OWiG § 74 Abs. 2
Leitsatz
1. Ist der Verteidiger entgegen §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, 218 S. 1 StPO nicht zur Hauptverhandlung geladen worden und nicht erschienen, ist eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht zulässig.
2. Eine Eingangsbestätigung belegt nur den elektronischen Eingang auf dem Server des von Rechtsanwaltskanzlei in Anspruch genommenen Dienstleisters, allenfalls auf dem Server der Kanzlei, keinesfalls aber die Kenntnisnahme durch den Rechtsanwalt im Sinne eines elektronischen Empfangsbekenntnisses.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.5.2020 – 1 OWi 2 Ss Rs 91/20
Sachverhalt
Gegen den Betr. erging ein mit Bußgeldbescheid über 120 EUR belegt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das AG den Einspruch des Betr. gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. In den Urteilsgründen hat das AG ausgeführt: Der Betr. sei zum Hauptverhandlungstermin ordnungsgemäß geladen worden und ohne von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden worden zu sein, unentschuldigt ausgeblieben. Die auf telefonische Nachfrage erteilte Auskunft der Kanzlei des Verteidigers, keine Ladung erhalten zu haben, ändere nichts an der Verpflichtung des Betr. zu dem Termin zu erscheinen. Im Übrigen sei der Verteidiger ausweislich der Eingangsbestätigung vom 10.10.2019 (über das besondere elektronische Anwaltspostfach) zu dem telefonisch vereinbarten Hauptverhandlungstermin geladen worden.
Das OLG Zweibrücken hat auf die Rechtsbeschwerde des Betr. diese zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. zugelassen, die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen und alsdann das Urteil des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"… Ist der Verteidiger entgegen §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, 218 S. 1 StPO nicht zur Hauptverhandlung geladen worden und nicht erschienen, ist eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht zulässig (BayObLG, Beschl. v. 22.9.2000 – 2 ObOWi 462/00; BayObLG, Beschl. v. 4.4.2001 – 2 ObOWi 19/01; OLG Bamberg, Beschl. v. 30.11.2006 – 2 Ss OWi 1521/06; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.1.1997 – 2 Ss <OWi> 18/97; OLG Hamm, Beschl. v. 5.10.2011 – III-3 RBs 271/11; KG, Beschl. v. 8.11.2000 – 2 Ss 192/00 – 3 Ws <B> 403/00)."
Die Ladung des Verteidigers ist hier nicht nachgewiesen. Der Verteidiger hat dem AG kein elektronisches Empfangsbekenntnis i.S.v. § 174 Abs. 4 S. 3–5 ZPO übermittelt. Die Ladung gilt auch nicht gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch tatsächlichen Zugang als zugestellt. Zwar hindert allein der Umstand, dass der Rechtsanwalt eine Rücksendung des ihm zur Beurkundung des Zustellungsempfangs übermittelten Empfangsbekenntnisses unterlässt, eine Heilung des Zustellungsmangels gem. § 189 ZPO nicht; dies setzt aber voraus, dass neben dem tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Schriftstücks die weiter erforderliche Empfangsbereitschaft des Zustellungsempfängers festgestellt werden kann (BGH NJW-RR 2015, 953 f. für eine gescheiterte Zustellung gem. § 174 Abs. 1 ZPO). Entsprechendes muss für das elektronische Empfangsbekenntnis gelten. Die Eingangsbestätigung belegt nur den elektronischen Eingang auf dem Server des von Rechtsanwaltskanzlei in Anspruch genommenen Dienstleisters, allenfalls auf dem Server der Kanzlei, keinesfalls aber die Kenntnisnahme durch den Rechtsanwalt (zum Ganzen: Biallaß NJW 2019, 3495, 3496 f.).
Es ist hier auch nicht nachgewiesen, dass der Verteidiger in anderer Weise zuverlässig Kenntnis vom Termin erlangt hätte (BGH NStZ 1985, 229). Die in der Rechtsbeschwerdebegründung mitgeteilte Kontaktaufnahme durch den Betr. hat dem Verteidiger die zuverlässige Kenntnis vom Termin gerade nicht vermittelt; denn der Rechtsanwalt ist – so sein Vortrag – davon ausgegangen, dass die Nachricht seines Mandanten unrichtig ist. Die Absprache des Hauptverhandlungstermins begründet unabhängig davon, ob die Absprache überhaupt mit dem Verteidiger selbst getroffen worden ist, regelmäßig nicht die Kenntnis davon, dass der Termin auch stattfindet.
Der Rechtsbeschwerdebegründung ist auch zu entnehmen, dass der Verteidiger, wenn er geladen worden wäre, zur Hauptverhandlung erschienen wäre.
Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das AG.“
zfs 9/2020, S. 533 - 534