Leitsatz (amtlich)
Leistet ein Kurzarbeiter infolge Urlaubs nicht die Mindestarbeitszeit von 8 Stunden in der Doppelwoche, so ist diese unverschuldet versäumt (AVAVG § 120 Abs 2 Nr 3), wenn er den Urlaub seinerseits aus sachlich berechtigten Gründen gerade in dieser Zeit nimmt oder wenn er sich zu Beginn der Kurzarbeit bereits in Urlaub befand.
Normenkette
AVAVG § 120 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Dezember 1961 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin zeigte mit Schreiben vom 5. Dezember 1958 dem Arbeitsamt an, sie werde in der Zeit vom 18. bis zum 31. Dezember 1958 wegen Arbeitsmangels verkürzt arbeiten; als Arbeitstage seien der 18. Dezember (Donnerstag) sowie der 19. Dezember (Freitag) mit je acht Stunden und der 20. Dezember (Samstag) mit fünf Stunden vorgesehen. An diesen drei Tagen wurde im Betrieb der Klägerin wie vorgesehen gearbeitet. Die beigeladenen Arbeiter J und M arbeiteten jedoch lediglich fünf Stunden am 20. Dezember 1958, weil sie an den anderen Tagen beurlaubt waren; die übrigen Beigeladenen verrichteten überhaupt keine Arbeit, da sie an allen drei Tagen beurlaubt waren.
Das Arbeitsamt erklärte mit Bescheid vom 12. Dezember 1958 die Gewährung von Lohnausfallvergütung dem Grunde nach für zulässig; es lehnte aber mit Bescheid vom 10. Februar 1959 das Kurzarbeitergeld für die Beigeladenen ab, weil sie die in § 120 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) geforderte Arbeitszeit von wenigstens acht Arbeitsstunden in der Doppelwoche wegen ihres Urlaubs nicht erfüllt und damit die erforderliche Mindestarbeitszeit durch eigenes Verschulden versäumt hätten. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG) hob die angefochtenen Bescheide auf und verurteilte die Beklagte, einen Bescheid über Bewilligung von Kurzarbeitergeld an die Beigeladenen zu erteilen. Die Beigeladenen hätten die Mindestarbeitszeit von acht Stunden in der Doppelwoche zwar nicht erfüllt; dies sei aber unschädlich, weil sie wegen des Urlaubs nicht zur Arbeit hätten kommen müssen und deshalb die Mindestarbeitszeit unverschuldet versäumt hätten; sie seien deshalb gemäß § 120 Abs. 2 Nr. 3 AVAVG so zu behandeln, als wenn sie die Mindestarbeitszeit eingehalten hätten. Revision wurde zugelassen.
Gegen das am 10. Januar 1962 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 6. Februar Revision ein und begründete sie am 9. März. Sie rügt einen Verstoß gegen § 120 Abs. 2 Nr. 3 AVAVG. Diese Vorschrift stelle nicht auf unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit ab, sondern auf unverschuldete Versäumung der Mindestarbeitszeit. Es komme deshalb nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer vom Betrieb her gesehen, fernbleiben durfte, sondern darauf, ob das Fehlen der Mindestarbeitszeit wegen Urlaubs unschädlich sei. Dies aber lasse sich nur von Fall zu Fall entscheiden. Würde man Urlaub allgemein als Rechtfertigungsgrund gelten lassen, dann könnte ein Kurzarbeiter durch Urlaubsteilung monatelang Kurzarbeitergeld beziehen, ohne jemals die Mindestarbeitszeit zu erfüllen. Urlaub dürfe nur dann als Rechtfertigungsgrund angesehen werden, wenn er aus zwingenden persönlichen Gründen genommen werde oder wenn der Arbeitnehmer bei Einführung von Kurzarbeit sich bereits im Urlaub befinde, weil ihm ein Abbruch des Urlaubs in der Regel nicht zugemutet worden könne. Da aber nicht geklärt sei, ob die Beigeladenen für ihren Urlaub zwingende persönliche Gründe gehabt hätten, liege auch ein Verstoß gegen § 103 SGG vor.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Rheinland-Pfalz vom 1. Dezember 1961 die Berufung der Klägerin und der Beigeladenen gegen das Urteil des SG Koblenz vom 4. Februar 1960 zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin und die Beigeladenen beantragen,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig und begründet.
Vorab bestehen keine Bedenken, daß die Klägerin als Arbeitgeberin in dem Revisionsverfahren durch ein Mitglied bzw. den Angestellten einer Gewerkschaft vertreten wird. Die Klägerin ist auch gemäß § 188 Abs. 3 AVAVG befugt, die Ansprüche ihrer Arbeitnehmer auf Kurzarbeitergeld geltend zu machen (BSG 16, 65).
Nach § 120 AVAVG ist Voraussetzung für den Anspruch auf Kurzarbeitergeld unter anderem, daß der Kurzarbeiter in der Doppelwoche mindestens eine volle Arbeitsschicht, mindestens aber acht Arbeitsstunden in der Arbeitsstätte beschäftigt wird (Abs. 2 Nr. 3). Allein durch das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ohne tatsächliche Arbeitsleistung wird der Vorschrift allerdings nicht genügt. Vielmehr verlangt das Gesetz, damit während der Kurzarbeit die Verbindung des Arbeitnehmers mit dem Betrieb aufrechterhalten bleibt, eine tatsächliche Beschäftigung im Umfang der vorgeschriebenen Mindestarbeitszeit. Von ihr soll ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn der Arbeitnehmer sie unverschuldet versäumt (Abs. 2 Nr. 3 Satz 2), also normalerweise gearbeitet hätte, jedoch durch Gründe, die er nicht zu vertreten hat, daran verhindert war, z. B. durch dringende Familienangelegenheiten, Vorladung zu Behörden und dgl. Denn es wäre unbillig, bei solchen Behinderungen das Kurzarbeitergeld zu versagen. Verschuldet ist jedoch unentschuldigtes Fehlen. Ist der Arbeitnehmer während der Kurzarbeit beurlaubt, so können die Fälle verschieden liegen. Verschulden wird nicht ohne weiteres dadurch ausgeräumt, daß der Arbeitnehmer vom Betrieb beurlaubt war und deshalb im Verhältnis zu dem Arbeitgeber befugt der Arbeit ferngeblieben ist. Bei Urlaub ist die Säumnis vielmehr nur dann im Sinne des Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 unverschuldet, wenn der Arbeitnehmer sachlich berechtigte - wenn auch nicht unbedingt zwingende - Gründe hat, den Urlaub zu dieser Zeit zu nehmen. Die Gründe müssen in der Person des Arbeitnehmers vorliegen. Befindet sich der Arbeitnehmer bei Einführung der Kurzarbeit bereits in Urlaub, so braucht er diesen nicht abzubrechen, um die Mindestarbeitszeit abzuleisten.
Da die Feststellungen des LSG nichts darüber ergeben, aus welchen Gründen die Beigeladenen ihren Urlaub jeweils gerade an den für die Mindestarbeitszeit im Betrieb festgesetzten Tagen genommen haben, muß das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 926766 |
BSGE, 184 |