Problematisch sind insbesondere die Sachverhalte, bei denen gerade keine Rechtswahl getroffen wurde. Das entscheidende Kriterium für Zuständigkeit und anzuwendendes Recht ist dann der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers. Der gewöhnliche Aufenthalt ist der "Ort, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration". In den Erwägungsgründen der Erbrechtsverordnung heißt es ergänzend:
"Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts sollte die mit der Erbsache befasste Behörde eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vornehmen und dabei alle relevanten Tatsachen berücksichtigen, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele dieser Verordnung eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen."
Der Streit über den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers ist hier absehbar. Die Gerichte werden umfangreich ermitteln müssen, während sie bisher lediglich auf die Staatsangehörigkeit abstellen konnten.
Beispielhaft seien folgende Sachverhalte aus der Praxis für Kroaten in Deutschland aufgezählt:
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Der Erblasser arbeitete in Deutschland, verbrachte aber jede freie Minute (Wochenende, Urlaub) in seinem Haus in Kroatien. |
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Der Erblasser lebte bis zur Rente in Deutschland, zog mit Renteneintritt nach Kroatien und verstarb dort nach einem Jahr. |
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Der Erblasser ist nach Kroatien (zurück)gezogen, seine Kinder und Enkelkinder, die er regelmäßig besucht, leben aber weiterhin in Deutschland, wo er auch Bankkonten hat. |
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Der Erblasser lebte in Deutschland in einer Mietwohnung, plante aber stets als Rentner nach Kroatien zu ziehen, wo er ein Haus hat und wo seine Familie lebt. |
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Der in Rente lebende Erblasser hat sich in Deutschland einbürgern lassen und verbringt die Hälfte des Jahres in seinem Ferienhaus in Kroatien. |
Diese Konstellationen sind keine Ausnahmefälle, sondern durchaus häufig anzutreffen. Hinzu kommt, dass viele in Deutschland lebende Kroaten auch in Kroatien melderechtlich erfasst sind, sodass für beide Länder Meldebescheinigungen vorgelegt werden können. Es besteht dann auch die Gefahr, dass – bei Anrufung der Gerichte beider Staaten – sich beide Gerichte für zuständig halten, da jedes für sich auf dem Standpunkt steht, der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers sei im jeweiligen Land gewesen. Eine Auflösung dieser Problematik sieht die Verordnung in Art. 17 vor. Danach soll das später angerufene Gericht aussetzen bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Ob die Zuständigkeit des Gerichts alleine durch dessen Feststellung bindend feststeht, und damit der Kompetenzkonflikt aufgelöst wird, oder ob die Zuständigkeitsentscheidung nach Art. 15 nachprüfbar ist, ist nicht eindeutig formuliert. Insbesondere bei einem negativen Kompetenzkonflikt erscheint dies jedenfalls problematisch. Von praktischer Bedeutung ist, dass die beiden angerufenen Gerichte zunächst über das Verfahren im jeweils anderen Land informiert werden müssen, was letztlich nur durch die Beteiligten selbst geschehen kann. Unterbleibt eine Information, kann es zu Parallelentscheidungen kommen.
Die Erbrechtsverordnung selbst ist bei der Begriffsbestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts jedenfalls wenig hilfreich und sehr vage. Ein zeitliches Moment alleine soll nicht ausreichen, vielmehr seien die Gesamtumstände zu würdigen. Selbst wenn jemand für längere Zeit aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen in einem anderen Staat lebt und arbeitet, kann der "gewöhnliche Aufenthalt" aufgrund von Bindungen weiterhin im Herkunftsstaat liegen. Diese Interpretation dürfte mit dem Begriff nur schwer in Einklang zu bringen sein. Es ist abzuwarten, wie die Rechtsprechung den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Verordnung definieren wird.