AKB 2008 A 2.3.2
Leitsatz
1. Bleibt ein Grillhähnchen-Verkaufswagen beim Vorbeifahren an einer Hausecke hängen, weil sich die seitliche Verkaufsklappe während der Vorbeifahrt geöffnet hat, handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis im Sinne von A.2.3.2 AKB 2008, also um einen Unfall im Sinne der Vollkaskoversicherung.
2. Die Regelung in den Versicherungsbedingungen, wonach "Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs nicht als Unfallschäden gelten" enthält keine Ausschlussklausel. Die Regelung hat lediglich deklaratorischen Charakter.
3. Für den Versicherungsschutz in der Vollkaskoversicherung spielt es keine Rolle, ob der VN die Verkaufsklappe des Fahrzeugs vor Fahrtantritt fahrlässig unzulänglich befestigt hat. Denn die Vollkaskoversicherung gewährt Versicherungsschutz gerade in den Fällen, in denen der VN fahrlässig zum Unfallereignis beigetragen hat.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 1.6.2021 – 9 U 54/19
Sachverhalt
Die Kl. macht aus übergegangenem Recht Ansprüche aus einer Vollkaskoversicherung geltend. Der Zedent, J. W., war Leasingnehmer eines Grillhähnchen-Verkaufswagens der Marke F. Leasinggeber und Eigentümer des Fahrzeugs war die C GmbH. Der Zedent hatte mit der Bekl. für das Fahrzeug eine Kraftfahrtversicherung abgeschlossen, der eine Vollkasko-Versicherung einschloss.
Versichert sind nach dem AKB (A 2.3.2) Unfälle des Fahrzeugs. Als Unfall gilt ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis.
Nicht als Unfallschäden gelten insbesondere Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs oder reine Bruchschäden.
Am 12.7.2016 gegen 19:00 Uhr erlitt der Zedent mit dem Fahrzeug in U. einen Verkehrsunfall auf der G. Straße, indem er beim Vorbeifahren mit dem Fahrzeug die Ecke eines Wohnhauses streifte. Dadurch wurde die an der rechten Seite des Fahrzeugs befindliche Verkaufsklappe abgerissen und der hintere Teil des Fahrzeugs beschädigt. Durch den Anstoß wurde das Fahrzeug nach rechts abgelenkt und fuhr anschließend frontal gegen die Wand des nächsten Wohnhauses, wodurch die Fahrzeugfront stark eingedrückt wurde. Zur ersten Kollision war es gekommen, weil sich die Verkaufsklappe des hinteren Fahrzeugaufbaus geöffnet hatte, und der Wagen deshalb an der Hauswand hängen geblieben war. Die Bekl. hat eine Erstattung des durch das Hängenbleiben der Verkaufsklappe entstandenen Schadens abgelehnt.
2 Aus den Gründen:
Die Kl. kann nach dem Unfall des versicherten Fahrzeugs vom 12.7.2016 Leistungen aus der Vollkaskoversicherung auch insoweit verlangen, als ein Teil des Schadens durch die Erstkollision entstanden ist (Hängenbleiben des Fahrzeugs mit der geöffneten Verkaufsklappe an einer Hauswand).
1. Die Kl. ist Inhaberin der ursprünglich dem VN (Zedenten) gegen die Bekl. zustehenden Forderung geworden. Der VN hat die Forderung am 7.6.2017 an die Kl. abgetreten. Auf eine fehlende Genehmigung der Abtretung gemäß A.2.14.4 AKB kann sich die Bekl. nach Treu und Glauben nicht berufen.
Die Berufung auf das Abtretungsverbot ist gemäß § 242 BGB unbeachtlich, wenn sie nicht durch ein im Zweckbereich der Norm liegendes Interesse gedeckt ist (vgl. Prölss/Klimke, VVG, 31. Auflage 2021, A.2.7 AKB 2015, Rn 12; BGH, VersR 1983, 945). Das Verbot – beziehungsweise der Genehmigungsvorbehalt – soll erreichen, dass es der VR bei der Abwicklung eines Schadensfalls nur mit seinem Vertragspartner und nicht mit einem beliebigen Dritten zu tun hat. Ein solches Interesse ist allerdings nicht ersichtlich, wenn sich der VR außergerichtlich bereits auf eine Abwicklung des Versicherungsfalls mit einer Zessionarin eingelassen hat, ohne auf Bedenken gegen die Wirksamkeit der Abtretung hinzuweisen (vgl. BGH, VersR 1960, 300, 301). So liegt der Fall hier: Im vorprozessualen Schriftverkehr war die Bekl. bereit, den Versicherungsfall mit der Kl. als Zessionarin abzuwickeln. In diesem Fall ist der Bekl. eine Berufung auf das Abtretungsverbot im anschließenden Prozess verwehrt.
2. Der von der Kl. geltend gemachte Schaden ist durch einen Unfall entstanden, der durch den mit der Bekl. vereinbarten Vollkasko-Versicherungsschutz gedeckt ist. Dies gilt auch für den Teil des Schadens, der durch das Hängenbleiben der Verkaufsklappe an einer Hauswand entstanden ist. Entscheidend für die Leistungspflicht der Bekl. ist der Begriff des Unfalls in A.2.3.2 AKB.
a) Der Begriff des Unfalls ist in den Versicherungsbedingungen definiert als ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis. Wenn ein Fahrzeug während der Fahrt an einer Hauswand hängenbleibt, und dadurch ein Schaden am Fahrzeug entsteht, handelt es sich um ein solches Ereignis. Dieses Ereignis hat ohne weitere Zwischenschritte in einer Kausalkette "unmittelbar" zum Fahrzeugschaden geführt. Dass – nach dem streitigen Vorbringen der Bekl. – möglicherweise ein Fehler des VN beim Arretieren der Verkaufsklappe vor Fahrtantritt für den Unfall mitursächlich war, ändert nichts (vgl. zum Unf...