Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen der Teilzeitarbeitsmarkt für einen Versicherten stark eingeschränkt ist (vergleiche BSG 1969-12-11 GS 4/69 = SozR Nr 79 zu § 1246 RVO).
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Frage, wann bei der Entscheidung über das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit einer Teilzeitarbeitskraft, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten kann, das Teilzeitarbeitsfeld verschlossen ist und wann eine Beschäftigung vergönnungsweise ausgeübt wird (Weiterentwicklung von BSG 1970-07-28 5/4 RJ 11/68 = SozR Nr 87 zu § 1246 RVO; BSG 1970-07-28 5/4/12 RJ 268/67 = SozR Nr 26 zu § 1247 RVO).
2. Bei Teilarbeitskräften, die noch halbschichtig, bis unter vollschichtig arbeiten können, ist für die Frage von genügend Arbeitsplätzen in der Regel die BA in Nürnberg zuständig.
Bei Teilarbeitskräften, die besonderen individuellen Leistungseinschränkungen unterliegen, wie keine Nachtarbeit, keine Wechsel- und Fließarbeit, ist der Teilarbeitsmarkt stark eingeschränkt anzusehen.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Januar 1968 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Streitig ist unter den Beteiligten, ob dem Kläger für die Zeit ab 1. Juli 1966 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) anstelle der bereits gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) zusteht.
Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 8. Mai 1970 für die Zeit ab 1. Mai 1970 die Rente wegen BU in ein vorgezogenes Altersruhegeld umgewandelt. Außerdem hat sie sich im Schriftsatz vom 19. Mai 1970 bereit erklärt, für die Zeit ab 3. Mai 1969 das Vorliegen von EU anzuerkennen und entsprechende Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren; für die vorhergehende Zeit könne sie den Anspruch nicht anerkennen, weil der Kläger bis zum 2. Mai 1969 einen Teilzeitarbeitsplatz innegehabt habe. Zu dem Angebot der Beklagten hat der Kläger keine Erklärungen abgegeben.
Der am 17. August 1906 geborene Kläger war als ungelernter Arbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Mit Bescheid vom 19. Januar 1967 gewährte ihm die Beklagte ab 1. Juli 1966 die Rente wegen BU. Hiergegen erhob er Klage und begehrte die Rente wegen EU. Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat die Klage mit Urteil vom 3. August 1967 abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 18. Januar 1968 zurückgewiesen.
Nach den Feststellungen des LSG kann der Kläger noch ausgesprochen leichte Arbeiten, überwiegend im Sitzen, ohne Nacht- und Wechselschicht, ohne besondere nervliche Belastung (keine Akkord- oder Fließbandarbeit) drei bis vier Stunden täglich verrichten. Er gehe auch seit Februar 1967 bei seinem alten Arbeitgeber wieder täglich vier Stunden einer Erwerbstätigkeit nach und erziele dabei einen Stundenlohn von 3,50 DM (Wochenverdienst 70 DM). Daher sei das Vorbringen des Klägers, er sei nicht in der Lage, mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen mehr als geringfügige Einkünfte zu erzielen, unverständlich. Sofern der Kläger seine Tätigkeit - Waschen eines Personenkraftwagens und innerbetriebliche Botengänge - außer Betracht gelassen wissen möchte, weil sie möglicherweise seine Leistungsfähigkeit überstiegen, müsse er sich dennoch auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die seinem Leistungsvermögen entsprechen, verweisen lassen. Auch mit Arbeiten dieser Art würde er bei einer vierstündigen täglichen Arbeitszeit mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen. Es komme für die Entscheidung nicht darauf an, ob es für den Kläger geeignete Teilzeitarbeitsplätze - seien sie frei oder besetzt - gebe. Gegen dieses Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Mit seiner Revision wendet sich der Kläger gegen die Auffassung des LSG, es komme nicht darauf an, ob für ihn geeignete Arbeitsplätze - seien sie frei oder besetzt - vorhanden seien.
