Der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz konkretisiert sich nicht zu einer Gleichheit in der Rechtsprechung. Neben der persönlichen Einstellung des Richters zu Geschwindigkeitsverstößen und zu seiner Amtspflicht, sich mit diesen zu befassen, sind auch die mangelnde Kenntnis über die Rechtsprechungspraxis anderer Gerichte zu Grenz- und Regelfällen ein wichtiger Grund für die unterschiedliche Behandlung gleichgelagerter Fälle. Eine gewisse Entscheidungsbreite bei Urteilen zu den Fällen einer Verstoßgruppe des BKat ist eine zwingende Folge der Versuche zwischen Regel- und Grenzfall zu differenzieren. Auf eine solche Differenzierung zu verzichten, kann ebenso wenig wünschenswert sein, wie die große Breite der Rechtsprechungspraxis in vergleichbaren Fällen dauerhaft bestehen zu lassen. Letzteres widerspräche einer Berechenbarkeit der Justiz. Solange bundeseinheitliche Auffassungen über bestimmte Fallkonstellationen fehlen, muss die Rechtsprechungsbreite zu diesen noch offenen Fallgruppen veröffentlicht und erörtert werden. Das Bemühen um eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung erfordert zumindest, dass Richter die Spannweite der Entscheidungen gleichgelagerter Fälle kennen, um ihre Urteilspraxis überdenken können.
Nachfolgend sollen Fallgruppen strukturiert werden, nach denen besser zwischen Regel- und Grenzfällen differenziert werden könnte:
1. Fahrlässigkeitsgrade
§ 276 Abs. 2 BGB definiert: "Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt." Diese für den Rechtsverkehr gedachte Definition ist auch für das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht problemlos übernehmbar. So wie das BGB verzichtet auch der BKat allerdings auf eine weitere Differenzierung nach Fahrlässigkeitsgraden. Dagegen sind die arbeitsrechtlichen Entscheidungen zur Arbeitnehmerhaftung und zur versicherungsrechtlichen Obliegenheitsverletzungen schon deutlich ausdifferenzierter. Zumindest die versicherungsrechtliche Rechtsprechung ist zwar noch nicht hinreichend übersichtlich und einheitlich, aber die Bemühungen in diese Richtung sind, anders als noch beim Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht, deutlich erkennbar.
Danach handelt grob fahrlässig, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und in ungewöhnlich hohem Maße dasjenige unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Auch diese Definition könnte problemlos auf das Ordnungswidrigkeitenrecht angewandt werden und zu einer Rechtsfolge führen, die zwischen einer Regelbuße und einer Vorsatzverurteilung liegt. Mit Ausnahme von Aufschlägen für Voreintragungen wird hiervon aber von der Rechtsprechung kaum Gebrauch gemacht.
Die durchschnittliche Fahrlässigkeit ist der Regelfall, von dem der BKat ausgeht und bedarf keiner weiteren Vertiefung.
Ebensowenig wie die grobe findet auch die leichte oder unterdurchschnittliche Fahrlässigkeit keine Differenzierung im BKat. Im Ordnungswidrigkeitenrecht wird sie üblicherweise mit dem Begriff des "Augenblickversagens" verbunden, wobei der Begriff im Zivilrecht nur der Abgrenzung zur groben und nicht explizit zu einem unterdurchschnittlichen Fahrlässigkeitsgrad dient.
a) Innere Umstände beim Betroffenen
Im Kaskoversicherungsrecht wird mit Bezugnahme auf die BGH-Rechtsprechung von einem Augenblicksversagen ausgegangen, wenn eine unbewusst fahrlässige Handlung eingetreten ist, die auch einem ansonsten pflichtbewussten und sorgfältigen Fahrer einmal unterlaufen und als Ausrutscher oder einmaliges Versagen letztlich jedem Autofahrer passieren kann. Die reine Feststellung des einmaligen Versagens genügt allerdings nicht um nur einfache Fahrlässigkeit anzunehmen. Es müssen weitere individuelle Umstände, wie eine Krankheit oder eine nachvollziehbare Ablenkung hinzutreten.
Die nachvollziehbare Ablenkung ist ein geeigneter Anknüpfungspunkt zum Augenblicksversagen im Ordnungswidrigkeitenrecht. Manche Richter halten Vortrag hierzu nur für glaubhaft, wenn er rechtzeitig und persönlich vorgetragen wird.
Diese Umstände eignen sich häufig nicht für einen einheitlichen Vergleich. Bei überwiegend inneren Um- und Zuständen des Betroffenen muss es deshalb wohl bei Einzelfallbetrachtungen bleiben und auf eine vergleichende Fallgruppenbildung verzichtet werden.