Steht unter Beachtung der o.g. Kriterien fest, dass der Betroffene bestimmte psychische Beeinträchtigungen behauptet, die entweder gar nicht oder zumindest nicht auf dem Unfallereignis beruhen, ist neben einer gezielten Aggravation oder Simulation auch die Möglichkeit einer sog. Begehrensneurose in Betracht zu ziehen.
I. Anforderungen an eine Begehrensneurose
Eine sog Begehrens- bzw. Rentenneurose ist zu bejahen, wenn der Geschädigte den Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Sein Zustand ist in diesem Fall entscheidend von einer besonderen Begehrensvorstellung geprägt und der konkrete Schaden austauschbar. Dafür ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Beschwerden entscheidend durch eine neurotische Begehrenshaltung geprägt sind. Für die Beurteilung, ob eine neurotische Begehrenshaltung prägend im Vordergrund steht, kommt es auf den Schweregrad des objektiven Unfallereignisses und seiner objektiven Folgen, auf das subjektive Erleben des Unfalls und seiner Folgen, auf die Persönlichkeit des Geschädigten und auf eventuell bestehende sekundäre Motive an.
Typischerweise kommt eine solche Begehrensneurose bei Menschen in Betracht, die wegen einer erheblichen psychischen Vorbelastung besonders ausgeprägt nach einem Halt und Sicherheit im Leben suchen und deshalb besonders anfällig für die Entwicklung dieses Krankheitsbildes sind. So hat der BGH beispielsweise ein tatrichterliches Urteil bestätigt, bei dem nach ausführlicher Beweisaufnahme durch den medizinischen Sachverständigen eine unfallbedingte Anpassungsstörung nur für den Zeitraum eines Jahres bejaht worden ist, während in der Folgezeit das Unfallereignis als solches für die psychischen Beeinträchtigungen keine wesentliche Bedeutung mehr gehabt hat, sondern der unfallunabhängige Versorgungswunsch in den Vordergrund getreten ist. Dies zeigt zugleich, dass bei einem Verkehrsunfall ohne dramatisches Unfallgeschehen eine behauptete PTBS gar nicht, sehr wohl aber bei erheblichen psychischen Vorbelastungen eine Anpassungsstörung in Betracht kommt, die aber wiederum unter Beachtung der eingangs genannten Kriterien zeitlich beschränkt ist. Dabei hat der Sachverständige auch berücksichtigt, dass der Geschädigte nach dem Unfallereignis längst abgeklungene körperliche Beeinträchtigungen weiter als ganz erhebliche Einschränkungen empfunden und geschildert hat.
II. Juristische Bewertung
Folge einer festgestellten Begehrensneurose ist, dass der Zurechnungszusammenhang zum Unfallereignis durchbrochen wird und damit eine Haftung der Schädigerseite ausscheidet. Das Ergebnis ist mithin nahezu dasselbe, als wenn durch eine umfangreiche Beweisaufnahme festgestellt wird, dass bestimmte Unfallfolgen ab einem bestimmten Zeitpunkt lediglich vorgespielt werden. In diesen Fällen ist es in der Tat auch schwierig, die Hintergründe für die entsprechenden unzutreffenden Angaben bzw. Vorstellungen des Geschädigten aufzuklären, die zu seinen Übertreibungen jenseits objektivierbarer bzw. nachweisbarer Unfallfolgen führen. Im Ergebnis scheidet jedenfalls zu Recht eine Eintrittspflicht der Versichertengemeinschaft in diesen Fällen aus.