[7] "… 1. Das Recht der Bekl. zur fristlosen Kündigung des Krankheitskostenversicherungsvertrages gem. § 314 Abs. 1 BGB ist nicht durch § 206 Abs. 1 S. 1 VVG ausgeschlossen."
[8] a) Grds. steht den Parteien eines Versicherungsvertrages ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 Abs. 1 S. 1 BGB zu (Senat VersR 2009, 1063 Rn 15; VersR 2007, 1260 unter B I 1). Allerdings bestimmt der zum 1.1.2009 durch das Gesetz zur Reform des VVG v. 23.11.2007 (BGBl I S. 2631) neu gefasste § 206 Abs. 1 S. 1 VVG, dass jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt, durch den VR ausgeschlossen ist. Der Anwendungsbereich der Regelung erstreckt sich auf die überwiegende Mehrzahl der bestehenden privaten Krankheitskostenversicherungsverträge, da nach § 193 Abs. 3 S. 3 VVG alle vor dem 1.4.2007 wie hier abgeschlossenen Krankheitskostenversicherungsverträge unter die Definition der Pflichtversicherung fallen (HK-VVG/Rogler, 2. Aufl. § 206 Rn 2 … ). § 206 Abs. 1 S. 1 VVG findet über Art. 1 Abs. 1 EGVVG auf den Versicherungsvertrag Anwendung, da die Bekl. die Kündigung erst im Jahr 2009 erklärt hat.
[9] b) Ob ein VR trotz des Wortlauts von § 206 Abs. 1 S. 1 VVG jedenfalls dann ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages nach § 314 Abs. 1 BGB hat, wenn er sich nicht auf einen Prämienverzug des VN, sondern andere schwere Vertragsverletzungen etwa Leistungserschleichungen stützt, wird unterschiedlich beurteilt.
[10] aa) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass § 206 Abs. 1 S. 1 VVG eine abschließende Regelung für den Bereich der Krankheitskostenversicherung enthalte und jede Art von Kündigung verbiete, unabhängig davon, ob es sich um eine ordentliche oder um eine außerordentliche handele (OLG Hamm r+s 2011, 396 … ).
[11] bb) Demgegenüber geht eine andere Ansicht davon aus, dass § 206 Abs. 1 S. 1 VVG nicht schlechthin jede außerordentliche Kündigung wegen einer schwer wiegenden Vertragsverletzung nach § 314 Abs. 1 S. 1 BGB untersage, soweit es nicht um Fälle des Prämienverzugs gehe, für die § 193 Abs. 6 VVG eine Sonderregelung enthalte … (OLG Celle VersR 2011, 738 … ).
[13] c) Die zweitgenannte Ansicht trifft zu. § 206 Abs. 1 S. 1 VVG ist teleologisch dahin zu reduzieren, dass er ausnahmslos eine außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs verbietet, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich ist.
[14] aa) Ausgangspunkt für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt … Dem Ziel, den im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, dienen die nebeneinander zulässigen, sich gegenseitig ergänzenden Methoden der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, ihrem Sinnzusammenhang, ihrem Zweck sowie aus den Gesetzgebungsmaterialien und der Entstehungsgeschichte.
[15] Hiervon ausgehend ist der Wortlaut der Vorschrift eindeutig … Er schließt schlechthin “jede' Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt, durch den VR aus. Eine Differenzierung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung erfolgt nicht ….
[16] bb) Dieser eindeutige Wortlaut verbietet es allerdings nicht, die Norm teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie unmittelbar lediglich die außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs ausschließt, während in anderen Fällen schwerer Vertragsverletzung im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung nach § 314 Abs. 1 BGB in Betracht kommen kann (für eine derartige teleologische Reduktion etwa Marko, Private Krankenversicherung, 2. Aufl., Rn 127 ff.; MüKo-VVG/Hütt, § 206 Rn 52; ders., in: Bach/Moser, § 14 MB/KK Rn 8; Brand, VersR 2011, 1344 f.) …
[17] cc) Für eine teleologische Reduktion spricht zunächst die Entstehungsgeschichte der Norm (wird ausgeführt).
[19] dd) Ein vollständiger Ausschluss des Kündigungsrechts hätte demgegenüber zur Folge, dass der VR selbst in Fällen schwerster Vertragsverletzungen an den VN gebunden bliebe. Der VR wäre gezwungen, das Vertragsverhältnis mit einem VN fortzusetzen, der bereits in der Vergangenheit versucht hat, durch betrügerische Handlungen Leistungen zu erschleichen. Diese Gefahr bestünde für den VR auch in Zukunft fort, da es ihm bei dem Massengeschäft der Abrechnung von Krankenversicherungsleistungen häufig nicht möglich ist, in jedem Einzelfall zu überprüfen, ob die eingereichten Belege tatsächlich auch auf Leistungen beruhen, die erbracht und vom VN bezahlt wurden. Insoweit setzt das Versicherungsverhältnis ein auf Treu und Glauben beruhendes Vertrauen zwischen den Vertragsparteien voraus. Umgekehrt könnte der VN von strafrechtlichen Folgen abgesehen sanktionslos Versicherungsbetrug begehen. Wird sein Handeln nicht aufgedeckt, verbleiben ihm die hiermit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile. Wird es im Einzelfall entdeckt, s...