VVG § 8 Abs. 3 S. 2 § 9 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Ein ausdrücklicher Wunsch des VN nach vollständiger Vertragserfüllung i.S.v. § 8 Abs. 3 S. 2 VVG setzt ebenso wie dessen Zustimmung zum Beginn des Versicherungsschutzes vor Ende der Widerrufsfrist gem. § 9 Abs. 1 S. 1 VVG voraus, dass der VN entweder über sein Widerrufsrecht belehrt wurde oder der VR aufgrund anderer Umstände davon ausgehen konnte, dem VN sei sein Widerrufsrecht bekannt gewesen.
BGH, Urt. v. 13.9.2017 – IV ZR 445/14
Sachverhalt
Der Kl. verlangt von der Bekl. die Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen. Er beantragte am 8.8.2008 bei der Bekl. den Abschluss eines Rentenversicherungsvertrags mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Bekl. nahm den Antrag an und übersandte dem Kl. den Versicherungsschein. Der Kl. hat behauptet, keine Widerrufsbelehrung erhalten zu haben.
Nachdem der Kl. Versicherungsbeiträge i.H.v. insg. 8.008,75 EUR gezahlt hatte, kündigte er den Vertrag zum 30.6.2011. Die Bekl. zahlte daraufhin einen Rückkaufswert von 3.432 EUR aus. Mit Schreiben v. 15.4.2013 erklärte der Kl. den Widerruf seiner Vertragserklärung. Mit der Klage verlangt er, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, die Rückzahlung der geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzgl. des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insg. 5.710,24 EUR.
2 Aus den Gründen:
[7] "… I. Das BG hat einen aus dem Widerruf resultierenden Prämienrückerstattungsanspruch gem. § 9 VVG i.V.m. §§ 346, 357 Abs. 1 S. 1, 355 BGB verneint. Das Widerrufsrecht des Kl. sei zwar nicht durch Fristablauf erloschen, da die Bekl. nicht bewiesen habe, dass der Kl. eine Widerrufsbelehrung erhalten habe. Es sei aber gem. § 8 Abs. 3 S. 2 VVG erloschen. Mit der vom Kl. jedenfalls zunächst akzeptierten Auszahlung des Rückkaufswertes nach Kündigung des Vertrags seien die beiderseitigen Leistungspflichten vollständig erfüllt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass die Bekl. nach dem Vortrag des Kl. ihren Informationspflichten nach §§ 1 und 2 VVG-InfoV nicht nachgekommen sein soll, da es sich bei diesen lediglich um Nebenpflichten handele. Gegen das Erlöschen des Widerrufsrechts könne der Kl. nicht einwenden, über den Verlust des Widerrufsrechts bei beiderseitiger vollständiger Leistungserbringung nicht informiert worden zu sein."
[8] II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Versicherungsbeiträge kann dem Kl. mit der vom BG gegebenen Begründung nicht versagt werden.
[9] 1. Zutreffend ist das BG allerdings davon ausgegangen, dass die Parteien zunächst einen wirksamen Versicherungsvertrag abgeschlossen haben. Wie der Senat in anderer Sache mit Urt. v. 28.6.2017 (zfs 2017, 632 [in diesem Heft]) entschieden und näher begründet hat, setzt das wirksame Zustandekommen des Versicherungsvertrags nicht voraus, dass der VR dem VN die in § 7 Abs. 1 VVG genannten Vertragsbestimmungen und Informationen vor Abgabe von dessen Vertragserklärung mitgeteilt hat (a.a.O. Rn 16 ff.).
[10] 2. Die Begründung des Berufungsurteils trägt jedoch nicht die Annahme, dass der Kl. sein Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 1 S. 1 VVG durch das Schreiben v. 15.4.2013 nicht wirksam ausgeübt habe.
[11] a) Rechtsfehlerfrei ist das BG allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass das Widerrufsrecht zu diesem Zeitpunkt nicht durch Ablauf der gem. § 152 Abs. 1 VVG dreißigtägigen Widerrufsfrist erloschen war. Im Gegensatz zur Ansicht der Revisionserwiderung ist die Feststellung des BG zugrunde zu legen, dass der Kl. keine Widerrufsbelehrung erhalten hat. Anders als die Revisionserwiderung meint, konnte allein deswegen, weil sich der Kl. auf das Gegenvorbringen der Bekl., ihm die mit der Klageerwiderung vorgelegte Widerrufsbelehrung übersandt zu haben, erstinstanzlich nicht mehr geäußert hat, die entsprechende Behauptung der Bekl. nicht gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen werden. Nach dieser Vorschrift sind Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Dabei kann bereits in einem vorangegangenen widersprechenden Vortrag ein konkludentes Bestreiten nachfolgender Behauptungen liegen (BGH NJW-RR 2001, 1294 unter II 1). So ist es hier. Der Kl. hatte sein Begehren bereits in der Klageschrift auf die Behauptung gestützt, keine Widerrufsbelehrung erhalten zu haben. Weder aus der fehlenden Wiederholung dieser Behauptung im erstinstanzlichen Verfahren noch aus seiner Alternativbegründung des Klagebegehrens kann darauf geschlossen werden, dass der Kl. dem Vortrag der Bekl. zur Übersendung der Widerrufsbelehrung nicht entgegentreten wollte. Wie die Revisionserwiderung nicht verkennt, hat der Kl. im Übrigen sein Bestreiten im Verfahren vor dem BG ausdrücklich aufrechterhalten.
[12] b) Wie der Senat zum Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 4 VVG in der vom 1.1.1991 bis zum 28.7.1994 gültigen Fassung entschieden hat, schließt bei einem nicht ausreichend über sein Widerrufsrecht belehrten VN die zuerst erk...