Er beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Urteils des SG Gelsenkirchen vom 3. August 1967 und ihres Bescheides vom 19. Januar 1967 zu verurteilen, ihm Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit ab 1. Juli 1966 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, daß der Kläger nach ihren Aktenunterlagen bis zum 2. Mai 1969 einen Teilzeitarbeitsplatz gehabt hat und mehr als geringfügige Einkünfte erzielt habe. Damit sei erwiesen, daß ihm der Arbeitsmarkt nicht praktisch verschlossen gewesen sei.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die zulässige Revision ist insofern begründet, als die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird.
Die Frage, ob der Kläger auf die Tätigkeiten, die er noch in Teilzeitarbeit verrichten kann, ohne Rücksicht darauf verwiesen werden kann, ob und in welchem Umfang es hierfür Teilzeitarbeitsplätze gibt, oder ob dies nur dann möglich ist, wenn es Teilzeitarbeitsplätze für diese Tätigkeiten gibt, hat der Große Senat des Bundessozialgerichts (BSG) durch Beschluß vom 11. Dezember 1969 - GS 2/68 - (SozR Nr. 20 zu § 1247 RVO) dahin entschieden, daß es bei Anwendung des § 1247 Abs. 2 RVO erheblich ist, daß Arbeitsplätze, die der Versicherte mit der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausfüllen kann, seien sie frei oder besetzt, vorhanden sind und daß der Versicherte auf solche Tätigkeiten nur verwiesen werden kann, wenn ihm das Arbeitsfeld nicht praktisch verschlossen ist, d. h. wenn das Verhältnis der im Verweisungsgebiet vorhandenen, für ihn in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten für solche Beschäftigungen nicht ungünstiger ist als 75 : 100. Die Feststellung, in welchem Ausmaß es geeignete Teilzeitarbeitsplätze für einen in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten gibt, ist allerdings entbehrlich, wenn der Versicherte einen entsprechenden Arbeitsplatz tatsächlich nicht nur vorübergehend innehat oder wenn ihm ein solcher Arbeitsplatz angeboten wird, gleichgültig, ob er von diesem Angebot Gebrauch macht. In solchen Fällen ist bewiesen, daß dem Versicherten der Arbeitsmarkt nicht praktisch verschlossen ist. Hat der Versicherte einen solchen Arbeitsplatz inne, so gilt etwas anderes nur, wenn er diese Teilzeittätigkeit entweder auf Kosten seiner Gesundheit verrichtet oder wenn er den Arbeitsplatz nur "vergönnungsweise", etwa aus verwandtschaftlichen oder sonstigen Rücksichten, innehat. Eine vergönnungsweise ausgeübte Beschäftigung kann allerdings nicht in jedem Falle schon deshalb angenommen werden, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer sie als solche bezeichnen, vielmehr werden die näheren Umstände und die Gründe für die Beschäftigung in jedem einzelnen Fall zu ermitteln sein. Wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer trotz seiner erheblichen Leistungsminderung einstellt, weil er keinen anderen Arbeitnehmer für die von diesem ausgeübte Tätigkeit bekommen kann, liegt keine vergönnungsweise ausgeübte Beschäftigung vor. Führt ein Arbeitnehmer die von ihm ausgeübten Tätigkeiten im wesentlichen vollwertig aus, wird ebenfalls im Regelfall keine vergönnungsweise ausgeübte Beschäftigung angenommen werden können. Wenn er aber die ihm übertragenen Arbeiten nicht im wesentlichen vollwertig ausführt, kann das als Indiz für das Vorliegen einer vergönnungsweise ausgeübten Beschäftigung gewertet werden. Das LSG wird also bei seiner erneuten Entscheidung zunächst zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls von wann bis wann der Kläger einen Teilzeitarbeitsplatz innehatte und ob dadurch als erwiesen angesehen werden muß, daß ihm der Teilzeitarbeitsmarkt nicht praktisch verschlossen war.
Kommt das LSG zu dem Ergebnis, daß der Kläger den von ihm innegehabten Teilzeitarbeitsplatz nachweislich nur auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt oder nur vergönnungsweise innegehabt hat, dann wird es allerdings weiter zu prüfen haben, ob dem Kläger unabhängig hiervon der Teilzeitarbeitsmarkt nach den vom Großen Senat im Abschnitt C V 1 des oben angegebenen Beschlusses i. V. m. Abschnitt C V 2 des Beschlusses vom gleichen Tage in Sachen M. ./. LVA Berlin - GS 4/69 - (SozR Nr. 79 zu § 1246 RVO) gegebenen Anhaltspunkten praktisch verschlossen war. Das LSG hat festgestellt, der Kläger könne noch ausgesprochen leichte Arbeiten, überwiegend im Sitzen, ohne Nacht- und Wechselschichten, ohne besondere nervliche Belastung (keine Akkord- oder Fließbandarbeit), drei bis vier Stunden täglich verrichten. Obwohl damit wahrscheinlich gesagt sein sollte, der Kläger könne noch halbschichtig arbeiten, so daß er nach dem o. a. Beschluß unter die Gruppe derjenigen fällt, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten können, empfiehlt es sich für das LSG, hierzu doch noch eine eindeutige Feststellung zu treffen.
Die Feststellungen des LSG geben keinen Anlaß zu der Annahme, daß der Kläger zu dem im Abschnitt C V 2 b aa) des Beschlusses GS 4/69 genannten Personenkreis gehören könnte, bei denen sich erfahrungsgemäß Arbeitgeber scheuen, sie einzustellen. Hierzu gehören z. B. Personen, die an ansteckenden oder die Umwelt belastenden Krankheiten leiden, Bazillenträger sind und dergleichen mehr. Hierbei kommt es auf die Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze nicht an; denn für sie ist der Arbeitsmarkt auf jeden Fall praktisch verschlossen. Zu den in Abschnitt C V 2 b aa) dieses Beschlusses genannten Personen gehören nicht die im Abschnitt C V 2 b cc) des Beschlusses GS 4/69 besonders genannten älteren Versicherten, zu denen der Kläger gehört. Zwar werden auch diese Personen von Arbeitgebern weniger leicht als jüngere Arbeitnehmer eingestellt, jedoch ist das Alter bei der Rente wegen EU kein gesetzlich anerkannter Grund für eine Rentengewährung. Das Gesetz berücksichtigt das höhere Alter als solches lediglich beim Altersruhegeld, insbesondere auch beim vorgezogenen Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 2 RVO.
Könnte der Kläger auf den gesamten allgemeinen halbschichtigen bis untervollschichtigen Teilzeitarbeitsmarkt (leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen, im Stehen und im Gehen in geschlossenen Räumen und im Freien) verwiesen werden, so wäre der Arbeitsmarkt für ihn nach Abschnitt C V 1 des Beschlusses des Großen Senats vom 11. Dezember 1969 - GS 2/68 i. V. m. Abschnitt C V 2 des Beschlusses des Großen Senats vom 11. Dezember 1969 GS 4/69 grundsätzlich offen. Doch ist dies nicht möglich, weil er gesundheitlich nicht in der Lage ist, alle Tätigkeiten des allgemeinen Teilzeitarbeitsmarktes zu verrichten, vielmehr kann er - so sind die Feststellungen des LSG zu verstehen - nur noch leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen und im Freien verrichten, wobei hier zunächst die zusätzlichen, individuell besonders gelagerten Leistungseinschränkungen des Klägers (keine Wechselschichten, keine Nachtschichten, keine Akkord- und Fließbandarbeit) außer acht zu lassen sind. Es kann auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen noch nicht entschieden werden, ob dieser eingeschränkte Arbeitsmarkt für den Versicherten offen oder praktisch verschlossen ist. Das LSG wird die für diese Entscheidung erforderlichen Feststellungen noch zu treffen und zu prüfen haben, ob diese Einschränkung des allgemeinen Teilzeitarbeitsmarktes als eine starke Einschränkung i. S. der o. a. Beschlüsse des Großen Senats anzusehen ist (vgl. Abschn. C V 2 b bb) des Beschlusses GS 4/69). Bei einem auf diese Weise schematisch eingeschränkten Teilzeitarbeitsmarkt (z. B. auf dem der leichten Arbeiten im Sitzen in geschlossenen Räumen) ist es - anders als bei dem uneingeschränkten Teilzeitarbeitsmarkt sowie bei einem einzelnen Beruf und einer Berufsgruppe, die nicht nur hinsichtlich der Arbeitsplätze, sondern auch hinsichtlich der auf diese Arbeitsplätze drängenden Interessenten abgrenzbar ist - nicht möglich, das Verhältnis der offenen und besetzten Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten (Arbeitsuchende und Beschäftigte) zu ermitteln. Zwar ist die Anzahl derartiger Teilzeitarbeitsplätze feststellbar, nicht aber die Zahl der Interessenten, weil an diesen Teilzeitarbeitsplätzen nicht nur diejenigen Teilzeitarbeitskräfte interessiert sind, die aus gesundheitlichen Gründen ausschließlich diese Tätigkeiten ausüben können, sondern auch ein nicht bestimmbarer Teil der sonstigen Teilzeitarbeit suchenden Versicherten. Der Senat ist jedoch, wie er bereits entschieden hat, der Ansicht, daß schon aus dem Verhältnis der Zahl der offenen und besetzten Teilzeitarbeitsplätze des eingeschränkten Teilzeitarbeitsmarktes zur Zahl der offenen und besetzten Teilzeitarbeitsplätze des betreffenden uneingeschränkten Teilzeitarbeitsmarktes geschlossen werden kann, ob eine starke Einschränkung in diesem Sinne anzunehmen ist. Da es selbst auf dem nach den Grundsätzen der o. a. Beschlüsse des Großen Senats offenen uneingeschränkten allgemeinen Teilzeitarbeitsmarkt für den Arbeitsuchenden im Einzelfall schwer ist, tatsächlich einen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist der Senat zu dem Ergebnis gekommen, daß eine starke Einschränkung in diesem Sinne dann anzunehmen ist, wenn die Zahl der offenen und besetzten Teilzeitarbeitsplätze des betreffenden eingeschränkten Teilzeitarbeitsmarktes niedriger als zwei Drittel der Zahl der offenen und besetzten Teilzeitarbeitsplätze des uneingeschränkten Teilzeitarbeitsmarktes ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 28. Juli 1970 - SozR Nr. 87 zu § 1246 RVO).
Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, kommt bei Teilzeitarbeitskräften, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten können, für die Einholung von Auskünften über die für die zu treffende Entscheidung erforderlichen Zahlen der Teilzeitarbeitsplätze, wenn, wie hier, das gesamte Bundesgebiet Verweisungsgebiet ist, praktisch nur die Bundesanstalt für Arbeit (BA) in Nürnberg in Betracht (vgl. Urteile vom 7. Juli 1970 - 5 RKn 46/68 -, 28. Juli 1970 - 5/4 RJ 11/68 -).
Ebenso wie bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhältnis der Zahl der offenen und besetzten Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten im Rahmen des Verhältnisses von 75 : 100 liegt, kommen auch bei der Ermittlung der Zahlen, die für die Entscheidung, ob der betreffende - schematisch - eingeschränkte Teilzeitarbeitsmarkt gegenüber dem uneingeschränkten Teilzeitarbeitsmarkt als stark eingeengt anzusehen ist, verschiedene Methoden (etwa Zugrundelegung der Meldungen der Arbeitsuchenden und der offenen Teilzeitarbeitsplätze bei den Arbeitsämtern, Verwertung von Statistiken über Beschäftigte, Betriebserhebungen, Verwertung der Ergebnisse einer Volkszählung oder hochgerechnete Zahlen aus einem Mikrozensus usw.) in Betracht. Nicht alle diese Methoden werden zur Zeit der Auskunftserteilung durch die BA praktisch durchführbar sein. Es muß daher als ausreichend angesehen werden, wenn die BA von den zur Zeit der Auskunftserteilung praktisch durchführbaren Methoden diejenige zur Erstellung dieses Zahlenmaterials anwendet, die zu dem z. Zt. relativ besten Ergebnis führt.
