Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob die Arbeitsfähigkeit einer Teilzeitarbeitskraft auf dem allgemeinen Arbeitsfeld (leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, im Stehen und im Umhergehen in geschlossenen Räumen und im Freien) iS des Abschn C 5 2b) des Beschlusses des GrS vom 1969-12-11 - GS 4/69 - stark eingeschränkt ist.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 1967 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit statt der gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Der im Jahre 1905 geborene Kläger ist gelernter Werkzeugschlosser. Seit dem Jahre 1962 bezieht er die Rente wegen Berufsunfähigkeit. Die von ihm im November 1964 beantragte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. April 1965 ab.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Duisburg die Beklagte verurteilt, an den Kläger ab 1. November 1964 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen. Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 13. Januar 1967 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach den Feststellungen des LSG kann der Kläger noch bis zu vier Stunden täglich leichte Arbeiten, vorwiegend im Sitzen, in geschlossenen staubfreien Räumen verrichten. Dabei sei ein An- und Abmarschweg von 1 km zu Fuß und eine Fahrtdauer von 30 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen Arbeitsplatz und Wohnung zumutbar. Hiernach könne der Kläger als gelernter Werkzeugschlosser beispielsweise noch als Apparatewärter, Sortierer, Maßprüfer oder Kontrolleur tätig sein. Solche Arbeitsplätze, die der Kläger von seiner Wohnung aus erreichen könnte, gebe es auch für eine auf vier Stunden beschränkte Arbeitszeit. Ob sie in nennenswerter Anzahl vorhanden seien, brauche nicht ermittelt zu werden, denn Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung könnten nicht zur Erwerbsunfähigkeit führen.
Gegen diese Urteil hat der Kläger die vom LSG zugelassene Revision eingelegte Er ist - sinngemäß - der Auffassung, daß er erwerbsunfähig sei, weil es für ihn geeignete Arbeitsplätze nicht gebe.
Der Kläger beantragt,
1. das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16. 11. 1965 zurückzuweisen;
2. hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen;
3. die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungs- und Revisionsverfahren der Beklagten aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist insofern begründet, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird.
Die für den vorliegenden Fall entscheidende Frage, ob ein Versicherter auf eine Teilzeittätigkeit ohne Rücksicht darauf verwiesen werden kann, ob und in welchem Umfang es für die Tätigkeiten, die er noch verrichten kann, Arbeitsplätze gibt, hat der Große Senat des Bundessozialgerichts durch Beschluß vom 11. Dezember 1969 - GS 2/68 - dahin entschieden, daß es bei der Anwendung des § 1247 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) erheblich ist, ob Arbeitsplätze, die der Versicherte mit der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausüben kann, seien sie frei oder besetzt, vorhanden sind. Auf solche Arbeitsplätze kann der Versicherte nur verwiesen werden, wenn ihm der Arbeitsmarkt nicht praktisch verschlossen ist, d.h. wenn das Verhältnis der im Verweisungsgebiet vorhandenen, für den Versicherten in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten für solche Beschäftigungen nicht ungünstiger als 75 : 100 ist. Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an; der Rechtsansicht des LSG, es brauche nicht ermittelt zu werden, ob geeignete Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl vorhanden sind, weil Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung nicht zur Erwerbsunfähigkeit führen könnten, kann dagegen nicht zugestimmt werden.
