GG Art. 3 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3; StVG § 24; StVO § 49 Abs. 1 Nr. 13 Var. 3 § 13 Abs. 1, Abs. 2; BVerfGG § 95 Abs. 1 § 93c Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 93a Abs. 2
Leitsatz
Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer eines gegen ihn gerichteten Bußgeldverfahrens wegen Überschreitung der zulässigen Höchstparkdauer Halter des in Rede stehenden Pkws ist, darf bei Fehlen jedes weiteren Beweisanzeichens nicht auf dessen Täterschaft geschlossen werden. Wird bei einem Parkverstoß einzig aus der Haltereigenschaft auf den Verursacher geschlossen, verstößt dies gegen das Willkürverbot. Angesichts der zwischenzeitlich einhelligen Auffassung in Literatur und fachgerichtlicher Rechtsprechung zum unzureichenden Beweiswert der Haltereigenschaft als solcher ist nicht auszuschließen, dass das AG bei sachgerechter Verfahrensweise und bei Zugrundelegung sachgerechter Erwägungen zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre. (Leitsatz der Schriftleitung)
BVerfG, Beschl. v. 17.5.2024 – 2 BvR 1457/23
1 Sachverhalt
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Bußgeld wegen Überschreitung der zulässigen Höchstparkdauer.
1. Mit Bußgeldbescheid vom 29.12.2022 setzte der Bürgermeister der Kreisstadt S. gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße in Höhe von 30 EUR fest. Hintergrund war der Vorwurf, der Beschwerdeführer habe am 6.10.2022 als Halter und Fahrer eines Pkw die vor Ort zulässige Höchstparkdauer von einer Stunde unter Verstoß gegen Zeichen 314 mit Zusatzzeichen nach Anlage 3 StVO sowie § 13 Abs. 1, 2, § 49 StVO, § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG und Nr. 63.3 BKat überschritten. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Einspruch.
2. Mit angegriffenem Urt. v. 23.5.2023 verhängte das AG Siegburg daraufhin gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße in Höhe von 30 EUR wegen fahrlässiger Überschreitung der Höchstparkdauer.
Das Gericht war davon überzeugt, dass der Beschwerdeführer das auf ihn zugelassene Fahrzeug am 6.10.2022 um etwa 14:30 Uhr geparkt und unter der Frontscheibe eine Parkscheibe ausgelegt habe, die als Ankunftszeit 14:30 Uhr ausgewiesen habe. Um 17:35 Uhr habe sich das Fahrzeug nach wie vor unbewegt auf dem Parkplatz befunden. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Beschwerdeführer die Anordnung der zulässigen Höchstparkdauer und seine Überschreitung derselben erkennen können und müssen.
Der Beschwerdeführer habe geschwiegen. Die Feststellungen zur Person basierten auf den Angaben im Bußgeldbescheid, die der Beschwerdeführer bestätigt habe, und auf der verlesenen Auskunft des Fahreignungsregisters. Die Feststellungen zur Sache beruhten auf den verlesenen Angaben im Bußgeldbescheid, den Lichtbildern sowie dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des in Rede stehenden Fahrzeugs sei.
3. Den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den der Beschwerdeführer namentlich damit begründete, dass der Rückschluss auf ihn als Nutzer des Fahrzeugs allein aus der Haltereigenschaft fehlerhaft sei, verwarf das OLG Köln mit Beschl. v. 12.9.2023 – III-1 ORbs 292/23 – als unbegründet, da eine Nachprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung weder zur Fortbildung des sachlichen Rechts noch wegen Versagung rechtlichen Gehörs geboten sei.
2 Aus den Gründen:
“… II.
[7] Mit seiner am 9.10.2023 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, durch das angegriffene Urt. des AG in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG verletzt zu sein. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass eine Beweisaufnahme nach strafprozessualen Regeln nur insoweit stattgefunden habe, als ein Lichtbild in Augenschein genommen worden sei, das das streitbefangene Fahrzeug zeige. Eine weitere Beweisaufnahme habe nicht stattgefunden, insbesondere sei die im Bußgeldbescheid angeführte Zeugin nicht geladen und gehört worden. Verfassungsgerichtlich sei längst geklärt, dass seine zuvor genannten Rechte verletzt seien, wenn einzig aus der Haltereigenschaft gefolgert werde, dass der Halter den behaupteten Verkehrsverstoß begangen habe. Er habe Verfassungsbeschwerde erhoben, damit der Willkür in nicht rechtsmittelfähigen Sachen in Zukunft nicht Tür und Tor geöffnet sei. Ebenso würde sonst die Unschuldsvermutung des Art. 6 EMRK in ihr Gegenteil verkehrt. …
[9] III. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das BVerfG hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG; vgl. BVerfG, Beschl. der 2. Kammer des Zweiten Senats v. 31.8.1993 – 2 BvR 843/93 –, juris). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG).
[10] 1. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Wi...