Leitsatz (redaktionell)
1. Unter Verschulden iS des SGG § 67 Abs 1 ist die Außerachtlassung der von einem gewissenhaften Prozeßführenden einzuhaltenden Sorgfaltspflicht zu verstehen (vergleiche BSG 1955-09-23 3 RJ 26/55 = BSGE 1, 227, 232). Ein rechtsunkundiger Beteiligter darf sich nicht ausreichende Rechtskenntnisse anmaßen, sondern hat, um offenbare Rechtsirrtümer zu vermeiden, den Rat eines Rechtskundigen einzuholen. Tut er dies nicht, so liegt sein Verschulden bei der Versäumung der Rechtsmittelfrist darin, daß er einer eigenen falschen Auffassung gefolgt ist, die bei Befragung eines Rechtskundigen vermieden worden wäre. Ist aber die zu beantwortende Frage so schwierig, daß es mindestens ungewiß ist, welche Antwort er von einer rechtskundigen Person erhalten hätte, und daß es zudem zweifelhaft ist, ob die Auskunft als richtig hätte bezeichnet werden können, so liegt kein Verschulden iS des SGG § 67 Abs 1 vor, wenn er es unterläßt, einen Rechtskundigen zu befragen.
2. Im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit gelten für Zustellungen durch die Post die ZPO §§ 180 - 186, 195 Abs 2 (SGG § 63 iVm VwZG § 3 Abs 3.
Ist die Zustellung nach ZPO §§ 180 und 181 nicht ausführbar, so kann sie dadurch bewirkt werden, daß das zu übergebende Schriftstück bei der im Zustellungsbezirk liegenden Postanstalt niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben oder - falls dies nicht tunlich ist - an der Tür der Wohnung befestigt und einer in der Nachbarschaft wohnenden Person zur Weitergabe an den Empfänger ausgehändigt wird (ZPO § 182).
Der Umstand, daß der Postbedienstete die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung bei der Postanstalt einem Nachbarn des Klägers ausgehändigt und diese nicht in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise, also durch Einwerfen in den Briefkasten des Klägers abgegeben hat, bewirkt nicht die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung. Die Entscheidung darüber, in welcher Weise es tunlich ist, die Mitteilung über die Niederlegung dem Empfänger der Zustellung bekanntzugeben, obliegt dem zustellenden Postbediensteten; ein Abweichen von der Reihenfolge der in ZPO § 182 vorgesehenen Möglichkeiten der Mitteilung von der Niederlegung ist für die Wirksamkeit der Ersatzzustellung belanglos.
Normenkette
SGG § 67 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 63 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; VwZG § 3 Abs. 3 Fassung: 1952-07-03; ZPO §§ 180-186, 195 Abs. 2
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts in Berlin vom 3. April 1964 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Das Versorgungsamt lehnte den Antrag des Klägers auf Anerkennung einer multiplen Sklerose als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit Bescheid vom 25. Januar 1960 ab. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. September 1960). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 12. November 1963 abgewiesen. Laut Zustellungsurkunde ist dieses Urteil im Wege der Ersatzzustellung nach § 182 der Zivilprozeßordnung (ZPO) am 29. November 1963 dadurch zugestellt worden, daß es der Postbedienstete bei der Postanstalt B niedergelegt hat. Er hat einem Nachbarn des Klägers die schriftliche Mitteilung über diese Niederlegung übergeben. Nach seinen Angaben hat der Kläger am darauffolgenden Tage zweimal vergeblich versucht, das zugestellte Schriftstück bei der Postanstalt zu erhalten. Es wurde dort nicht aufgefunden. Am 3. Dezember 1963 hat der Kläger das Urteil in seiner Wohnung auf dem Schreibtisch vorgefunden. Die Berufungsschrift vom 1. Januar 1964 ist am 2. Januar 1964 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangen. Dieses hat mit Urteil vom 3. April 1964 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 12. November 1963 als unzulässig verworfen und dazu ausgeführt, das angefochtene Urteil sei gemäß § 63 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) und § 182 ZPO am 29. November 1963 ordnungsgemäß zugestellt, so daß die Frist zur Einlegung der Berufung an diesem Tage zu laufen begonnen habe. Es sei nicht von Bedeutung, daß der Kläger das Urteil erst am 3. Dezember 1963 erhalten habe. Dem Kläger könne eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG wegen Versäumung der Berufungsfrist nicht gewährt werden. Aus den verschiedenen Schriftsätzen und dem persönlichen Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ergebe sich, daß der Kläger intelligent und in der Lage sei, die Bedeutung von Verfahrensvorschriften zu erkennen, wenn ihm auch Einzelheiten des Zustellungsverfahrens nicht bekannt gewesen seien. In jedem Fall habe der Kläger bei dem vorliegenden Sachverhalt erhebliche Zweifel über den richtigen Zeitpunkt der Zustellung haben müssen, um so mehr als der Tag der Zustellung auf dem Briefumschlag, den der Kläger allerdings nicht mehr vorlegen könne, vermerkt worden sei. Im Hinblick auf diese Zweifel wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, sich bei einer zuständigen Stelle Gewißheit darüber zu verschaffen, von welchem Tage an die Berufungsfrist zu laufen begonnen habe. Dadurch, daß er dies unterlassen habe, beruhe die Versäumung der Berufungsfrist auf seinem Verschulden. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen dieses ihm am 6. Mai 1964 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Juni 1964, beim Bundessozialgericht (BSG) am 3. Juni 1964 eingegangen, Revision eingelegt und diese mit einem am 3. Juli 1964 eingegangenen Schriftsatz vom 2. Juli 1964 begründet.
