Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachaufklärung. Berufssoldat. Wiederverwendung
Orientierungssatz
Hängt nach Auffassung des LSG das Begehren des Klägers auf Zuerkennung des Durchschnittseinkommens nach § 4 Abs 2 BVG§30Abs3u4DV davon ab, ob er ohne die Kriegsbeschädigung bei der Bundeswehr wiederverwendet worden wäre, so muß das Gericht ggf Auskünfte bei der Bundeswehr einholen.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3 u 4 DV § 4 Abs. 2; SGG § 103
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 21.05.1968) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai 1968 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Der im Jahre 1921 geborene Kläger stammt aus Ostpreußen; er ist gelernter Huf- und Wagenschmied und hat die Gesellenprüfung im Jahre 1939 abgelegt. Im Dezember 1940 wurde er zum Wehrdienst einberufen und als Hufbeschlagsschmied verwendet. Im Jahre 1943 hat er sich als Berufssoldat für weitere 10 Jahre verpflichtet und wurde Beschlagsunteroffizier. Am 15. September 1944 wurde er schwer verwundet, so daß der rechte Arm im Oberarm abgesetzt werden mußte. Wegen dieser und anderer Schädigungsfolgen bezog der Kläger nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zunächst Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H., die wegen besonderen beruflichen Betroffenseins rückwirkend vom 1. Oktober 1950 auf 80 v. H. erhöht wurde.
Mit Schreiben vom 5. Mai 1964 beantragte der Kläger die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs. Dabei gab er an, daß er den vor der Einberufung ausgeübten Beruf als Schmied nicht mehr ausüben könne und heute als Hilfsarbeiter bzw. Chemiearbeiter tätig sei. Mit Bescheid vom 20. Oktober 1965 wurde dem Kläger ein Berufsschadensausgleich gewährt; dabei wurde der Kläger als Vollgeselle eingestuft und als Durchschnittseinkommen der Bruttomonatsverdienst der männlichen Arbeiter im Handwerk aller Handwerkszweige der Berechnung zu Grunde gelegt. Mit seinem Widerspruch begehrte der Kläger die Festsetzung eines Durchschnittseinkommens als Berufsunteroffizier. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1965).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 19. Januar 1967 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers durch Urteil vom 21. Mai 1968 zurückgewiesen und in den Gründen ausgeführt, die Berechnung des Durchschnittseinkommens könne nicht nach § 4 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 (BGBl I, 574 - DVO -) vorgenommen werden. Der Kläger habe in dem Verfahren auf Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins als maßgebenden Beruf vor der Schädigung den Beruf des gelernten Huf- und Wagenschmieds angegeben. Erst im Jahre 1964 im Verfahren auf Berufsschadensausgleich habe der Kläger auf den "Beruf" eines Unteroffiziers Bezug genommen. Insoweit bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob der Kläger nach 1945, auch ohne die Schädigung, überhaupt habe Soldat werden wollen. Jedenfalls sei nicht wahrscheinlich, daß der Kläger ohne die Schädigung ab 1956 bei der Bundeswehr weiter als Berufsunteroffizier hätte tätig werden können. Er sei nach seinem Vorbringen ausschließlich als Hufschmied bei der Wehrmacht eingesetzt gewesen. Gerade diese spezielle Tätigkeit hätte aber eine Verwendung bei einer Armee ausgeschlossen, die ausschließlich aus motorisierten bzw. Panzereinheiten aufgebaut worden sei. Wenn der Kläger Truppenunteroffizier gewesen wäre, so hätte er bei der Bundeswehr als Ausbilder tätig werden können. Seine vollkommen einseitig ausgerichtete Verwendung als Huf- und Beschlagsschmied bei der Wehrmacht schließe jedoch die Wahrscheinlichkeit einer Einstellung bei der Bundeswehr aus, ohne daß es dazu noch der Erhebung eines besonderen Beweises bedurft habe. Keineswegs sei wahrscheinlich, daß der Kläger nach dem Kriege ohne die Schädigung im Bundesgebiet noch die Meisterprüfung abgelegt und sich selbständig gemacht hätte. Hierzu werden vom LSG weitere Ausführungen gemacht, welches sodann zu dem Ergebnis gelangt, daß die von der Versorgungsbehörde in dem angefochtenen Bescheid vorgenommene berufliche Einstufung richtig vorgenommen worden ist. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen dieses, dem Kläger am 28. Juni 1969 zugestellte Urteil hat er mit seinem am 9. Juli beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom 8. Juli 1968 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 9. September 1968 mit einem am 6. September 1968 beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom 4. September 1968 begründet.
