VVG § 19 Abs. 1, Abs. 4 S. 2
Leitsatz
Voraussetzung des Vertragsanpassungsrechts – wie aller sich aus der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit ergebenden Rechte – des Versicherers ist, dass er die positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von den erfragten gefahrerheblichen Umständen zu beweisen vermag.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 25.9.2019 – IV ZR 247/18
Sachverhalt
Der Kl. verlangt von dem beklagten Versicherer, eine im Wege der Vertragsanpassung gem. § 19 Abs. 4 S. 2 VVG nachträglich in seine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung aufgenommene Ausschlussklausel wieder aus dem Vertrag herauszunehmen und sämtliche durch die nachträgliche Vertragsanpassung eingetretenen Änderungen rückgängig zu machen.
Er schloss gem. Antrag vom 30.4.2009 bei der Bekl. einen kapitalbildenden Lebensversicherungsvertrag mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab. Versicherungsbeginn war der 1.5.2009, der Versicherungsschein wurde am 11.5.2009 ausgestellt. Der Vertragsschluss erfolgte mithilfe eines für die Bekl. tätigen Versicherungsvertreters. In dem Antragsformular wurden die Fragen nach Krankheiten, Funktionsstörungen, Beschwerden und Behandlungen in den letzten fünf Jahren sowie nach (auch ambulanten) Operationen und stationären Aufenthalten in den letzten zehn Jahren, einschließlich der Frage in Ziffer 6.16) nach "Unfälle[n] (unerheblich sind einfache, folgenlos verheilte Knochenbrüche ohne Gelenkbeteiligung)", verneint.
Tatsächlich hatte der Kl. im November 2008 eine Fraktur am linken Wadenbein erlitten, aufgrund der er vom 12.11. bis zum 16.11.2008 stationär behandelt worden und in der Zeit vom 10.11.2008 bis 13.1.2009 arbeitsunfähig erkrankt war. Hiervon erfuhr die Bekl. im Rahmen der Leistungsprüfung wegen einer anderen Erkrankung des Kl., die in den Jahren 2013 bis 2015 zu Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung führte. Mit Schreiben vom 23.12.2014 schloss sie in die Versicherung rückwirkend ab deren Beginn eine besondere Vereinbarung ein, die sämtliche Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit vom Versicherungsschutz ausschließt, deren Ursache die Unfallverletzung am linken Außenknöchel des Fußes oder nachgewiesene Folgen dieses Leidens bilden. Zur Begründung berief sie sich auf eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Kl.
Der Kl. hat sich in den Vorinstanzen darauf berufen, ihm könne eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung nicht zur Last gelegt werden und die Bekl. sei daher auch nicht zu einer Vertragsanpassung berechtigt. Er habe dem Versicherungsvertreter gegenüber korrekt angegeben, im November 2008 eine Wadenbeinfraktur links erlitten zu haben und deshalb auch in stationärer Behandlung und krankgeschrieben gewesen zu sein. Nach seinem damaligen Kenntnisstand habe es sich um einen komplikationslosen und verheilten Bruch ohne Verletzung des Sprunggelenks gehandelt. Der Versicherungsvertreter habe ihm gesagt, die Fraktur müsse unter diesen Voraussetzungen nicht angegeben werden. Darauf habe er sich verlassen.
2 Aus den Gründen:
"…"
[6] II. Das BG hat einen Anspruch der Bekl. auf Vertragsanpassung verneint, weil deren Rechte aus § 19 Abs. 4 S. 2 VVG gem. § 21 Abs. 3 S. 1 VVG nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss erloschen seien. Dem stehe der Eintritt des Versicherungsfalles im Jahr 2013, anlässlich dessen die Bekl. von der für die Vertragsanpassung maßgeblichen Fraktur mit Gelenkbeteiligung erfahren habe, nicht entgegen. Denn für die Regulierung des Versicherungsfalles habe diese Information keine Bedeutung gehabt. Die Auslegung von § 21 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 VVG ergebe, dass vor Fristablauf eingetretene Versicherungsfälle den Ablauf der Frist nicht hinderten, sofern sich die Verletzung der Anzeigepflicht auf einen Umstand beziehe, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich sei.
[7] III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S.v. § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a S. 1 ZPO).
[8] 1. Das BG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, weil seine Auslegung des § 21 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 VVG von der Kommentarliteratur überwiegend abweichend beurteilt werde. Auf diese Frage kommt es im Streitfall jedoch nicht entscheidungserheblich an, so dass ein Revisionszulassungsgrund nicht gegeben ist (…). Ein Recht der Bekl. zur Vertragsanpassung nach § 19 Abs. 4 VVG besteht bereits deshalb nicht, weil der Kl. seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit schon objektiv nicht verletzt hat.
[9] Die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG, auf die die Fristenregelung in § 21 Abs. 3 S. 1 VVG verweist, entstehen nur dann, wenn der Versicherungsnehmer seine Obliegenheit verletzt, dem Versicherer die ihm bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung bekannten Gefahrumstände anzuzeigen (§ 19 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VVG). Daran fehlt es hier, denn nach den Feststellungen der Vorinstanzen war dem ...