Er beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger rügt eine Verletzung der §§ 63, 67 SGG und § 3 VwZG, der §§ 181, 182 ZPO und des Art. 3 des Grundgesetzes. Er trägt dazu vor, die am 29. November 1963 vorgenommene Zustellung sei unter Verletzung des § 3 VwZG und der §§ 181, 182 ZPO erfolgt, so daß die Berufungsfrist überhaupt nicht in Lauf gesetzt worden sei. Die schriftliche Mitteilung über die Niederschrift sei nicht in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben, sondern einem Nachbarn des Klägers übergeben worden, der in keiner rechtlichen Beziehung zu ihm stehe. Auch dadurch, daß ihm trotz zweimaliger Nachfrage bei der Postanstalt in B am 30. November 1963 das Schriftstück nicht ausgehändigt, sondern ihm das Urteil des SG erst am 3. Dezember 1963 übergeben worden sei, seien die Zustellungsvorschriften verletzt worden. Somit könne die Zustellung erst mit dem 3. Dezember 1963 als bewirkt angesehen werden. Eine Ersatzzustellung sei nur dann mit dem Zeitpunkt der Niederlegung bei der Postanstalt bewirkt, wenn der Empfänger die Möglichkeit habe, sofort den Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks zu erfahren. Bei anderer Auffassung hätte aber das LSG dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen, da die Versäumung der Berufungsfrist nicht auf einem Verschulden des Klägers beruhe. Die Frage, von welchem Tage an im vorliegenden Fall die Berufungsfrist zu laufen begonnen habe, sei offensichtlich auch für das Gericht zweifelhaft gewesen, denn der Berichterstatter des LSG habe selbst zunächst den Standpunkt vertreten, daß die Berufungsfrist am 3. Dezember 1963 zu laufen begonnen habe. Bei eine natürlichen Betrachtungsweise, wie sie ein Laie vornehme, sei dieser Standpunkt auch richtig. Für einen nicht rechtskundigen Laien sei eine Zustellung in der Bedeutung des normalen Sprachgebrauchs, nämlich eine Aushändigung des Briefes, erst dann bewirkt, wenn er ihn in seinen Händen halte. Der Kläger habe im übrigen auch alles getan, um die Sendung zu erhalten. Der Umstand, daß er erst den letzten Zeitpunkt zur Einlegung der Berufung wahrgenommen habe, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen, da ihm das Recht zustehe, das Rechtsmittel auch in letzter Minute einzulegen.
Im übrigen wird auf die Revisionsbegründung des Klägers im Schriftsatz vom 2. Juli 1964 verwiesen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zu verwerfen.
Er ist der Auffassung, daß die gerügten wesentlichen Mängel im Verfahren des LSG nicht vorliegen.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG zugelassen hat und das Gesetz bei der Anwendung der in der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht verletzt haben kann, weil die Berufung des Klägers wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen worden ist, findet die Revision nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird.
