BGB § 253 § 254 § 823 Abs. 1
Leitsatz
Das Filmen bei Betreten der Wohnung mittels Handy ohne Einwilligung des Bewohners schließt im Falle einer körperlichen Auseinandersetzung der Beteiligten einen Anspruch des filmenden (Verletzten) auf Schmerzensgeld gegenüber dem Bewohner wegen groben Mitverschuldens aus.
(Leitsatz des Einsenders)
AG Lemgo, Urt. v. 4.3.2020 – 19 C 491/19
Sachverhalt
Die Kl. betrat die Wohnung der Bekl., wobei sie nach ihrer Darstellung zu ihrer eigenen Sicherheit mit ihrem mitgeführten Handy ohne Zustimmung der Bekl. in deren Wohnung filmte. Die Bekl. versuchte nach Gewahrwerden der Aufnahme, die weiteren Aufnahmen und deren Versendung zu verhindern. Bei der dabei entstehenden körperlichen Auseinandersetzung an der sich auch die Kl. beteiligte, wurde die sie verletzt. Sie machte den Ersatz der Behandlungskosten und Schmerzensgeld geltend.
Das AG wies die Klage ab.
2 Aus den Gründen:
"… Der Kl. steht kein Anspruch auf materiellen oder immateriellen Schadensersatz gegen die Bekl. aufgrund der körperlichen Auseinandersetzung v. 16.9.2019 zu."
Ungeachtet des zwischen den Parteien streitigen Verlaufs der Auseinandersetzung ist zwar ist vom Vorliegen der haftungsbegründenden Voraussetzungen von § 823 Abs. 1 BGB auszugehen. Dem Anspruch steht indes entgegen, dass die Kl. in jedem Fall ein überragendes und damit haftungsausschließendes Mitverschulden gem. § 254 BGB trifft. Denn die Kl. hat sich der Bekl. in einer Weise genähert, die eine Eskalation befürchten ließ: Sie hat die Wohnung der Bekl. betreten, während sie mit ihrem Handy filmte. Ein Einverständnis der Bekl. hatte sie nicht eingeholt; vielmehr hat sie ihr Verhalten im Rahmen der mündlichen Verhandlung damit erklärt, zu ihrer eigenen Sicherheit gefilmt zu haben Hätte die Kl. gehörig nachgedacht, hätte sie erkennen können und müssen, dass sie damit die Persönlichkeitsrechte der Bekl. quasi mit Füßen tritt. Niemand hat es hinzunehmen, in seinem persönlichen Wohnbereich ungefragt gefilmt zu werden. Nachvollziehbarerweise hat die Bekl. nach Gewahrwerden des Filmens versucht, eine weitere Aufnahme oder die Versendung der Aufnahme zu verhindern. Dass dieser Versuch in eine körperliche Auseinandersetzung mündet, war vorherzusehen. Losgelöst davon, dass die Kl. sich zur Überzeugung des erkennenden Gerichts auch aktiv an der Auseinandersetzung beteiligt hat, indem sie die Bekl. körperlich angegangen ist, stellt bereits das unberechtigte Filmen einen Umstand dar, der die Kl. daran hindert, für erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld zu fordern bzw. für die im Rahmen der Behandlung angefallenen Kosten Ersatz zu verlangen.
Weil ein Anspruch nicht besteht, ist nicht festzustellen, dass ein solcher aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt. Zudem gab es auch keinen Grund für die Kl., vorgerichtlich einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen zu beauftragen. Die hierdurch bedingten Kosten hat die Kl. selbst zu tragen. …“
Mitgeteilt von RA Thomas Grell, Rinteln
3 Anmerkung:
Ob lediglich ein haftungsausschließendes Mitverschulden der Kl. vorlag, die eine drohende Auseinandersetzung dadurch intensivierte, dass sie zu "Sicherheitszwecken" filmen und verwerten wollte oder darin ein Angriff der Kl. auf das Persönlichkeitsrecht der Bekl. gelegen haben könnte. Dafür spricht die strafrechtliche Bestimmung des § 201a i Nr. 4 StGB, wonach Selbstaufnahmen des Tatopfers Gegenstand der unbefugten Weitergabe im Sinne dieser Bestimmung sind (vgl. BGH NJW 2020, 3608; m.w.N.).
Bei der Beurteilung des Verhaltens der Beteiligten ist neben der strafrechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen, dass der Bekl. ein Recht am eigenen Bild zustand, was auch Wirkungen im Zivilrechtsverhältnis der Parteien aufgrund der Drittwirkung der Grundrechte als objektive Wertordnung entfaltete (vgl. BVerfGE 7,198 [204 ff.]; Brohm NJW 2001, 1 ff.). Auch im Zivilrechtsverhältnis der Parteien war bei der Abwägung ihres Verhaltens das der Bekl. zustehende Recht am eigenen Bild zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 35, 202; BGH NJW 1994, 596). Eine Verletzung des Rechts der Bekl. am eigenen Bild lag vor, da ihr Recht auf Bestimmung der Darstellung der eigenen Person durch die Kl. aufgrund der unerlaubten Aufnahme mit dem Handy missachtet wurde (vgl. BVerfGE 101, 361 [381]; BGH NJW 1996, 1128 [1129]).
Durfte sich die Bekl. des Angriffs der Kl. auf ihr Persönlichkeitsrecht erwehren, entfiel ihre Haftung auf Ersatz der Schäden der Kl.
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 3/2021, S. 145 - 146