Er beantragt,
1) das angefochtene Urteil aufzuheben und den Anträgen der letzten mündlichen Verhandlung 2. Instanz zu entsprechen,
2) dem Beklagten die gesamten Kosten aufzuerlegen.
In seiner Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 153 Abs. 1, 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und trägt dazu insbesondere vor, es sei unzutreffend, daß er bei der früheren deutschen Wehrmacht nach seinen eigenen Angaben nur als Hufschmied und Hufbeschlagsunteroffizier eingesetzt gewesen sei. Im August 1944 sei er zum Sturmgeschützjagdkommando versetzt und als Gruppenführer ausgebildet worden. Von einer einseitig ausgerichteten Tätigkeit als Hufbeschlagsunteroffizier könne deshalb keine Rede sein. Das LSG habe es unterlassen, genaue Angaben über seinen tatsächlichen Werdegang bei der Wehrmacht einzuholen und stattdessen lediglich theoretische Ausführungen über die Stellung des Hufschmiedes oder Hufbeschlagsschmiedes gemacht. Jedenfalls hätte seine letzte Tätigkeit als Gruppenführer und Unteroffizier in einem Sturmschützjagdkommando eine Voraussetzung für seine Übernahme in die Bundeswehr sein können, wenn er im Kriege nicht verletzt worden wäre. Er habe sich im übrigen bei der Dienststelle Blank um Einstellung in die künftige Bundeswehr beworben. Diese sei jedoch gerade wegen seiner Kriegsbeschädigung nicht erfolgt. Das LSG habe es auch unterlassen, in tatsächlicher Hinsicht entsprechende Ergänzungen herbeizuführen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Er sieht die Verfahrensrügen des Klägers nicht als gegeben an. Wegen seines weiteren Vorbringens wird auf die Revisionserwiderung vom 30. Oktober 1968 verwiesen.
Die Revision des Klägers ist frist- und formrecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat wird im vorliegenden Fall die allein wegen des Berufsschadensausgleichs eingelegte Revision nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird und vorliegt (BSG 1, 150).
Der Kläger rügt in seiner Revisionsbegründung in mehrfacher Hinsicht zwar ausdrücklich eine Verletzung der §§ 153 Abs. 1 und 106 SGG; seinem Vorbringen ist jedoch zu entnehmen, daß er einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts, also eine Verletzung des § 103 SGG, rügen will. Zwar hat der Kläger diese Vorschrift nicht ausdrücklich bezeichnet; nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (1, 227) genügt es jedoch, wenn aus dem substantiierten Vorbringen eines Beteiligten ersichtlich ist, welche verfahrensrechtliche Norm als verletzt angesehen wird. Die Rüge einer Verletzung des § 103 SGG durch das LSG greift durch. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es ist hierbei an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Für die Frage, ob das LSG seine Pflicht, den Sachverhalt zu erforschen, nicht erfüllt und dadurch § 103 SGG verletzt hat, kommt es darauf an, ob der Sachverhalt, wie er dem LSG zur Zeit der Urteilsfällung bekannt gewesen ist, von dessen sachlich-rechtlichem Standpunkt aus zur Entscheidung des Rechtsstreits ausreichte oder ob er das Berufungsgericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen (BSG in SozR SGG § 103 Nr. 7 und Nr. 14; § 162 Nr. 20).
Das LSG hat materiell-rechtlich offensichtlich die Auffassung vertreten, daß der Berechnung des Berufsschadensausgleichs nur dann das Durchschnittseinkommen als Berufsunteroffizier gemäß § 4 Abs. 2 der DVO zu Grunde gelegt werden kann, wenn es wahrscheinlich ist, daß der Kläger ohne die Schädigungsfolge bei der Bundeswehr eingestellt worden wäre. Diese Wahrscheinlichkeit hat das LSG verneint und dazu die Feststellung getroffen, daß die vollkommen einseitig ausgerichtete Verwendung des Klägers als Huf- und Beschlagsschmied bei der früheren Wehrmacht seine Einstellung bei der Bundeswehr ausschließt. Nach Ansicht des LSG hätten die speziellen Merkmale des Berufes des Klägers als Hufbeschlagsschmied "eine Verwendung bei einer Armee ausgeschlossen, die ausschließlich aus motorisierten bzw. Panzereinheiten im Laufe der nächsten Jahre aufgebaut wurde". Zutreffend rügt der Kläger, daß das LSG diese Feststellung unter Verletzung seiner Pflicht den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, getroffen hat. Dieser Verpflichtung wäre es nur dann enthoben gewesen, wenn nach allgemeiner Erfahrung beim Aufbau der Bundeswehr wegen der Motorisierung der Armee solche Unteroffiziere nicht wieder eingestellt worden sind, weil sie einseitig nur als Hufbeschlagsschmiede ausgebildet wurden oder wenn diese Tatsache für das LSG gerichtsbekannt gewesen ist. Einen allgemeinen Erfahrungssatz dieses Inhalts - daß also Hufbeschlagsunteroffiziere wegen ihrer einseitigen Ausbildung nicht wieder bei der Bundeswehr eingestellt wurden - gibt es nicht.
Aus dem angefochtenen Urteil ist auch nichts dafür zu entnehmen, daß das LSG die angegriffene Feststellung deshalb ohne jede Beweiserhebung treffen konnte, weil ihm die Tatsache gerichtsbekannt war, daß Beschlagsunteroffiziere auf Grund ihrer einseitigen Ausbildung bei der früheren Wehrmacht wegen der Motorisierung der Bundeswehr nicht wieder eingestellt wurden. Das LSG hätte insoweit zumindest in den Urteilsgründen angeben müssen, worauf es seine Kenntnis gründet. Nach allem hätte sich das LSG somit auf Grund seiner sachlich-rechtlichen Auffassung gedrängt fühlen müssen, über die Frage Beweis zu erheben, ob der Kläger als ehemaliger Beschlagsunteroffizier ohne seine Schädigung wahrscheinlich bei der Bundeswehr wieder eingestellt worden wäre, dies umso mehr, als beim Aufbau der Bundeswehr wegen des bestehenden Mangels an technischem Personal auch frühere sogen. Funktionsunteroffiziere wieder eingestellt worden sind, die erst nach einer Umschulung Verwendung finden konnten (s. auch dazu BSG 26, 78). In der Verletzung des § 103 SGG durch das LSG liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel iS des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, so daß die Revision statthaft ist. Ist die Revision aber bereits wegen des Vorliegens eines von mehreren gerügten Verfahrensmängeln statthaft, so kommt es nicht mehr darauf an, ob auch die anderen Rügen durchgreifen (BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122), insbesondere ob das LSG auch über eine Verwendung in der Bundeswehr wegen der vom Kläger angeführten Ausbildung als Gruppenführer in einem Sturmgeschützjagdkommando hätte aufklären müssen. Die Revision ist auch begründet, da es nicht ausgeschlossen ist, daß das LSG ohne den bezeichneten Verfahrensmangel zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Da auch nach Auffassung des erkennenden Senats das Begehren des Klägers auf Zuerkennung des Durchschnittseinkommens nach § 4 Abs. 2 der DVO davon abhängt, ob er ohne die Schädigung bei der Bundeswehr als Berufsunteroffizier tätig wäre, eine entsprechende Feststellung vom LSG aber noch getroffen werden muß, konnte der Senat in der Sache selbst noch nicht entscheiden. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen