Leitsatz
1. Die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügung in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament erstreckt sich auch auf die Anwachsung für Miterben in der Schlusserbfolge, die sich aus einem Pflichtteilsverlangen nach dem erstverstorbenen Ehegatten aufgrund einer Pflichtteilsstrafklausel ergibt.
2. Ein Ehegattentestament kann im Einzelfall dahin auszulegen sein, dass die Bindungswirkung für den überlebenden Ehegatten für den von der Pflichtteilsstrafklausel betroffenen Erbteil entfällt.
3. Für eine solche Annahme, die im Wortlaut des notariell beurkundeten Testaments keine Grundlage findet, reicht der Umstand allein, dass die eingesetzten Schlusserben nicht gemeinschaftliche, sondern ersteheliche Kinder des erstverstorbenen Ehegatten sind, nicht aus.
OLG Hamm, Beschluss vom 27. November 2012 – I-15 W 134/12
Aus den Gründen
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht die für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1. beantragten Erbscheins notwendigen Tatsachen für festgestellt erachtet. Die Beteiligte zu 1. ist aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes O vom 8.2.1977 (UR-Nr. 210/1977 Notar Dr. X in F) alleinige Erbin geworden.
Nach dem Wortlaut des Testaments ist die Beteiligte zu 1) zur Schlusserbin nach der Erblasserin als dem überlebenden Ehegatten eingesetzt. Für den Senat ist es dabei nicht zweifelhaft, dass ihr der 1/2-Erbteil ihrer Schwester E angewachsen ist (§ 2094 Abs.1 S.1 BGB), nachdem diese als Mitschlusserbin weggefallen ist, weil sie durch die Forderung des Pflichtteils nach ihrem Vater die in der Pflichtteilsstrafklausel liegende auflösende Bedingung herbeigeführt hat. Soweit die Beteiligten hierüber gestritten haben, verkennen sie, dass die Frage der Anwachsung mit der weiteren Frage, welche Auswirkungen das Auslösen der Pflichtteilssanktion auf die Bindung des überlebenden Ehegatten hat, in keinem direkten Zusammenhang steht. Denn die Anwachsung bedeutet nicht zwingend, dass die Erblasserin hinsichtlich des anwachsenden Erbteils noch gebunden war, sondern zunächst nur, dass insoweit keine gesetzliche Erbfolge nach der Erblasserin eintritt. Dass dies dem Willen der testierenden Eheleute entsprach, kann angesichts des Gesamtinhalts des Testaments kaum zweifelhaft sein. Denn durch die Schlusserbeinsetzung der Kinder des Ehemanns der Erblasserin wurde dessen Verwandtschaft der Vorrang vor der weiteren Verwandtschaft der Erblasserin eingeräumt. Anhaltspunkte dafür, dass nur eines der Kinder keinesfalls Alleinerbe werden oder die gesetzlichen Erben der Erblasserin wenigstens hilfsweise zum Zuge kommen sollten, bestehen nicht. Bei dieser Sachlage bleibt es dann aber bei dem anerkannten Erfahrungssatz, dass beim Wegfall eines von mehreren Schlusserben die Anwachsung am ehesten dem Willen der Testatoren entspricht, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Ersatzschlusserbfolge gewollt war (Senat FGPrax 2011, 169; BayObLG 2004, 654).
Soweit die Beschwerde hier davon ausgehen will, dass die Erblasserin als "Stiefelternteil" keinen Anlass gehabt habe, das Stiefkind, das den Pflichtteil nicht verlangt, dafür zu belohnen, dass das andere Stiefkind ihn geltend macht, werden zwei Gesichtspunkte verkannt. Zunächst kommt es, auch soweit es um ihre Verfügung geht, nicht alleine auf die Sicht der Erblasserin, sondern auf die korrespondierende Willensrichtung beider Ehegatten an, die hier aber gerade die Begünstigung der Stiefkinder zulasten der Angehörigen der Erblasserin vorsah. Im Übrigen kann die Anwachsung auch aus der Sicht des überlebenden Ehegatten durchaus Sinn machen, da der verbliebene Schlusserbe hierdurch einen erhöhten Anreiz erhält, den Pflichtteil nun erst recht nicht geltend zu machen.
Im Weiteren ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Schlusserbeneinsetzung – jedenfalls für den Fall, dass kein Kind den Pflichtteil geltend macht – wechselbezüglich zur Erbeinsetzung der Erblasserin und damit für diese bindend war. Hierfür streitet bereits die allgemeine Lebenserfahrung. Vorliegend konnte der Ehemann der Erblasserin diese dazu bewegen, seine Kinder zu ihren Schlusserben einzusetzen. Wenn bei der hieraus erkennbaren Präferenz für seine Kinder der Ehemann diese für den Fall seines Erstversterbens gleichwohl zugunsten der Erblasserin enterbte, so liegt es mehr als nahe, dass diese Regelung in Wechselwirkung mit der Schlusserbeneinsetzung der Kinder durch die Erblasserin steht. Anhaltspunkte für ein anderweitiges Verständnis des beiderseitigen Willens der Testatoren sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist allein die Erklärung der Erblasserin anlässlich des Abschlusses des Erbvertrags mit Manfred Wilms vom 30.9.2006, sie sei erbrechtlich nicht gebunden, keine hinreichende Grundlage für eine andere Beurteilung. Derartige Erklärungen finden sich bei dem hier vorliegenden zeitlichen Abstand erfahrungsgemäß häufig, und zwar selbst dann, wenn die Bindung des überlebenden Ehegatten angesichts des Inhal...