Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Berufungszulässigkeit. unrichtige Rechtsmittelbelehrung
Orientierungssatz
Eine Berufung ist unzulässig, wenn sie im erstinstanzlichen Urteil nicht ausdrücklich zugelassen worden ist und das Gericht der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung bewirkt keine Eröffnung der Berufungsinstanz (vgl BSG 1963-08-28 12/3 RJ 52/61 = SozR SGG § 150 Nr 41).
Normenkette
SGG § 148 Nr. 3, § 150 Nr. 1
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 24.06.1969) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 29.02.1968) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. Juni 1969 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Kläger bezieht Versorgung wegen "Osteochondrose im Bereich des 4. und 5. Lendenwirbels mit intermittierendem Nucleus pulposus-Prolaps" -verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) war nach saarländischem Recht vom 1. Mai 1955 an bis zum 31. Mai 1960 mit 25 v. H. festgestellt worden. Dies beruhte auf einem gerichtlichen Vergleich vor dem Sozialgericht (SG) vom 8. April 1964; ihn hatte der Beklagte im Hinblick auf das Gutachten des damaligen gerichtlichen Sachverständigen, des Facharztes für Orthopädie Dr. G, und die Stellungnahme seines eigenen ärztlichen Sachverständigen, Dr. Sch, vom 17. Dezember 1963 vorgeschlagen. Durch den Umanerkennungsbescheid vom 22. September 1964 behielt der Beklagte für die Versorgung nach dem BVG die Bezeichnung der Schädigungsfolgen bei und führte aus:
"Durch diese Gesundheitsstörungen ist Ihre Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. ab 1. Juni 1960 gemindert. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG liegen bei Ihnen vor. Die MdE wird daher um 15 v. H. von 10 auf 25 v. H. erhöht."
Mit dem Widerspruch verwies der Kläger auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. G; nach ihm und dem Vergleich vom 8. April 1964 könne die MdE in medizinischer Hinsicht nicht vom 1. Juni 1960 an auf 10 v. H. herabgesetzt werden. Im Bescheid vom 22. September 1964 sei ein besonderes berufliches Betroffensein mit einer MdE um 15 v. H. anerkannt worden, so daß dem Kläger vom 1. Juni 1960 an Rente nach einer MdE um 40 v. H. zustehe. Durch Bescheid vom 10. November 1964 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach den Richtlinien des § 30 Abs. 1 BVG sei die MdE für das im Sinne der Verschlimmerung anerkannte Leiden lediglich mit 10 v. H. festzusetzen. Zur Bewertung mit 25 v. H. sei es im Vergleich nur wegen der besonderen beruflichen Beeinträchtigung gekommen.
Mit der Klage hat der Kläger vom 1. Juni 1960 an unter Berücksichtigung des beruflichen Betroffenseins die Gewährung von Rente nach einer MdE um 40 v. H. beantragt. Der Beklagte hat geltend gemacht, er sei bei seinem Vergleichsangebot der Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes gefolgt, welcher die Bemessung des Grades der MdE mit 25 v. H. als etwas reichlich, aber mit Rücksicht auf den Beruf für noch vertretbar gehalten habe. Das SG hat den Sanitätsrat Dr. G als Sachverständigen gehört. Es hat durch Urteil vom 29. Februar 1968 die angefochtenen Verwaltungsbescheide abgeändert und dem Kläger vom 1. Juni 1960 an unter Berücksichtigung von § 30 Abs. 2 BVG eine Rente nach einer MdE um 40 v. H. zugesprochen. Nach dem Gutachten des Sanitätsrats Dr. G sei in dem Versorgungsleiden seit dem Abschluß des Vergleiches keine wesentliche Änderung eingetreten; die MdE durch die Schädigungsfolgen sei auf 25 v. H. festzusetzen. Hieran könne das Gutachten des Dr. Sch vom 17. Dezember 1963 nichts ändern, weil es dem Kläger nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Nach dem Gutachten des Gerichtsarztes sei mit dem Beklagten eine besondere berufliche Betroffenheit zu bejahen. Deshalb sei die gemäß § 30 Abs. 1 BVG festgestellte MdE um 15 v. H. auf 40 v. H. vom 1. Juni 1960 an zu erhöhen. Der erste und zweite Absatz der Rechtsmittelbelehrung lauten wie folgt:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Landessozialgericht für das Saarland nur insoweit zu, soweit sie den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit betrifft.