Der Große Senat des BSG hat im Abschnitt C V des genannten Beschlusses vom 11. Dezember 1969 in Verbindung mit Abschnitt C V des Beschlusses vom gleichen Tage in Sachen M. gegen LVA Berlin - GS 4/69 - Anhaltspunkte dafür gegeben, wann das Arbeitsfeld in der Rege- als verschlossen angesehen werden kann. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger noch leichte Arbeiten, vorwiegend im Sitzen, in geschlossenen staubfreien Räumen verrichten kann. Der Kläger kann also nicht auf das gesamte allgemeine Arbeitsfeld, d.h. auf alle leichten bis mittelschweren Arbeiten im Sitzen, im Stehen und im Umhergehen in geschlossenen Räumen und im Freien verwiesen werden. Außerdem müssen noch bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich des Weges zwischen Wohnung und Arbeitsplatz erfüllt sein. Wenn auch hierbei nicht auf die derzeitige Wohnung des Klägers abgestellt werden kann, weil sich ein Versicherter, der noch halbschichtig tätig sein kann, grundsätzlich auf das Arbeitsfeld des gesamten Bundesgebietes verweisen lassen muß, so ergibt sich doch durch die hinsichtlich des Weges zur Arbeitsstätte zu erfüllenden Voraussetzungen eine weitere Einschränkung des bereits eingeschränkten Teils des Arbeitsfeldes. Das LSG wird zu prüfen haben, ob es sich bei diesen Einschränkungen um starke Einschränkungen im Sinne von Absatz C V 1 des o.a. Beschlusses in Verbindung mit Abschnitt C V 2 b aa bb des Beschlusses des Großen Senats in Sachen M. gegen LVA Berlin - GS 4/69 - handelt. Handelt es sich um starke Einschränkungen in diesem Sinne, so kann der Kläger nicht auf dieses Arbeitsfeld verwiesen werden, es sei denn, daß das Arbeitsamt oder die Beklagte dem Kläger einen entsprechenden Arbeitsplatz nachweist - gleichgültig, ob er dann von diesem Angebot Gebrauch macht oder nicht - oder wenn er anderweitig einen solchen Arbeitsplatz nicht nur vergönnungsweise erhalten hätte (vgl. hierzu Abschn. C V 2 b aa und ob des Beschl. M. ./. LVA Berlin v. 11. Dez. 1969 - GS 4/69 -) Handelt es sich dagegen nicht um starke Einschränkungen in diesem Sinne, kann der Kläger auf dieses Arbeitsfeld verwiesen werden. Diese Entscheidung kann grundsätzlich nicht ohne Kenntnis der zahlenmäßigen Größe der Gruppe von für den Kläger geeigneten Teilarbeitsplätzen getroffen werden, da nur bei Kenntnis dieser Zahl entschieden werden kann, ob es sich gegenüber dem uneingeschränkten allgemeinen Arbeitsfeld um eine starke Einschränkung handelt. Da der Kläger grundsätzlich auf das Arbeitsfeld der gesamten Bundesrepublik Deutschland verwiesen werden kann, kommt zur Klärung dieser Frage praktisch allein eine Auskunft bei der Bundesanstalt. für Arbeit in Nürnberg in Betracht, da von vornherein davon ausgegangen werden kann, daß andere Stellen keine umfassende Kenntnis dieses Arbeitsmarktes haben können. Wenn aber, wie nach dem o.a. Beschluß anzunehmen ist, zur Zeit selbst die Bundesanstalt für Arbeit noch nicht in der Lage ist, die ungefähre Größe des für den Kläger in Betracht kommenden Teilgebietes des allgemeinen Arbeitsmarktes anzugeben, kann der Kläger nach den Grundsätzen des o.a. Beschlusses ebenfalls nicht auf dieses Teilarbeitsgebiet verwiesen werden. Denn auch in einem solchen Falle muß nach dem o.a. Beschluß angenommen werden, daß ihm das Arbeitsfeld praktisch verschlossen ist. Wenn die für die Beobachtung des Arbeitsmarktes und die Arbeitsvermittlung zuständige Arbeitsverwaltung nicht in der Lage ist, die ungefähre zahlenmäßige Größe eines Teilzeitarbeitsmarktes anzugeben, muß davon ausgegangen werden, daß ihr auch nicht bekannt ist, wo und in welchem Umfang sich solche Stellen befinden. Daher muß man annehmen, daß es sich insoweit um einen nicht funktionierenden Teilzeitarbeitsmarkt handelt, der dem Versicherten praktisch verschlossen ist. Zwar ist auch der Kläger verpflichtet, von sich aus einen solchen Arbeitsplatz zu suchen. Doch kann nicht angenommen werden, daß er eine bessere Übersicht über diesen Arbeitsmarkt hat als die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg selbst.
Da der erkennende Senat im Revisionsverfahren die erforderlichen Tatsachen zur Prüfung der Frage, ob dem Kläger der Teilzeitarbeitsmarkt praktisch verschlossen ist, nicht selbst feststellen kann war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz).
Dem LSG bleibt auch die Kostenentscheidung hinsichtlich des Revisionsverfahrens vorbehalten.
Fundstellen