Der Kläger rügt zu Recht, daß das LSG statt eines Prozeßurteils ein Sachurteil hätte treffen müssen. Die Auffassung des Klägers, die Zustellung des Urteils des SG vom 12. November 1963 gemäß § 63 SGG in Verbindung mit § 3 VwZG und § 182 ZPO am 29. November 1963 sei deshalb nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil der Postbedienstete die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung des Urteils bei der Postanstalt dem Nachbarn des Klägers ausgehändigt hat, trifft allerdings nicht zu. Im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit gelten für Zustellungen durch die Post die Vorschriften der §§ 180 bis 186 und 195 Abs. 2 ZPO (§ 63 SGG i. V. m. § 3 Abs. 3 VwZG). Ist die Zustellung nach den §§ 180 und 181 ZPO nicht ausführbar, so kann sie dadurch bewirkt werden, daß das zu übergebende Schriftstück bei der im Zustellungsbezirk liegenden Postanstalt niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben oder - falls dies nicht tunlich ist - an der Tür der Wohnung befestigt und einer in der Nachbarschaft wohnenden Person zur Weitergabe an den Empfänger ausgehändigt wird (§ 182 ZPO). Der Umstand, daß der Postbedienstete nach den Feststellungen des LSG die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung bei der Postanstalt einem Nachbarn des Klägers ausgehändigt und diese nicht in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise, also durch Einwerfen in den Briefkasten des Klägers abgegeben hat, bewirkt nicht die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung. Die Entscheidung darüber, in welcher Weise es tunlich ist, die Mitteilung über die Niederlegung dem Empfänger der Zustellung bekanntzugeben, obliegt dem zustellenden Postbediensteten. Ein Abweichen von der Reihenfolge der in § 182 ZPO vorgesehenen Möglichkeiten der Mitteilung von der Niederlegung ist für die Wirksamkeit der Ersatzzustellung belanglos (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 26. Aufl., Anm. 4 zu § 182). Der Nachbar, dem die schriftliche Mitteilung über die erfolgte Ersatzzustellung ausgehändigt wird, braucht also - entgegen der Auffassung der Revision - in keinem "rechtlichen Zusammenhang" mit dem Zustellungsempfänger zu stehen. Die Zustellung kann daher im vorliegenden Fall wegen der Art der Mitteilung über die Niederlegung nicht als unwirksam angesehen werden.
Fraglich kann dagegen sein, ob die Zustellung durch Niederlegung bereits mit dem 29. November oder erst mit dem 3. Dezember 1963 ausgeführt und wirksam geworden ist. Naheliegend erscheint die Annahme, daß von einer "Niederlegung" gemäß § 182 ZPO nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift nur zu sprechen ist, wenn und solange das Schriftstück bei der Niederlegungsstelle zur Abholung und Verfügung des Zustellungsempfängers bereitliegt. Im vorliegenden Fall wäre dieser Zustand noch nicht mit dem 29. November sondern erst mit dem 3. Dezember 1963 eingetreten, weil erwiesenermaßen das Urteil dem Kläger am 30. November von der Niederlegungsstelle nicht ausgehändigt werden konnte, sondern ihm erst am 3. Dezember zur Verfügung gestellt wurde. Jedoch kann im vorliegenden Fall die Frage des Zeitpunktes der Zustellung dahinstehen, denn selbst wenn man mit dem LSG davon ausgeht, daß der Kläger die Berufungsfrist versäumt hat, weil diese am 29. Dezember 1963 endete, dann greift die Rüge des Klägers, das LSG habe § 67 SGG verletzt, durch, weil es dem Kläger nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gewährt hat. Nach dieser Vorschrift ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb dieser Frist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Da der Kläger innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses die Berufung nachgeholt hat, war das LSG von Amts wegen verpflichtet - wie auch geschehen -, über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden. Die versäumte Rechtshandlung, im vorliegenden Fall also die Einlegung der Berufung, muß ohne Verschulden versäumt sein. Bei diesem Verschulden handelt es sich begrifflich nicht um das Verschulden im Sinne des § 276 des Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern um das rein prozeßrechtliche Verschulden. Auszugehen ist von dem Verhalten eines gewissenhaften Prozeßführenden. Demzufolge ist als prozessuales Verschulden die Außerachtlassung der von einem gewissenhaften Prozeßführenden einzuhaltenden Sorgfaltspflicht zu verstehen (BSG 1, 232, Bundesverwaltungsgericht, DÖV 1956, 125; Peters/Sautter/Wolff, SGG § 67 Anm. 7). Es ist ein subjektiver Maßstab an die konkrete Person, die die gesetzliche Verfahrensfrist versäumt hat, anzulegen. Dabei können der Bildungsgrad und die Rechtskunde