Die spannendste juristische Dynamik im vergangenen Jahr war die Aufarbeitung der Entscheidung des BVerfG vom 11.8.2009, wonach mittels einer Videoaufzeichnung vorgenommene Geschwindigkeitsmessungen einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. Was sollte nun mit den Bescheiden passieren, deren Messungen unter diesem Verfassungsverstoß vorgenommen worden waren? Die Amtsgerichte reagierten darauf zunächst häufig mit Verfahrenseinstellungen nach § 47 OWiG. Die Obergerichte hingegen traten dafür ein, dass trotz verfassungswidriger Erhebung ein Beweisverwertungsverbot nicht bestehe.
Aber auch für eine anlassbezogene Videoaufzeichnung bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigung in den Eingriff. Da jedenfalls für Verwaltungsjuristen das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigungsnorm bei einem Grundrechtseingriff eine Selbstverständlichkeit darstellen sollte, wäre der normale Gang der Dinge gewesen, dass sich Verwaltungen vor der Nutzung neuer technischer Geräte zur Geschwindigkeitsmessung hierüber Gedanken machen und gegebenenfalls eine Ermächtigungsnorm schaffen. So ist es aber ganz offensichtlich nicht gewesen, man hat zur Anwendung gebracht, was technisch möglich ist. Das Versäumnis liegt also bei der öffentlichen Verwaltung, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Im Ergebnis ist das aber für die Verwaltung gut ausgegangen, es gibt ja noch die Justiz. Bei der eifrigen Suche nach einer Ermächtigungsnorm stieß man auf § 100h StPO, der für die Terrorismusabwehr eingeführt wurde und nach seinem Wortlaut m.E. erkennbar nicht die Verkehrsüberwachung betrifft. Schnell entschieden die Oberlandesgerichte, dass § 100h StPO die erforderliche Rechtsgrundlage für den Grundrechtseingriff ist. In einer Examensklausur wäre diese Auslegung m.E. erfolgsgefährdend gewesen. Das BVerfG sah dann in dieser Auslegung zumindest keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Meinem Verständnis von Gewaltenteilung wird diese Entwicklung nicht gerecht. Das offensichtliche Versäumnis der Verwaltung wurde durch die Justiz "gerettet". War das denn nötig, wäre das christliche Abendland untergegangen, wenn man Bescheide aufgehoben hätte, denen ein Verfassungsverstoß zugrunde lag? Immerhin geht es hier nicht um Kapitalverbrechen, sondern um ein Verfahren, das ohnehin schon nur dem Opportunitätsprinzip unterliegt. Betroffen sind i.d.R nicht kriminelle Bürger, von denen der Staat rechtmäßiges Verhalten verlangt, dies aber selbst nicht leistet. Natürlich wird das öffentliche Interesse der Verkehrssicherheit entgegengehalten – aber die Anzahl der tatsächlichen Verkehrsübertretungen wird ja nicht verändert, ob man § 100h StPO als Rechtsgrundlage ansieht oder nicht.
Unverständlich ist mir auch, warum die Justiz mit Ausnahme des AG Herford es immer noch hinnimmt, dass Lasermessungen nicht filmisch aufgezeichnet werden. Technisch ist das längst möglich und der Preis für optische Aufzeichnungsgeräte ist heute minimal. Die Verwaltungen haben natürlich kein Interesse, solche Aufzeichnungen zu fertigen, ergibt sich dadurch doch das Risiko, dass in den Gerichtsverfahren Bescheide aufgehoben werden. Die Gerichte begnügen sich damit, dass die messenden Polizeibeamten entsprechend ihrer subjektiven Überzeugung dem Richter bestätigen, dass sie immer alles richtig machen. Damit entscheidet letztlich der Polizist und nicht der Richter über die Verurteilung des Betroffenen. Die mögliche objektive Klärung, ob Fehlermöglichkeiten vorgelegen haben, wird vereitelt. Der ordentliche Bürger, für den ein Fahrverbot i.d.R. gravierendste Sanktion des Staates darstellt, hätte diese geringe Sorgfalt bei der gerichtlichen Aufklärung verdient.
Im Spannungsfeld zwischen den fiskalischen Interessen der Verwaltung und dem Anspruch auf rechtsstaatliche Behandlung des Bürgers ist der Bürger – leider – nur zweiter Sieger.