Im Jahr 2000 hat Erblasser E seiner Ehefrau F einen Betrag von 10.000 EUR geschenkt. Im Jahr 2006 schenkte E seinem Patenkind P 10.000 EUR. E stirbt vier Jahre nach dieser Schenkung im Jahre 2010. Er hat sich kurz vor seinem Tod von F scheiden lassen. Der Nachlass ist dürftig. E hat testamentarisch seine neue Lebensgefährtin L zu seiner Alleinerbin bestimmt. E hinterlässt seine Tochter T. Wie hoch ist der Pflichtteil der T bei einer Quote von 1/2? Gegen wen muss sie ihn durchsetzen?
Lösung: In Betracht kommt nur ein Ergänzungsanspruch nach § 2325 BGB. Bei der Schenkung an F wird nichts abgeschmolzen, da die Frist erst ab Auflösung der Ehe zu laufen begann, § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB. Anzusetzen sind daher 10.000 EUR. Bei der Schenkung an P greift hingegen § 2325 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 BGB mit der Folge der Abschmelzung um 40 %. Anzusetzen sind daher noch 6.000 EUR. Damit ergibt sich ein Anspruch der T auf Pflichtteilsergänzung in Höhe von 8.000 EUR.
Schuldner des Anspruchs ist Alleinerbin L, die die Erbenhaftung aber nach § 1990 BGB abwehrt. Folglich haften die beschenkten F und P gem. § 2329 BGB, und zwar in der zeitlichen Reihenfolge des § 2329 Abs. 3 BGB. Somit haftet vorrangig P, da es der Letztbeschenkte ist. Dass die Frist bei F erst 2010 zu laufen begann, ändert nichts an der zeitlichen Reihenfolge, da der maßgebliche Vollzug der Schenkung im Jahr 2000 stattfand. Deshalb haftet der innerhalb der 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB zuletzt Beschenkte mit seinem Geschenk auch für die länger als 10 Jahre zurückliegende Schenkung an den Ehegatten.
Zu klären ist damit noch die Höhe der Haftung des P. Damit ist die Frage nach den Auswirkungen der Abschmelzung des Ergänzungsanspruchs auf § 2329 BGB aufgeworfen. Der Reformgesetzgeber hat sich zu dieser Thematik nicht geäußert. Konkret: Haftet P mit seinem Geschenk von 10.000 EUR für den Ergänzungsanspruch der T von 8.000 EUR oder nur in Höhe von 6.000 EUR – nur mit diesem Betrag ist das Geschenk bei der Berechnung eingestellt – und ist darüber hinaus nicht mehr "verpflichtet" iSv § 2329 Abs. 3 BGB, sodass dann die früher beschenkte F haftet und die restlichen 2.000 EUR beisteuern muss?
Das neue Recht hat hier einen neuen Meinungsstreit geboren, was bei der Qualität des Reformgesetzes aber nicht verwunderlich ist. Es gibt erwartungsgemäß zwei Auffassungen und man kann trefflich streiten, welche die herrschende ist:
Es wird vertreten, dass der Beschenkte nur in Höhe des seiner abgeschmolzenen Schenkung entsprechenden Betrags haftet. Der Gesetzgeber hatte bei der Einführung der Abschmelzungsregel gerade auch den Gewinn an Rechtssicherheit für die Beschenkten im Blick. Folglich wäre die Haftung des P auf 6.000 EUR beschränkt.
Eine aA lehnt eine Haftungsbeschränkung aus der beim Letztbeschenkten vorzunehmenden Abschmelzung ab und lässt den Haftungsumfang des § 2329 BGB trotz der vorzunehmenden Abschmelzung unverändert. Die Erbrechtsreform hat nichts daran geändert, dass der Beschenkte immer mit dem ganzen Gegenstand auf den vollen Wert des Ergänzungsanspruchs haftet, d. h. trotz Pro-rata-Regelung bleibt die volle "Haftungsverstrickung" des Geschenks erhalten. Hätte der Gesetzgeber die Deckelung auf den abgeschmolzenen Wert gewünscht, hätte er dies in § 2329 BGB klar zum Ausdruck bringen müssen, und zwar in dessen Abs. 1: "... kann der Pflichtteilsberechtigte von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks in dem Umfang, in welchem es nach § 2325 Abs. 3 BGB berücksichtigt worden ist, zum Zwecke der Befriedigung wegen des fehlenden Betrags nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern." Folglich wäre P mit ihrem ganzen Geschenk für den Ergänzungsanspruch von 8.000 EUR haftbar und F bliebe verschont.