Wege zur Gleichbehandlung von Sozialleistungsbeziehern bei letztwilligen Zuwendungen (Teil 2)
Einführung
Im Teil I hat der Verfasser zum aktuellen Diskurs über Pflichtteilsvermeidungsstrategien Stellung genommen und die insoweit zu beachtende generelle Gestaltungsgrenze der Generalklausel des § 138 BGB ausgelotet. Dabei hat er am Beispiel von Sozialleistungsbeziehern der jüngst zu verzeichnenden Gegenbewegung in Literatur und Rechtsprechung unterer Sozialgerichte das höchstrichterliche Krisenmanagement der maßgeblich betroffenen Senate des Bundesgerichtshofs und der oberen Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit gegenübergestellt. Im Teil II werden die vom Erbrechtssenat des Bundesgerichtshofs bisher behandelten Wege im Einzelnen auf ihre Tauglichkeit untersucht, inwieweit über sie die Ausübung erbrechtlicher Gestaltungsrechte zugunsten von Sozialleistungsbeziehern zu erreichen ist, ohne von Sittenwidrigkeitseinwänden aufgehalten oder sonstigen Hindernissen gestört zu werden.
I. Wegbeschreibungen
Bei den Wegbeschreibungen konnte der Erbrechtssenat des Bundesgerichtshofs dem Pfad über Pflichtteilssanktionsklauseln nur das Eignungstestat "weniger empfehlenswert", den Pfaden über die sogenannten Behinderten- und Bedürftigentestamente, Verzichte und Ausschlagungen dagegen das "sehr empfehlenswert" erteilen.
Die gleich hohe Einstufung der Prädikatswege mag zunächst überraschen, scheinen sie doch wenig gemein zu haben: Beim Testament handeln die Erblasser, bei Ausschlagung und Verzicht Behinderte selbst bzw. ihre Betreuer oder der Sozialhilfeträger. Das Testament regelt die Rechtsstellung des Behinderten in den Erbfällen nach den Vorfahren, Ausschlagung und Verzicht dagegen die Abwehr ihm letztwillig zugedachter Rechtspositionen. Der Sozialhilfeträger versucht die Ausübung von Gestaltungsrechten, soweit er dadurch gehindert wird, auf erbrechtlich geprägte Vermögenswerte seines Sozialhilfeempfängers zuzugreifen, fast allein mit dem Vorwurf
Zitat
"Sozialisierung der Verluste bei Privatisierung der Gewinne"
über den Sittenwidrigkeitseinwand auszuhebeln.
Die Auflösung dieser Ungereimtheiten gibt der Senat in einer Art übergreifender Zulässigkeitsklammer aus gut 20 Jahren Senatsrechtsprechung von 1990 bis 2011, die sich in der einfachen Formel zusammenfassen lässt:
Zitat
"Das Erbrecht steht jedermann zur Verfügung – Beschränkungen bedürfen einer eindeutigen, zumindest gleichrangigen Rechtsgrundlage."
Für das testamentarische Instrumentarium können wir insoweit auf ein ganz festes höchstrichterlich gefertigtes Fundament zurückgreifen – einem erratischen Block vergleichbar –, das aus allen Sturmangriffen sogar gestärkt hervorgegangen ist.
Für den Pflichtteilsverzicht haben wir darauf aufbauend im Januar 2011 eine genauso sichere Grundlage geschaffen.
Diese Basis – und das ist eine Besonderheit – ist in Statik und Gründung so stabil konstruiert, dass auf ihr spielend auch das Ausschlagungsrecht und weitere behindertennützliche Instrumente Platz finden können.
Alle drei zusammengenommen bestätigt den Architekten "Le Corbusier", als er zu der wegweisenden Feststellung gelangte:
Zitat
"Die Grundlage ist die Basis des Fundaments".
II. Pflichtteilssanktionsklauselgasse
Sie hat ihren Namen durch die zwei neueren Senatsentscheidungen aus 2004 und 2005 erhalten mit Sachverhalten, in denen Eltern ohne juristische Beratung ein Testament mit Elementen der Erbschaftslösung unter gegenseitiger Alleinerbeinsetzung und Einsetzung der Kinder – darunter ein behindertes – lediglich als Schlusserben im zweiten Erbfall verfasst, diese Regelung jedoch nur über eine sogenannte Pflichtteilssanktionsklausel abgesichert hatten. Danach sollte ein Fordern des Pflichtteils bereits beim ersten Erbfall die Beschränkung auf den Pflichtteil auch beim zweiten Erbfall auslösen. Der Senat hat die Überleitung des Pflichtteils auf den Sozialhilfeträger nach dem ersten Erbfall auch gegen den Willen des behinderten Kindes gebilligt und die Pflichtteilssanktionsklausel dahingehend ausgelegt, dass diese von einer Geltendmachung durch den Sozialhilfeträger nicht ausgelöst werde, das behinderte Kind also wie verfügt im Schlusserbfall Vorerbe bleibe.
Diese Senatslösung ist seinerzeit auf Zustimmung und Kritik gestoßen. Insbesondere hat die Auslegung des Senats, um dem Behinderten gegen das Ansinnen des Sozialhilfeträgers, der auch insoweit den Pflichtteil haben wollte, wenigstens die Schlusserbeinsetzung zu retten, nicht alle Leser zu überzeugen vermocht: Dies sei keine Auslegung, sondern eine Unterstellung. Der spätere Rechtfertigungsversuch von meiner Seite wirkt aus heutiger Sicht nicht gerade zwingend, für das Ergebnis im ersten Erbfall sogar eher unzureichend.
Es sind insbesondere mit Blick auf das neuste Judikat des Senats zum erbrechtlichen Behindertenschutz zunehmend Zweifel angebracht, ob es nicht bereits damals konsequenter gewesen wäre, dem Sozialhilfeträger die Überleitung mit Blick auf die Sanktionsklausel insgesamt zu versagen...