Ungeachtet dessen ist die Berufung aber zulässig, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt. Das SG habe das Rechtsmittel ausdrücklich zugelassen. Bei der Bewertung der MdE im Vergleichsangebot und demgemäß beim Vergleichsabschluß seien ausweislich der Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes, Dr. Sch, vom 17. Dezember 1963 die Schwierigkeiten berücksichtigt worden, welche der Kläger durch die Schädigungsfolgen bei der Ausübung seines Berufes als Ofenmaurer gehabt habe. Dies sei nach § 24 des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) idF vom 9. Juli 1956 möglich gewesen. Die Verwaltung habe also bei der Umanerkennung den Grad der MdE nicht herabgesetzt. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte noch vorsorglich gerügt, das Verfahren des SG leide - wenn es die Berufung nicht habe zulassen wollen - an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil es wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung hätte zulassen müssen. Durch Urteil vom 24. Juni 1969 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG sei nicht streitig. Das SG habe die Berufung im Urteil nicht zugelassen. Der erste Absatz der Rechtsmittelbelehrung sei nicht als rechtswirksame Zulassung anzusehen, vielmehr habe es eine - allerdings falsche - Rechtsmittelbelehrung erteilen wollen. Die Rüge eines wesentlichen Mangels des Verfahrens sei nicht ausreichend substantiiert. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Heraufsetzung der MdE des Klägers auf 40 v. H. gerechtfertigt sei, weil - wie der Beklagte meine - die berufliche Betroffenheit ausdrücklich und ausreichend bei dem Vergleich vom 8. April 1964 berücksichtigt worden sei; ein Verfahrensmangel sei jedenfalls hierin nicht zu erblicken. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden gewesen sei.
Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt zu erkennen:
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. Juni 1969 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Er rügt mit näherer Begründung, der erste Satz der Rechtsmittelbelehrung des SG sei als eine wirksame Zulassung anzusehen. Das LSG habe davon ausgehen müssen, daß das SG die Berufung auch wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen habe. Bei der Umanerkennung sei es von wesentlicher Bedeutung gewesen, ob die nach den Bestimmungen des RVG festgesetzte MdE bereits eine besondere berufliche Betroffenheit habe berücksichtigen können oder ob generell die MdE nach dem RVG mit der des § 30 Abs. 1 BVG gleichzusetzen sei.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Das SG habe die Berufung weder im Urteilstenor noch in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zugelassen.
Der Beklagte hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sein zulässiges Rechtsmittel kann keinen Erfolg haben.
Streitig ist in der Revisionsinstanz, ob das Berufungsgericht zu Recht von einer Sachentscheidung abgesehen und die Berufung gemäß § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig angesehen hat. Nach dieser Vorschrift ist in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung die Berufung nicht zulässig, soweit sie betrifft ... den Grad der MdE ..., es sei denn, daß die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente davon abhängt. Das Berufungsgericht hat hier zu Recht angenommen, daß die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG nur den Grad der MdE, nämlich 25 oder 40 v. H. betrifft. Die Schwerbeschädigteneigenschaft ist im Berufungsverfahren, nachdem der Kläger seine Berufung zurückgezogen hatte, nicht mehr streitig gewesen, ganz abgesehen davon, daß dies die Berufung des Beklagten nicht berührt hätte; denn sie war eine selbständige Berufung und keine Anschlußberufung. Infolgedessen ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 148 Nr. 3 SGG vorgelegen haben.
Im angefochtenen Urteil ist weiter geprüft, ob das SG die Berufung zugelassen hat. Nach § 150 Nr. 1 SGG ist die Berufung, ungeachtet der eben erwähnten Vorschrift des § 148 SGG, ua dann zulässig, wenn das SG sie im Urteil zugelassen hat. Zu Recht hat das LSG in dem oben mitgeteilten ersten Satz der Rechtsmittelbelehrung keine Zulassung der Berufung, sondern nur eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung gesehen. Der Revision kann darin gefolgt werden, daß das Gesetz nicht vorgeschrieben hat, an welcher Stelle des Urteils die Zulassung der Berufung stehen muß. In jedem Falle aber muß gefordert werden, daß die Zulassung in den Entscheidungsgründen so eindeutig motiviert worden ist, daß kein Zweifel daran bestehen kann, das SG habe eine seiner Ansicht nach nicht statthafte Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache oder wegen Abweichung von einem Urteil des übergeordneten LSG (§ 150 Nr. 1 Halbsatz 2 SGG) zulassen wollen (BSG 2, 245 f = SozR SGG § 150 Nr. 11; BSG 4, 261 ff = SozR SGG § 150 Nr. 16).
