sicher keine Erbeinsetzung im Sinne der Norm, da der Ver...