Sollte die BA allerdings überhaupt nicht in der Lage sein, die für diese Entscheidungen erforderlichen Zahlen zu nennen, ist nach den Grundsätzen des Großen Senats für den Versicherten auch dieser - schematisch - eingeschränkte Teilzeitarbeitsmarkt als praktisch verschlossen anzusehen, weil er nicht als funktionsfähig anzusehen ist (vgl. Beschluß des Großen Senats vom 11. Dezember 1969 - GS 4/69 -).
Außer dieser Einschränkung des allgemeinen Teilzeitarbeitsmarktes unterliegt der Kläger, wie bereits ausgeführt, noch individuell besonders gelagerten Leistungseinschränkungen: Er kann weder in Wechselschicht noch in Nachtschicht tätig sein und kann keine Fließbandarbeit verrichten. Die Auswirkungen solcher individuell besonders gelagerten Leistungseinschränkungen lassen sich wegen ihrer vielfältigen Unterschiedlichkeit nicht in der oben dargestellten üblichen Weise schematisieren (etwa leichte Tätigkeiten im Sitzen in geschlossenen Räumen) und zudem jedenfalls mit praktikablen Methoden kaum je mit hinreichender Sicherheit zahlenmäßig erfassen, sondern nur gutachtlich beschreiben.
Diese individuell besonders gelagerten Einschränkungen sind einmal dann als "stark" im o. a. Sinne anzusehen, wenn sie zur Folge haben, daß die Ausübung einer für die zu beurteilende Tätigkeit notwendigen Funktion unmöglich oder doch so erschwert ist, daß dies der Unmöglichkeit, sie auszuüben, gleich zu bewerten ist. In der Regel wird diese Frage bereits in den ärztlichen Gutachten hinreichend beantwortet sein. Es muß allerdings bedacht werden, daß ein Versicherter, der hiernach eine bestimmte Tätigkeit noch verrichten kann, damit nicht unbedingt in der Lage sein muß, alle Arten von Arbeitsplätzen einer solchen Tätigkeit auszufüllen, die ja zum Teil ein unterschiedliches Leistungsvermögen voraussetzen. Eine starke Leistungseinschränkung des Versicherten im o. a. Sinne ist daher auch dann anzunehmen, wenn er nicht wenigstens noch eine ihrer Zahl nach nicht unbedeutende Art von Arbeitsplätzen der betreffenden Tätigkeit ausfüllen kann.
Diese Grundsätze gelten nicht nur für einen Versicherten mit Lehrberuf oder gleichzubewertendem Beruf als Hauptberuf, bei dem es darauf ankommt, ob ihm infolge einer individuell besonders gelagerten Leistungseinschränkung der Arbeitsmarkt in seinem bisherigen Beruf offen oder praktisch verschlossen ist, sondern auch für denjenigen, bei dem es darauf ankommt, ob der uneingeschränkte allgemeine Teilzeitarbeitsmarkt offen oder praktisch verschlossen ist. In diesem letzteren Fall können derartige Leistungseinschränkungen dazu führen, daß Tätigkeiten oder Gruppen von Tätigkeiten des allgemeinen Teilzeitarbeitsmarktes unberücksichtigt bleiben müssen oder daß zumindest Gruppen von Arbeitsplätzen für solche Tätigkeiten ausfallen. Bei einem Versicherten, der nach ärztlichem Gutachten grundsätzlich noch die Tätigkeiten des uneingeschränkten allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten kann, wird allerdings bei der großen Zahl der Tätigkeiten dieses Arbeitsmarktes und der Vielzahl von Arten von Arbeitsplätzen dieser Tätigkeiten nur selten angenommen werden können, daß dem Versicherten dieser Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist.