Wie sich aus den Entscheidungsgründen des SG ergibt, hat es der hier zu entscheidenden Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Im Hinblick auf die Auslegung des Vergleichs und das Anerkenntnis in dem nunmehr angefochtenen Bescheid, daß der Kläger durch die Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen ist, hat es nicht angenommen, daß dieser Rechtsstreit die von der Revision nunmehr geltend gemachte, über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung hätte. Mithin läßt sich aus Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründen des Urteils des SG nicht entnehmen, daß dieses Gericht die Absicht gehabt hat, die Berufung zuzulassen. Vielmehr ist die Ansicht des LSG zutreffend, daß es eine falsche Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Für die Bemerkung "Den Beteiligten steht die Berufung ... nur insoweit zu, soweit sie den Grad der MdE betrifft", ist auch nicht etwa bedeutungsvoll, daß hier ein Umanerkennungsbescheid im Sinne des Art. I § 3 des Gesetzes zur Einführung des Bundesversorgungsgesetzes im Saarland vom 16. August 1961 (BGBl I 1292) vorliegt. Denn in diesem Gesetz ist nicht angeordnet, daß gegen Umanerkennungsbescheide immer Klage und Berufung zulässig seien. Für die Zulässigkeit der Berufung kommt es vielmehr auch bei solchen Umanerkennungsbescheiden auf die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes und hier insbesondere § 148 SGG an. Infolgedessen ist die Ansicht des SG, gegen sein Urteil sei die Berufung nur insoweit statthaft, als sie den Grad der MdE betreffe, rechtsirrig. Diese Ausführung stellt keine Zulassung der Berufung dar, sondern belehrt lediglich über das nach der Auffassung des SG mögliche Rechtsmittel. Die unrichtige Rechtsmittelbelehrung bewirkt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keine Eröffnung der Berufungsinstanz (vgl. statt andern BSG in SozR SGG § 150 Nr. 41 mit weiteren Nachweisen). Infolgedessen hat das LSG zu Recht entschieden, daß entgegen der Ansicht des Beklagten im Urteil des SG die Berufung nicht zugelassen worden ist.
Auch die weitere Entscheidung, daß ein wesentlicher Mangel des Verfahrens in der Nichtzulassung der Berufung nicht zu erblicken sei, ist zutreffend und stimmt mit der Rechtsprechung des BSG überein (BSG 2, 45 ff = SozR SGG § 150 Nr. 3, ferner aaO Nr. 12, 17, 19, 29). Dabei kann unerörtert bleiben, ob der Beklagte zu Recht oder zu Unrecht eine grundsätzliche Bedeutung der hier entschiedenen Rechtsfrage in der Revisionsbegründung vorgetragen hat. Im vorliegenden Falle hat sich die Rechtsfrage nicht gestellt, ob die nach den Bestimmungen des RVG früher festgesetzte MdE bereits eine besondere berufliche Betroffenheit berücksichtigt hat oder ob allgemein die MdE nach dem RVG gleichzusetzen ist mit der MdE des § 30 Abs. 1 BVG. Hier hat das SG vielmehr durch Auslegung des Vergleichsangebots, so wie es für den Kläger erkennbar gewesen ist, eine Berücksichtigung seines Berufes nicht für nachgewiesen erachtet. Es hat auch das Gesamtergebnis des ihm vorliegenden Verfahrens berücksichtigt. Nach dem Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. G hat es, gestützt auf das Gutachten seines Gerichtsarztes, die Einschätzung der MdE in rein medizinischer Betrachtung mit 25 v. H. für gerechtfertigt erachtet. Darüber hinaus hat es nicht nur wegen des Anerkenntnisses einer besonderen beruflichen Betroffenheit im angefochtenen Verwaltungsakt, sondern auch wegen des Gutachtens seines Gerichtsarztes eine besondere berufliche Betroffenheit bejaht und diese mit 15 v. H. eingeschätzt. Insoweit sind Verfahrensrügen nicht erhoben. Die Rüge aber, das Verfahren des SG leide deshalb an einem wesentlichen Mangel, weil es wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage die Berufung hätte zulassen müssen, geht fehl. Auch insoweit entspricht die angefochtene Entscheidung der Rechtsprechung des BSG.
Mithin hat das SG die Berufung nicht zugelassen; sein Verfahren hat nicht an einem vom Beklagten gerügten wesentlichen Mangel gelitten. Infolgedessen ist die Berufung nicht statthaft gewesen, und das LSG hat sie zu Recht als unzulässig verworfen. Daher konnte die Revision keinen Erfolg haben und mußte - wie geschehen - zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen