PflVG § 12; ZPO § 448
Leitsatz
1. Eine Vernehmung der beweisbelasteten Partei nach § 448 ZPO – ohne Rücksicht auf die Beweislast – kommt nur dann in Betracht, wenn nach dem Ergebnis der Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme die Überzeugung von dem Vorliegen der zu erweisenden Tatsache nicht gewonnen werden kann, jedoch nach dem bisherigen Ergebnis der Verhandlung objektive Anhaltspunkte für eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der streitigen Behauptung spricht.
2. Es gibt keine tatsächliche Vermutung oder einen Erfahrungssatz dahingehend, dass zeitnahe, nach einem Unfall liegende Schilderungen eines Unfalls, für den es keine Zeugen gibt, die tatsächlichen Begebenheiten zutreffend wiedergeben.
(Leitsätze der Schriftleitung)
AG Hannover, Urt. v. 19.2.2014 – 425 C 6064/13
Sachverhalt
Der Kl., der mit einem geliehenen Quad auf schnurgerader Strecke aus zwischen den Parteien streitigen Gründen verunglückte, erlitt hierbei multiple Gesichtsfrakturen, eine Schädelbasisfraktur, Stirnhöhlenwandfraktur, Nasenbeinfraktur und multiple Frakturen in den Schädel- und Gesichtsschädelknochen. Nach Ablehnung der von dem Kl. geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und der begehrten Feststellung der Eintrittspflicht der Bekl., des Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen, durch deren Regulierungskommission, hat der Kl. die Schiedsstelle angerufen, die von einem Einigungsvorschlag abgesehen hat. Zur Begründung der mit der Klage weiter verfolgten Ansprüche behauptet der Kl., zum Unfallzeitpunkt mit dem Quad eine Geschwindigkeit von ca. 45 km/h eingehalten zu haben. Ihm sei ein Pkw, der gerade einen anderen Pkw überholt habe, auf seiner Fahrspur entgegengekommen, so dass er nach rechts habe ausweichen müssen. Er habe den Quad nach rechts in eine Hecke gelenkt, in der sich mehrere Metallstangen, die zu einem Werbeschild gehörten, befunden hätten. Mit dem Kopf sei er gegen eine Querstange gestoßen, so dass sein Helm zerstört worden sei und er erhebliche Gesichtsverletzungen erlitten habe. Gegenüber Zeugin B, einer Rettungsassistentin, habe er diesen Unfallablauf auch geschildert, was für die Richtigkeit seiner Angabe spreche.
Der beklagte Entschädigungsfonds hat die Unfalldarstellung des Kl. bestritten. Vielmehr könne es nicht ausgeschlossen werden, dass der Kl. das Quad mit einer überhöhten Geschwindigkeit gefahren habe und bei dem Versuch, das Fahrzeug wieder in den Griff zu bekommen, einen Fahrfehler begangen habe, der zum Abkommen von der Fahrbahn geführt habe. Die gegenüber der Zeugin B. von dem Kl. nach seiner Darstellung gegebene Schilderung des Unfallhergangs belege nicht, dass sich der Unfall, wie vom Kl. behauptet, ereignet habe. Auffällig sei es auch, dass sich der Fahrer des nach der Angabe des Kl. überholenden entgegen kommenden Fahrzeugs nicht gemeldet und die Darstellung des Kl. bestätigt habe.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … Insgesamt ist die Klage aber auch unbegründet. Dem Kl. steht gegenüber der Bekl. kein Entschädigungsanspruch nach § 12 Abs. 1 Ziff. 1 PflVG zu, weil keine ausreichenden objektiven Anhaltspunkte für den vom Kl. behaupteten Geschehensablauf vorliegen."
Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 PflVG kann derjenige, der durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs einen Personen- oder Sachschaden erleidet und dem deshalb Schadensersatzansprüche gegen den Halter, den Eigentümer oder den Fahrer des Fahrzeugs zustehen, diese Ersatzansprüche auch gegen den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen geltend machen, wenn das Fahrzeug, durch dessen Gebrauch der Schaden verursacht worden ist, nicht ermittelt werden kann. Nach § 12 Abs. 2 S. 1 PflVG kann in diesem Fall gegen den Entschädigungsfonds eine billige Entschädigung in Geld wegen eines Schadens, der nicht Vermögenschaden ist (§ 253 Abs. 2 BGB) nur geltend gemacht werden, wenn insoweit die Leistung einer Entschädigung wegen der besonderen Schwere der Verletzung zur Vermeidung einer groben Unbilligkeit erforderlich ist.
Der Kl. kann den Nachweis, dass der Unfall durch den Gebrauch eines anderen Kraftfahrzeugs verursacht worden ist, nicht führen. Eine Anhörung des Kl. gem. § 447 ZPO konnte nicht erfolgen, weil die Bekl. die dafür erforderliche Zustimmung nicht erteilt hat. Auch eine Vernehmung des Kl. gem. § 448 ZPO, wonach das Gericht auch ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast die Vernehmung einer Partei oder beider Parteien anordnen kann, wenn das Ergebnis der Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache zu begründen, kommt nicht in Betracht. Denn es liegen keine objektiven Anhaltspunkte vor, die die Schilderung des Kl. als wahrscheinlich erscheinen lassen. Soweit sich der Kl. auf die Vernehmung der Zeugin B stützt, weil er ihr gegenüber bereits den Unfall entsprechend geschildert haben will, reicht dieses nicht aus. Es gibt keine tatsächliche Vermutung oder keinen Erfahrungssatz dahingehend, ...