Für diejenigen Versicherten, deren Leistungsfähigkeit in der besonderen Weise eingeschränkt ist, daß sie nur noch die Tätigkeiten eines in üblicher Weise schematisch abgegrenzten Teils des allgemeinen Teilzeitarbeitsmarktes verrichten können (etwa leichte Tätigkeiten im Sitzen in geschlossenen Räumen), gelten diese Grundsätze zwar ebenfalls, wenn dieser eingeschränkte Teilzeitarbeitsmarkt zusätzlich durch individuell besonders gelagerte Einsatzbeschränkungen eingeengt ist.
Doch führen diese meist zu anderen Ergebnissen. Denn wenn der allgemeine Teilzeitarbeitsmarkt schon auf diese - schematische - Weise eingeengt ist, wird, selbst wenn diese Einengung für sich allein nach den o. a. Grundsätzen noch nicht als stark anzusehen ist, weil die Zahl der offenen und besetzten Arbeitsplätze dieses eingeengten allgemeinen Teilzeitarbeitsmarktes nicht niedriger ist als zwei Drittel der Zahl der offenen und besetzten Arbeitsplätze des uneingeschränkten allgemeinen Teilzeitarbeitsmarktes, eine zusätzliche, individuell besonders gelagerte Leistungseinschränkung des Versicherten in der Regel doch dazu führen, daß der Teilzeitarbeitsmarkt für diesen Versicherten insgesamt als stark eingeschränkt anzusehen ist.
Soweit das Gericht nicht aus eigener Sachkunde die Feststellung treffen kann, welche Auswirkung eine individuell besonders gelagerte Leistungseinschränkung für die Fähigkeit des Versicherten hat, entsprechende Arbeitsplätze auszufüllen, wird vor allem die Einholung eines Gutachtens von einem mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Sachverständigen oder, falls der Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland zu beurteilen ist, die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg oder, falls der örtliche Arbeitsmarkt zu beurteilen ist, des örtlichen Arbeitsamts in Betracht kommen.
Läßt sich nicht in hinreichendem Maße klären, welche Auswirkungen eine individuell besonders gelagerte Leistungseinschränkung des Versicherten auf seine Fähigkeit, entsprechende Tätigkeiten zu verrichten oder Arbeitsplätze auszufüllen, hat, um dem Gericht die Entscheidung zu ermöglichen, daß eine starke Leistungseinschränkung in diesem Sinne vorliegt oder daß sie nicht vorliegt, so geht dies nach den Grundsätzen von der objektiven Beweislast zu Lasten desjenigen, der seinen Anspruch darauf stützt, daß es sich um eine starke Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt, d. h. zu Lasten des Klägers. Der Grundsatz des Großen Senats, daß ein Arbeitsmarkt auch dann als verschlossen gilt, wenn die Arbeitsbehörde keine hinreichende Auskunft über die für diese Entscheidung erforderlichen Zahlen geben kann - der im übrigen mit der Frage der objektiven Beweislast nichts zu tun hat -, kann hier keine Anwendung finden, weil die Auswirkungen der zu beurteilenden individuell besonders gelagerten Leistungseinschränkungen eines Versicherten nicht auf die übliche Weise schematisiert und zudem jedenfalls mit praktikablen Methoden kaum je mit hinreichender Sicherheit zahlenmäßig erfaßt werden können, wie bereits oben ausgeführt wurde.
Das LSG wird gegebenenfalls noch zu prüfen haben, ob seine Entscheidung Auswirkungen auf das ab 1. Mai 1970 gewährte vorgezogene Altersruhegeld hat, z. B. auch ob dieses möglicherweise in eine Rente wegen EU umzuwandeln ist.
Da der Senat als Revisionsgericht die noch erforderlichen Ermittlungen nicht selbst treffen kann, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes).
Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen