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"Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen."
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Im Wortlaut klingt § 249 Abs. 2 S. 1 BGB recht klar und einfach. Zudem: Die Vorschrift existiert seit 1900. Wissenschaft und Praxis hatten also weit mehr als 100 Jahre Zeit, alle anfallenden Fragen zu lösen. Trotzdem wird nach wie vor in unzähligen Prozessen darüber gestritten, was denn nun der "erforderliche Geldbetrag" im konkreten Fall ist. Dabei geht es nicht nur um tatsächliche Fragen. Eine nicht unerhebliche Zahl von Revisionsverfahren, in deren Zentrum die Vorschrift des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB steht, zeigt: Auch das rechtliche Rüstzeug zur Bewältigung dieser Fälle ist noch nicht vollkommen.
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Die Grundlagen zu § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind freilich gelegt, jedenfalls in der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH. Die Vorschrift begründet eine Ersetzungsbefugnis des Geschädigten. Ihm wird die Möglichkeit eingeräumt, die Beseitigung des Schadens in die eigenen Hände zu nehmen. Er soll selbst bestimmen können, ob und wie er den Schaden beseitigt – gebunden an das Wirtschaftlichkeitsgebot, das aber auch Einschränkungen kennt, etwa die 130 %-Rechtsprechung. Zur Schadensbeseitigung soll der Geschädigte vom Schädiger dadurch finanziell in die Lage versetzt werden, dass dieser ihm den für die Schadensbeseitigung erforderlichen Geldbetrag zur Verfügung stellt. Was ist nun aber dieser "erforderliche Geldbetrag"? Und wie lässt er sich im konkreten Fall bemessen? Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch, anhand aktueller straßenverkehrsrechtlicher Entscheidungen des BGH zu skizzieren, welche systematischen Ansätze sich bei der Suche nach dem im konkreten Fall erforderlichen Geldbetrag herausgebildet haben – und wo noch Defizite bestehen.
A. Der erforderliche Geldbetrag und die konkrete Schadensabrechnung
Konkret rechnet der Geschädigte ab, wenn er seinen Schaden hat beseitigen lassen und nun – "bewaffnet" mit der Reparaturrechnung – Ersatz der bei der Schadensbeseitigung tatsächlich angefallenen Kosten verlangt. Der Senat hatte sich damit in letzter Zeit wiederholt etwa im Zusammenhang mit den Kosten für Unfallgutachten sowie in den sogenannten "Ölspurfällen" zu befassen:
I. Sachverständigenkosten
1. Urt. v. 11.2.2014 – VI ZR 225/13
Der Kläger war mit seinem Fahrzeug in einen Verkehrsunfall mit der Beklagten verwickelt. Die Beklagte haftete zu 100 %. Der Kläger holte ein Kfz-Schadensgutachten ein. Der Gutachter errechnete einen Reparaturaufwand von rund 1.050 EUR netto und berechnete dem Kläger für das Gutachten 534,55 EUR brutto. Davon entfielen netto 260 EUR auf das Grundhonorar, der Rest auf Auslagen und Umsatzsteuer. Als Auslagen wurden – netto – berechnet: 22,40 EUR für Lichtbilder, 75 EUR für "Telefon/EDV, Porto, Schreibkosten" und 91,80 EUR für Fahrtkosten.
Die Beklagte erstattete dem Kläger nur 390 EUR. Die restlichen 144,55 EUR waren Gegenstand der Klage. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht sprach dem Kläger weitere 56,90 EUR zu. Es stützte sich dabei auf seine Schätzungsbefugnis aus § 287 ZPO. Dabei legte es im Ausgangspunkt zwar die dem Kläger vom Gutachter erteilte Rechnung zugrunde, begrenzte die Erstattungsfähigkeit der einzelnen Rechnungsposten dann aber unter Zugrundelegung der Ergebnisse der Honorarumfrage des Bundesverbands der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen 2010/2011, die sogenannte BVSK-Honorarbefragung 2010/2011. Diese gab Honorarkorridore wieder, und zwar sowohl für das Grundhonorar als auch für einzelne Nebenkostenpositionen. Positionen der Rechnung, die innerhalb des jeweiligen Honorarkorridors lagen, wurden vom Berufungsgericht voll berücksichtigt, Positionen, die den ausgewiesenen Rahmen überschritten, kappte das Berufungsgericht an der Obergrenze des jeweiligen Korridors – zu Unrecht, wie der VI. Zivilsenat des BGH in der Revision feststellte. Aber warum? § 287 ZPO erlaubt die Schadensschätzung doch ausdrücklich. Dass dabei in geeigneten Fällen Listen und Tabellen Verwendung finden dürfen, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt. Und wenn der Tatrichter eine Liste oder Tabelle als brauchbare Schätzgrundlage beurteilt hat, dann wird das in der Revision regelmäßig hinzunehmen sein. Zudem hängt die BVSK-Honorarbefragung nicht im luftleeren Raum, mag sie auch von einem Interessenv...