MB/KT 2008 § 1 Abs. 3
Leitsatz
Geht ein Versicherter im Rahmen einer Wiedereingliederungsmaßnahme gem. § 74 SGB V seiner beruflichen Tätigkeit an seinem bisherigen Arbeitsplatz in zeitlich beschränktem Umfang nach, so entfällt der Krankentagegeldanspruch auch dann, wenn er während dieser Maßnahme keinen Lohn vom Arbeitgeber, sondern nur Krankengeld erhält.
BGH, Urt. v. 11.3.2015 – IV ZR 54/14
Sachverhalt
Der Kl. begehrt Versicherungsleistungen aus einer bei der Bekl. unterhaltenen Krankentagegeldversicherung, mit der ein Krankentagegeld i.H.v. 120 EUR täglich versichert ist und der die MB/KT 2008 zugrunde liegen.
In § 1 Teil I dieser Bedingungen heißt es unter anderem:
"(1) Der VR bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. Er zahlt im Versicherungsfall für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in vertraglichem Umfang."
(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen. …
(3) Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. … “
Der Kl. war in der Zeit vom 16.9.2009 bis zum 30.4.2010 wegen eines Burn-Out-Syndroms arbeitsunfähig krankgeschrieben. Bereits ab dem 1.4.2010 wurde er jedoch nach dem "Hamburger Modell" stufenweise wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert. Dabei arbeitete er in den ersten beiden Wochen drei Stunden, in der dritten und vierten Woche sechs Stunden am Tag. Auch in dieser Zeit bezog er keinen Lohn, sondern ausschließlich Krankengeld.
2 Aus den Gründen:
[9] "… Zu Recht hat das BG eine Arbeitsunfähigkeit des Kl. i.S.v. § 1 (3) MB/KT für den Monat April 2010 verneint, weil er in dieser Zeit seine berufliche Tätigkeit, wenn auch in eingeschränktem Umfang, ausgeübt hat. Damit fehlt es für diesen Zeitraum an bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Leistungsanspruch nach § 1 (1) S. 2 MB/KT."
[10] 1. Bereits eine nur zum Teil gegebene Arbeitsfähigkeit genügt, um den Anspruch auf Krankentagegeld auszuschließen, sofern der Versicherte seinem Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung teilweise nachgehen kann oder tatsächlich nachgeht (Senat VersR 2013, 615 Rn 13; VersR 1993, 297 unter II 1). Soweit es dabei um die Bewertung einer vom Versicherten tatsächlich ausgeübten Tätigkeit geht, ist nur entscheidend, ob die fragliche Tätigkeit nach ihrer Art der zuletzt konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit zuzuordnen ist (Senat VersR 2007, 1260 Rn 19).
[11] 2. Zu Recht ist das BG danach zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kl. im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme eine berufliche Tätigkeit i.S.v. § 1 (3) MB/KT ausgeübt hat, weil es auf den Umfang der Tätigkeit nicht ankommt, wie eine Auslegung der Klausel ergibt. …
[12] a) AVB sind nach st. Rspr. des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. … Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind. …
[13] b) Dem Wortlaut der Regelung in § 1 (3) MB/KT wird der VN zunächst entnehmen, dass es für die Frage seiner Arbeitsunfähigkeit allein darauf ankommt, ob er zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit auch nur teilweise in der Lage ist oder diese jedenfalls in Teilbereichen ausübt.
[14] Ob hiervon eine Ausnahme bei bloßen Arbeitsversuchen insb. solchen zu therapeutischen Zwecken zu machen ist (so LG Hannover VersR 1991, 1281; offen gelassen Senat VersR 1985, 54 unter II 3; vgl. auch Senat VersR 2007, 1260 Rn 31 ff.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Anders als die Revision meint, erbrachte der Kl. seine Tätigkeit im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des BG nicht im Rahmen eines solchen Arbeitsversuchs.
[15] Unstreitig ist der Kl. in diesem Monat an seinem Arbeitsplatz bei seinem Arbeitgeber in zeitlich begrenztem Umfang inhaltlich derselben Tätigkeit nachgegangen, die er dort bereits vor seiner Erkrankung ausgeübt hatte.
[16] Bei der Wiedereingliederung i.S.v. § 74 SGB V handelt es sich um eine stufenweise Wiederaufnahme der vorherigen Berufstätigkeit, die die Fähigkeit, diese Tätigkeit teilweise verrichten zu können, voraussetzt und bei der es allein darum geht, ...