Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Behauptung sexuellen Missbrauchs in der Kindheit während Heimunterbringung. tätlicher Angriff. Nichtanwendbarkeit der Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG wegen verschuldeter Beweisnot. Wegfall der Beweismittel durch Zeitablauf. Antrag auf Opferentschädigung sowie Strafanzeige erst Jahrzehnte nach Eintritt der Volljährigkeit und Beendigung der Heimunterbringung
Leitsatz (amtlich)
Der Beweismaßstab des § 15 KOVVfG findet keine Anwendung, wenn Beweisnot dadurch entsteht, dass ohne nachvollziehbaren Grund erste viele Jahrzehnte nach Erreichen der Volljährigkeitsgrenze und Beendigung einer Heimunterbringung Antrag auf Opferentschädigung sowie Strafanzeige wegen sexuellen Missbrauchs während der Zeit der Heimunterbringung gestellt werden.
Normenkette
KOVVfG § 15 S. 1; OEG §§ 1, 2 Abs. 2, § 6 Abs. 3; BVG § 60 Abs. 1 S. 3; StGB §§ 113, 121
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. März 2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz -OEG) in Form einer Beschädigtenrente auf der Grundlage eines Grades der Schädigung (GdS) von mindestens 50.
Der im Februar 1960 geborene Kläger begehrte mit Antrag vom 16. Juli 2014 Opferentschädigung für Taten während seiner Heim-Zwangsunterbringungen zwischen ca. 1968 und 1978. Laut seiner Erinnerung hätten die sexuellen und körperlichen Übergriffe im Winter 1968, im Sommer 1973, im Winter 1974 sowie im Herbst 1976 stattgefunden. Die Namen der ausführenden Sexualtäter seien G. (Geschäftsführer, damals Vormund des Klägers) und F. (Erzieher).
Er leide unter schweren gesundheitlichen Folgeerkrankungen aus der Vormundschaft durch den K. e.V. und der Heimerziehung (starke posttraumatische Belastungsstörungen, Aggressionen, Schlaf- und Traumpsychosen). Er legte ein Attest des Psychiaters Dr. O. vom 23. Juli 2014 vor, in dem als Diagnosen eine depressive Störung sowie der Verdacht auf eine komplexe Traumafolgestörung angegeben sind. Im Vordergrund stünde die chronische depressive Symptomatik mit reduziertem Antrieb, Freudlosigkeit, pessimistischer Einstellung bezüglich der Zukunft sowie eingeschränkter Vitalität und Belastbarkeit. Im weiteren Verlauf der Erkrankung seien traumatische Kindheitserlebnisse aufgedeckt worden. Der Kläger habe berichtet, während der Aufenthalte in Kinderheimen körperlich und sexuell missbraucht worden zu sein.
Der Kläger gab in einem ihm übersandten Formblattantrag weiter an, die Taten hätten von 1967 bis Winter 1976 stattgefunden. Strafanzeige sei nicht erstattet worden. Sie, die Kinder, hätten die Taten dem Heimleiter erzählt. Man habe es nicht der Polizei gemeldet, weil man ihnen nicht geglaubt hätte. Auch sei das Heim geschlossen worden. Täter sei Herr F.. Ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren habe wegen der Gesamtsituation der Heimunterbringung stattgefunden. Durch die Taten sei es zu einer Gastritis (1969), einem Ulcus duodeni et ventrikulis (1971) und einer Notübernähung der Magenwand (Oktober 1978) und selektiv prox. Vakotomie mit Pyloroplastik (Winter 1979) gekommen. Heute lägen noch seelische Gesundheitsstörungen vor. Zu den einzelnen Übergriffen machte der Kläger folgende Angaben:
1. 1967 SOS-Kinderdorf D-Stadt
"Sexspiele einer Mutter. Ich lag im Bett einer Mutter, die Spielereien endeten an ihren Genitalien."
2. 1968 M.-Kinderheim (katholische Nonnen), S-Straße
"Prügel, nächtliche Reinigungsarbeiten, um 4 oder 5 Uhr morgens mussten wir vor einem großen Kranz beten. Hierbei kam es vor, dass sich Schwestern auf unsere Köpfe setzten und sich auf unseren Köpfen selbst befriedigten. Die Schwestern hatten unter ihren Roben nichts an."
3. 1969 S. (evangelisches Kinderheim), S-Straße
"Ein Erzieher hat mir mit einem Stein eine Kopfverletzung zugeführt."
4. 1973 A.-Kinderheim für Schwererziehbare, H-Stadt
"1973 + 1974 sexuell orientierte Berührungen durch Herrn F., er stand nachts in meinem Zimmer oder saß an meinem Bett und hat sich dabei selbst befriedigt und meine Genitalien angefasst (ca. 3-4 Vorfälle)."
5. 1975 Ausflug zu einem Sportfest bei G-Stadt (vermutlich) auf dem Grundstück eines Freundes von Herrn F. (Herr R. E.)
"Wir (D., E. L. und ich) wurden überredet, nackt im Garten zu duschen. Evtl. kam es hier ebenfalls zu einem sexuellen Übergriff. Nachdem wir einen Kuchen bekommen haben, bin ich eingeschlafen, ich erinnere mich an nichts weiter. Diese Vorfälle haben wir der damaligen Psychologin im Heim, Frau B. (heute E., Dipl. Psych. in E-Stadt) gemeldet. Sie behauptet, dies an Herrn G. weitergegeben zu haben, was er bestreitet. Heute gibt sie an, sich nicht mehr zu erinnern."
6. 1976
"Im Winter fuhr ich mit dem Fahrrad zum Bahnhof. An einem zugefr...