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Häufig begegnet dem Erbrechtsanwalt der Beratungswunsch seines Mandanten, wie bei einer klammen Erbschaft zu verfahren sei. Mangels Erfahrung und auch aufgrund der Kosten wird die Möglichkeit einer Nachlassverwaltung schnell verworfen. Der sicherste Weg sei eine Ausschlagung, wobei die Zeit eile (§ 1944 BGB). Im Notfall, so der weiter ausgesprochene Rat, könne man die Ausschlagung auch noch anfechten, sollte sich der Nachlass als werthaltig erweisen. Sicheres und "griffbereites" Wissen darüber ist indes oft nicht vorhanden. Der Beitrag versucht, dem abzuhelfen: Die nicht ganz einfache Handhabung des Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses und des Inhaltsirrtums über die Rechtsfolgen soll greifbar gemacht werden. Der Beitrag geht weiter auf die Anfechtung als Zugang zum Pflichtteil ein und setzt sich mit der Notwendigkeit auseinander, die Anfechtungserklärung zu begründen.
1. Hintergrund: Annahme und Ausschlagung, Fristversäumung
Der Anfall der Erbschaft tritt von selbst (ipso iure) ein, unbeschadet des Rechts, diese auszuschlagen, § 1942 BGB. Eine Annahme ist nicht erforderlich. Diese steht aber einer Ausschlagung entgegen, § 1943 BGB.
Die Annahme der Erbschaft erfolgt durch ausdrückliche oder konkludente (pro herede gestio) Willenserklärung. Einen Adressaten nennt das Gesetz nicht. Teilweise wird daher vertreten, die Erklärung sei nicht empfangsbedürftig. Verbreitet ist aber die Gegenauffassung, wonach die Erklärung gegenüber einem Nachlassbeteiligten abzugeben ist (Miterbe, Nachlassgläubiger, Nachlassgericht, Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger). Mit Ablauf der Ausschlagungsfrist gilt die Annahme als erfolgt, § 1943 HS 2 BGB.
Die Ausschlagung der Erbschaft erfolgt gegenüber dem Nachlassgericht, § 1945 BGB. Die Erklärung ist daher empfangsbedürftig sowie form- und fristgebunden. Bei Minderjährigen ist die Genehmigung des Familiengerichts (§§ 1643 Abs. 2, 1822 Nr. 2 BGB), bei unter Betreuung stehenden Personen die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich, §§ 1908 i, 1822 Nr. 2 BGB.
§ 1954 BGB setzt voraus, dass Annahme und Ausschlagung anfechtbar sein können. Dies gilt auch für die Versäumung der Ausschlagungsfrist, § 1956 BGB. Potentielle Anfechtungsgründe regelt das Erbrecht nicht. Es gelten die §§ 119 ff BGB. Dabei sind vor allem § 119 Abs. 2 BGB (Überschuldung des Nachlasses) und § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB (Inhaltsirrtum über die Rechtsfolgen) bedeutsam. In beiden Bereichen stellen sich Abgrenzungsfragen. Der Irrtum nach § 119 Abs. 2 BGB setzt eine konkrete Vorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses voraus, da andernfalls nur eine unbeachtliche Fehlbewertung vorliegt. Der Inhaltsirrtum ist hingegen zu dem ebenfalls unbeachtlichen (reinen) Rechtsfolgenirrtum abzugrenzen.
2. Bewertungsirrtum/Bestandsirrtum
Fall 1: Kein § 119 Abs. 2 BGB bei Bewertungsirrtum (Annahme) A hat seine Tante im Wege gesetzlicher Erbfolge beerbt. Nach einigen Monaten erlangt A davon Kenntnis, dass der Nachlass überschuldet ist.
A möchte seine Haftung für Nachlassverbindlichkeiten vermeiden. Neben einer Beschränkung der Erbenhaftung durch Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz hätte A auch die Erbschaft ausschlagen können. Dafür ist es aber zu spät, wenn die Ausschlagungsfrist bereits abgelaufen ist, § 1944 BGB.
§ 1954 Abs. 1 BGB regelt für die Anfechtung einer Annahme eine sechswöchige Anfechtungsfrist. Die Möglichkeit einer Anfechtung der Annahme wird somit vorausgesetzt, obwohl der Anfall der Erbschaft automatisch erfolgte und keine Willenserklärung von A nötig war. Die Annahme steht somit in dieser Hinsicht einer Willenserklärung gleich. Gleichermaßen kann auch die schlichte Versäumung der Ausschlagungsfrist nach § 1956 BGB angefochten werden.
Zu denken ist hier an § 119 Abs. 2 BGB. Die Überschuldung des Nachlasses ist dessen im Rechtsverkehr bedeutsamste Eigenschaft. Zur Anfechtung berechtigt dieser Motivirrtum nur, wenn sich A konkrete Vorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses machte, etwa davon ausging, dass eine bestimmte Forderung zum Nachlass gehörte oder aber eine zunächst nicht erkannte Verbindlichkeit auftaucht. Soweit A der konkrete Nachlassbestand hingegen bekannt war, er diesen aber falsch bewertete, kommt eine Anfechtung nicht in Betracht. Abhängig hiervon kann A also die Annahme der Erbschaft innerhalb von sechs Wochen nach Kenntniserlangung von der Überschuldung anfechten. § 1954 Abs. 1 BGB modifiziert insoweit die Fristen der §§ 121, 124 BGB. Im Erbrecht wird auch die Form der Anfechtung modifiziert: A muss die Annahme der Erbschaft öffentlich beglaubigt oder zur Niederschrift gegenüber dem Nachlassgericht anfechten, §§ 1955, 1945 BGB.
Fall 2: § 2306 BGB: Bewertungsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB Erblasser E wurde von seinen Söhnen A und B zu je 1/2 beerbt. E hatte B verschiedene als Ackerland genutzte Grundstücke vermacht, was B mit EUR 7.500,- gegenüber A auszugleichen hatte. Auf Antrag hatte das Nachlassgericht ei...