von Bedeutung sein. Im allgemeinen wird bei einer juristisch nicht gebildeten Person als Beteiligtem ein geringerer Maßstab an sein Verhalten anzulegen sein als bei einer rechtskundigen Prozeßpartei. Bei der Abwägung der zu stellenden Anforderungen wird die regelmäßig mangelhafte Geschäftsgewandtheit eines Beteiligten nicht unberücksichtigt bleiben können. Das LSG ist der Auffassung, daß der Kläger intelligent und in der Lage ist, die Bedeutung der Verfahrensvorschriften zu erkennen. Diese Feststellung genügt aber nicht, um ein Verschulden des Klägers bei der Versäumung der Berufungsfrist im vorliegenden Fall darzutun. Der Kläger ist davon ausgegangen - insofern hat er die Bedeutung der Rechtsmittelbelehrung nicht verkannt -, daß er innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils Berufung einlegen mußte. Wenn er dabei als den Beginn der Berufungsfrist den 3. Dezember 1963, also den Tag angesehen hat, an dem er das Urteil auf seinem Schreibtisch in der Wohnung vorfand, so ist er damit seiner eigenen Auffassung gefolgt, die aber objektiv in rechtlicher Beziehung sehr nahe liegt, die in höchstrichterlicher Rechtsprechung noch nicht abgelehnt worden ist und die nach dem vom Kläger erwähnten Aktenvermerk auch ein Mitglied des LSG vertreten hat. Dem LSG ist zwar darin zuzustimmen, daß ein rechtsunkundiger Beteiligter sich nicht ausreichende Rechtskenntnisse anmaßen darf und daher, um offenbare Rechtsirrtümer zu vermeiden, den Rat eines Rechtskundigen einzuholen hat. Tut er dies nicht, so liegt sein Verschulden bei Versäumung der Rechtsmittelfrist darin, daß er einer eigenen falschen Auffassung gefolgt ist, die bei Befragung eines Rechtskundigen vermieden worden wäre. Im vorliegenden Fall war aber die zu beantwortende Rechtsfrage so schwierig, daß es mindestens ungewiß ist, welche Antwort der Kläger von einer rechtskundigen Person erhalten hätte, und daß es zudem zweifelhaft ist, ob die Auskunft als richtig hätte bezeichnet werden können, gleichgültig ob sie der Auffassung des Klägers oder der des LSG entspricht. Denn - wie oben bereits dargelegt - ist es sehr zweifelhaft, ob zum Wirksamwerden der Zustellung nach § 182 ZPO allein die förmliche Niederlegung bei der Postanstalt und die entsprechende Mitteilung an den Zustellungsempfänger genügt, oder ob diese Zustellung erst dann bewirkt ist, wenn das Schriftstück so niedergelegt ist, daß es auf Verlangen dem Zustellungsempfänger ausgehändigt werden kann. Die letztgenannte Ansicht würde für den vorliegenden Fall aber bedeuten, daß die Berufungsfrist erst mit Ablauf des 3. Dezember 1963 zu laufen begonnen hätte, weil der Kläger nach den Feststellungen des LSG das zuzustellende Urteil des SG erst an diesem Tage in seiner Wohnung vorgefunden hat, nachdem er vorher vergeblich bei der Postanstalt um Aushändigung des Schriftstücks bemüht gewesen war. Derartige erhebliche rechtliche Zweifel, die auch von einem Rechtskundigen nicht ohne weiteres eindeutig beantwortet werden konnten, können jedenfalls nicht dem Kläger angelastet werden. Bei Befragung eines Rechtskundigen wäre somit nicht mit hinreichender Sicherheit vermieden worden, daß der Kläger vom 3. Dezember als Tag der Zustellung ausging und dementsprechend die Berufungsschrift erst am 1. Januar abgesandt hat. Ein prozessuales Verschulden i. S. des § 67 SGG kann unter solchen Umständen beim Kläger nicht angenommen werden.
Auch die Tatsache, daß der Kläger erst am letzten Tag der nach seiner Meinung am 3. Januar 1964 ablaufenden Berufungsfrist die Berufung eingelegt hat, kann ihm nicht als Verschulden zugerechnet werden. Er war berechtigt, die ihm zustehende Berufungsfrist voll auszunutzen (siehe dazu BSG in SozR SGG § 67 Bl. Da 3 Nr. 6 b und Da 24 Nr. 36). Kann somit auch aus diesem Umstand dem Kläger ein Verschulden bei der Versäumung der Berufungsfrist nicht beigemessen werden, so sind die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 SGG erfüllt. Das LSG hätte also, auch wenn die Berufungsfrist schon als abgelaufen anzusehen gewesen wäre, mindestens die Wiedereinsetzung gewähren müssen und hätte statt eines Prozeßurteils eine Sachentscheidung treffen müssen. Dieser Verfahrensmangel hat der Kläger gerügt. Die Revision ist somit statthaft. Sie ist damit aber auch begründet, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß das LSG bei einer Sachentscheidung dem sachlichen Begehren des Klägers entsprochen hätte. In der Sache selbst konnte vom Revisionsgericht nicht entschieden werden, da hierfür die erforderlichen Feststellungen des LSG fehlen.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung mußte dem abschließenden Urteil vorbehalten bleiben.
Fundstellen