Leitsatz (redaktionell)
1. Jede Verwaltung hat die aus ihrer öffentlichen Aufgabe und Funktion entspringende Pflicht in ihrem Bereich für einen dem Gesetz entsprechenden Zustand zu sorgen und gesetzwidrige Zustände zu vermeiden oder zu beseitigen; es ist gleichgültig, ob sich dies zugunsten oder zuungunsten der Berechtigten auswirkt. Sie handhabt ihr Ermessen fehlerhaft, wenn sie die Unrichtigkeit der früheren Regelung erkennt, trotzdem sich auf die Bindung an den früheren Bescheid beruft und mit dieser rein formalistischen Begründung dem Berechtigten eine günstigere Rechtsposition versagt.
2. Die Vorschrift des BVG § 57 Abs 1 Nr 3 kann nicht auf die Frist des BVG § 85 S 2 angewendet werden.
3. Zugestehen einzelner Anspruchsvoraussetzungen.
Normenkette
KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-07-03; BVG § 57 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1955-01-19, § 85 S. 2 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. November 1961 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger, der im Oktober 1948 die Erlaubnis zum ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet erhalten hatte, beantragte im Februar 1959 die Gewährung von Versorgungsrente nach seinem natürlichen Vater Ri. K der im November 1943 als Soldat an einem postpneumonischen Empyem gestorben ist. Er hatte vom früheren Versorgungsamt (VersorgA) Potsdam vom 1. Juni 1944 an Waisenbeihilfe bezogen, sein Waisenrentenantrag war am 20. Oktober 1944 abgelehnt worden. Das VersorgA lehnte durch Bescheid vom 27. November 1959 die Gewährung von Hinterbliebenenrente ab, weil der natürliche Vater an einer Kreislaufschwäche verstorben und sein Tod in dem früheren Verfahren nicht als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt worden sei. Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger auf die Gewährung von Rente für die eheliche Tochter des Kindesvaters hin; der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 29. April 1960), weil die frühere Entscheidung nach § 85 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) die Versorgungsverwaltung binde; der Anerkennungsbescheid für die eheliche Tochter könne lediglich wegen der entgegenstehenden gesetzlichen Vorschriften nicht widerrufen werden.
Auf die Klage blieb der Beklagte zunächst bei seiner Ansicht, Einwirkungen des militärischen Dienstes hätten die zum Tode führende Krankheit nicht verursacht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21. November 1960 führte er aber aus, er leugne nicht die Vatereigenschaft des natürlichen Vaters sowie die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs dessen Todes mit wehrdienstlichen Schädigungseinflüssen und gestehe diese Anspruchsvoraussetzungen zu.
Durch Urteil vom 21. November 1960 verurteilte das Sozialgericht (SG) den Beklagten unter Aufhebung der Verwaltungsbescheide, dem Kläger Waisenversorgung seit dem 1. Februar 1959 zu gewähren. Es hat den Inhalt der Verwaltungsakten über den Antrag des Klägers und über die Waisenrente der ehelichen Tochter verwertet und ausgeführt, die Anspruchsvoraussetzungen, nämlich die Vatereigenschaft des Verstorbenen und der ursächliche Zusammenhang seines Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG, seien erfüllt. § 85 Satz 1 BVG könne keine Anwendung finden.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt und hat nur eine unrichtige Anwendung des § 85 BVG bemängelt. Durch Urteil vom 10. November 1961 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Es ist davon ausgegangen, daß der Kläger Waise im Sinne des § 45 Abs. 2 Nr. 6 BVG und der Tod als Schädigungsfolge wahrscheinlich sei. § 85 BVG habe weder in der alten noch in der seit dem 1. Juni 1960 geltenden Fassung dem Anspruch des Klägers entgegengestanden. In Fällen wie dem des Klägers sei es ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, in analoger Anwendung des § 57 Abs. 1 Nr. 3 BVG aF zu verfahren, d. h. den Antrag dann als rechtzeitig anzusehen, wenn er innerhalb von 6 Monaten nach Übersiedlung nach Berlin - West gestellt worden sei. Die Rechtslage sei auch nach dem Ersten Neuordnungsgesetz (NOG) nicht anders zu beurteilen. Denn trotz des Wegfalls des - bisherigen - Satzes 2 des § 85 BVG sei die frühere Entscheidung des VersorgA Potsdam deshalb nicht rechtsverbindlich, weil sie im Spruchverfahren nicht habe angefochten werden können und daher verfahrensrechtlich nicht bindend geworden sei. Außerdem habe der Beklagte (nachdem er die Vatereigenschaft des Verstorbenen und den ursächlichen Zusammenhang des Todes mit wehrdienstlichen Schädigungen anerkannt habe) nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) einen neuen Bescheid erteilen müssen; denn die ursprüngliche Ablehnung des VersorgA Potsdam sei aus tatsächlichen Gründen unrichtig gewesen, so daß auch dieser rechtliche Gesichtspunkt die Verurteilung des Beklagten rechtfertige. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil es sich bei der Auslegung des § 85 BVG um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handele.
Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Er rügt mit näherer Begründung eine unrichtige Anwendung des § 85 BVG, § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und § 40 VerwVG. Die ursprüngliche Ablehnung des Rentenanspruchs sei auch jetzt noch verbindlich. Ferner habe das Berufungsgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt.
Der Kläger beantragt,
die Revision gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen.
Er hält das Verfahren des Berufungsgerichts für fehlerfrei und das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beklagte hat die zugelassene Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das gemäß § 164 SGG zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß die Verwaltung trotz des Bescheides des früheren VersorgA Potsdam dem Kläger Waisenrente hätte gewähren müssen, weil die Anspruchsvoraussetzungen (glaubhaft gemachte Vaterschaft des Verstorbenen und ursächlicher Zusammenhang seines Todes mit Einwirkungen des Wehrdienstes) erfüllt seien. Die Revision wendet sich zunächst gegen die Feststellung dieses ursächlichen Zusammenhangs und rügt insoweit eine unzureichende Sachaufklärung. Das LSG habe keine eigenen Ermittlungen angestellt, sondern sich verfahrenswidrig mit dem Zugeständnis des Beklagten begnügt. Insoweit ist dem Beklagten einzuräumen, daß die Erklärung des Sitzungsvertreters vom 21. November 1960 über das Zugeständnis der Elterneigenschaft des natürlichen Vaters des Klägers sowie über die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs kein Anerkenntnis im Sinne des § 101 SGG darstellt. Denn insoweit handelt es sich um das Zugestehen einzelner Anspruchsvoraussetzungen, nicht aber um ein Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs oder eines seiner Teile. Das Zugeständnis einzelner rechtserheblicher Tatsachen hat zwar im Zivilprozeß bestimmte Rechtsfolgen. Sie entfallen aber im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit. Denn es ist mit den Grundsätzen der Offizialmaxime, welche dieses Verfahren beherrschen, nicht vereinbar, wenn das Gericht lediglich auf Erklärungen der Beteiligten hin einen für die Entscheidung wesentlichen Sachverhalt als bestehend oder nicht bestehend ansieht. Vielmehr hat das Gericht die Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären und sich durch aktenkundige Beweismittel oder eigene Prozeßhandlungen die für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen zu beschaffen, wobei allerdings die Beteiligten gehalten sind, bei der Sammlung des Prozeßstoffes mitzuwirken. Wenn es auch zutrifft, daß im angeführten Urteil ausgeführt ist, die beiden vorbezeichneten Anspruchsvoraussetzungen seien ausdrücklich zugestanden worden, so hat das LSG jedoch - wie sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt - außer dem Zugeständnis auch noch den Vermerk vom 9. Mai 1955 in den Versorgungsakten verwertet, welcher wie folgt lautet:
"K. ist 1915 geboren. Bei der vorliegenden Erkrankung handelt es sich um eine akute Krankheit, die K. sich offenbar durch den mil. Dienst zugezogen hat. Es besteht kein Zweifel, daß der Tod Folge von WDB ist".
Ferner hat das Berufungsgericht bei der abschließenden Stellungnahme zu dem Urteil des SG ausgeführt:
"Es bestanden somit keine Bedenken dagegen, daß das Sozialgericht nicht nur die Verwaltungsbescheide aufgehoben, sondern auch gleichzeitig den Beklagten zur Gewährung der Waisenrente verurteilt hat, für Die Sämtliche Voraussetzungen gegeben waren."
Wie hierdurch immerhin erkennbar ist, hat sich das LSG das Urteil des SG - auch wenn es dieses nicht förmlich in Bezug genommen hat - hinsichtlich der Teile zu eigen gemacht, welche die Voraussetzungen für die Gewährung von Waisenrente betreffen. Insoweit aber hat das SG die Vatereigenschaft und den ursächlichen Zusammenhang des Todes mit Einwirkungen des Wehrdienstes als "durch die Aktenunterlagen bewiesen und im übrigen unstreitig" bezeichnet. Mithin hat das SG auf Grund der Aktenunterlagen eigene Feststellungen getroffen. Es kann im Hinblick auf die Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid vom 29. April 1960 sogar angenommen werden, daß es nicht nur den Vermerk vom 9. Mai 1955, sondern auch den vom 26. Februar 1960 und die ihm zugrunde liegende ärztliche Stellungnahme des Medizinalrats Dr. K vom 11. Dezember 1959 berücksichtigt hat. Dies alles hat das LSG - wie aus dem angefochtenen Urteil erkennbar ist - übernommen und hat mithin seine Feststellungen über die Vatereigenschaft des Verstorbenen und den ursächlichen Zusammenhang des Ablebens mit Einwirkungen des Kriegsdienstes nicht lediglich auf das Zugeständnis des Beklagten gestützt.
Bei dieser Sachlage hätte der Beklagte im übrigen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG SozR SGG § 162 Bl. Da 16 Nr. 64 und Bl. Da 20 Nr. 72; SGG § 164 Bl. Da 10 Nr. 28) angeben müssen, welche Ermittlungen das Berufungsgericht im einzelnen noch hätte vornehmen müssen und zu welchen den bisher getroffenen Feststellungen entgegenstehenden Ergebnissen sie nach Ansicht der Revision geführt hätten. Derartige Ausführungen hat der Beklagte nicht gemacht. Deshalb sind formgerecht erhobene Revisionsrügen gegen die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Ableben des Kindesvaters und den Einwirkungen des Wehrdienstes nicht erhoben worden. Diese Feststellung des LSG bindet daher nach § 163 SGG das Revisionsgericht. Da der Senat die Rüge eines Verstoßes gegen § 103 SGG somit als nicht formgerecht erhoben überhaupt nicht berücksichtigen konnte, brauchte auf die Frage, ob etwa die Behauptung der Revision, der natürliche Vater des Klägers sei nicht an den Folgen einer Einwirkung des Wehrdienstes gestorben, neues Vorbringen in der Revisionsinstanz darstellt und schon deshalb nicht verwertet werden kann, nicht eingegangen zu werden. Das LSG hat somit § 103 SGG nicht verletzt.
Ausgehend von der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, daß die Vorschrift des § 85 BVG einer erneuten Nachprüfung nicht im Wege stehe, da aus sozialen Gründen zur Berechnung der in § 85 Satz 2 BVG festgelegten Frist die Vorschrift des § 57 Abs. 1 Nr. 3 BVG entsprechend heranzuziehen sei.
Diese Auffassung des Berufungsgerichts ist nicht frei von Rechtsirrtum. § 85 BVG lautete in der ursprünglichen Fassung:
"Soweit nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften über die Frage des ursächlichen Zusammenhanges einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 dieses Gesetzes entschieden worden ist, ist die Entscheidung auch nach diesem Gesetz rechtsverbindlich. Ist der ursächliche Zusammenhang durch Entscheidung einer Verwaltungsbehörde, die auf Grund des § 3 der Verordnung über das Versorgungswesen vom 2. September 1939 (RGBl I 1686) oder des § 4 der Verordnung über das Wehrmachtfürsorge- und -versorgungswesen vom 7. September 1939 (RGBl I 1699) im Spruchverfahren nicht angefochten werden konnte, verneint worden, so ist innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes die erneute Anmeldung des Anspruchs zulässig."
Wie der Gesetzgeber unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hat, hat er die im zweiten Satz näher bezeichneten Verwaltungsakte als bindend angesehen und hat lediglich innerhalb einer bestimmten Frist ihre vereinfachte Überprüfung durch erneute Anmeldung der Ansprüche durch den Berechtigten zugelassen. Damit hat das Gesetz berücksichtigt, daß diese Verwaltungsakte gerichtlich nicht nachgeprüft werden konnten. Es ist nicht angängig, aus diesem Umstande weitere Folgerungen zu ziehen als im BVG zugelassen sind. Deshalb kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Vorschrift des § 85 BVG überhaupt nicht angewendet werden. Die vom LSG in diesem Zusammenhang angezogene Entscheidung des BSG (BSG 4, 116 ff, 120) betrifft einen anderen Sachverhalt.
Die Fassung des § 85 BVG aF, die zur Zeit des angefochtenen Bescheides galt, beschränkte die Möglichkeit einer erneuten Anmeldung ausdrücklich auf eine bestimmte Zeit. Bei diesem klaren Wortlaut ist es trotz der Billigkeitserwägungen, die nach der Begründung zu § 85 (§ 84 des Entwurfs) zur Einfügung des Satzes 2 geführt haben, nicht möglich, in den Fällen, in denen die Berechtigten wegen ihres späteren Zuzugs in das Bundesgebiet oder nach West-Berlin ihren Antrag nicht innerhalb eines Jahres stellen konnten, die Frist auszudehnen. Hinzu kommt noch, daß die Ausnahmen des § 57 BVG aF genau umgrenzte Tatbestände umfaßt haben und diese Vorschrift einer Ausnahmeregelung auf andere Sachverhalte nicht entsprechend angewendet werden kann. Eine Regelung im Sinne der Auffassung des LSG mag vielleicht de lege ferenda als gerechtfertigt erscheinen; bei dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist eine solche Auslegung aber nicht möglich. Auch durch das Erste NOG, das vor der Entscheidung des SG ergangen ist und die Vorschrift des § 85 Satz 2 BVG ersatzlos hat wegfallen lassen, ist für den vorliegenden Rechtsstreit die Rechtslage nicht geändert worden. Denn die Frist des § 85 Satz 2 BVG war bereits mit dem 30. September 1951 - ein Jahr nach dem Inkrafttreten des BVG am 1. Oktober 1950 - abgelaufen und damit gegenstandslos geworden. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung ohne Übernahme des bisherigen Satzes 2 also nur die seit langem bestehende Rechtslage bestätigt. Damit stand an sich § 85 BVG einer erneuten Nachprüfung entgegen. Trotzdem ist die Entscheidung des LSG im Ergebnis zutreffend. Denn das LSG hat als Rechtsgrundlage für sein Urteil auch § 40 VerwVG angesehen. Diese Vorschrift trägt den Belangen der Berechtigten der Sache nach - wenn auch mit einer anderen Rechtsgrundlage - in gleicher Weise wie § 85 Satz 2 BVG Rechnung. Nach § 40 Abs. 1 aaO kann die Verwaltungsbehörde jederzeit zugunsten des Berechtigten einen neuen Bescheid erteilen. Wie das LSG übereinstimmend mit der Rechtsprechung des BSG (BSG 15, 12 f; 19, 287 f; SozR VerwVG § 40 Bl. Ca 6 Nr. 6), der sich der Senat anschließt, ausgeführt hat, handelt es sich insoweit um eine Ermessensentscheidung. Sie kann gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG von den Gerichten nur daraufhin nachgeprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Bei der gerichtlichen Nachprüfung ist von folgenden Erwägungen auszugehen: Jede Verwaltung hat die aus ihrer öffentlichen Aufgabe und Funktion entspringende Pflicht, in ihrem Bereich für einen dem Gesetz entsprechenden Zustand zu sorgen und gesetzwidrige Zustände zu vermeiden oder zu beseitigen; es ist gleichgültig, ob sich dies zugunsten oder zuungunsten des Berechtigten auswirkt (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 8. Aufl. S. 239 ff). Sodann ist die Entstehungsgeschichte des § 40 VerwVG zu berücksichtigen. Wie sich aus der Begründung des Entwurfs zu diesem Gesetz ergibt (§§ 40-44, Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode 1953, Drucks. Nr. 68, 14), sollte der Verwaltung wegen der Vielzahl der in der Nachkriegszeit notwendig gewordenen und unter unzulänglichen Verhältnissen getroffenen Entscheidungen in geeigneten Fällen ein Abgehen von der Bindungswirkung gestattet werden. Besteht aber diese Möglichkeit und widerspricht eine zum Nachteil der Berechtigten getroffene, bindend gewordene Regelung der später geklärten Sachlage, so soll die Verwaltung von dem bindenden Bescheid abrücken. Sie handhabt ihr Ermessen fehlerhaft, wenn sie die Unrichtigkeit der früheren Regelung erkennt, trotzdem sich auf die Bindung an den früheren Bescheid beruft und mit dieser rein formalistischen Begründung dem Berechtigten eine günstigere Rechtsposition versagt.
Die Auffassung des Berufungsgerichts stimmt mit diesen Grundsätzen überein. Das LSG hat auch zutreffend ausgeführt, das Ermessen sei hier so eng eingeschränkt, daß nur eine Entscheidung, nämlich die Gewährung von Waisenrente, möglich sei.
Sonach hat das LSG im Ergebnis zutreffend mit der Begründung aus § 40 VerwVG das Urteil des SG bestätigt, welches den Beklagten zur Gewährung von Waisenrente verurteilt hatte. Deshalb ist die Revision der Beklagten nicht begründet und mußte - wie geschehen - zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen