Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Kostenrecht. Verschuldenskosten gem § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG. keine Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung: Unzufriedenheit mit vorab mitgeteilter richterlicher Beweiswürdigung. günstiges Beweisergebnis nach Gutachteneinholung gem § 109 SGG. Implantologische Leistungen. Ausnahmeindikation. Kieferartrophie. Xerostomie. Kostenerstattung. Notstandsähnliche Situation. Beweiswürdigung
Leitsatz (amtlich)
Die Rechtsverfolgung ist nicht missbräuchlich iSv § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG, wenn der Kläger bei einem für ihn günstigen Beweisergebnis eines nach § 109 SGG eingeholten Gutachtens die vom SG vorab mitgeteilte Beweiswürdigung nicht teilt.
Normenkette
SGB V § 28 Abs. 2 S. 9, § 13 Abs. 3 S. 1; SGG § 118 Abs. 1 S. 1, §§ 109, 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.11.2014 aufgehoben, soweit darin der Klägerin Verfahrenskosten iHv 1.000 € auferlegt werden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung von 21.960,67 € für Implantatversorgungen im Ober- und Unterkiefer.
Die Klägerin ist 1960 geboren und bei der Beklagten im Rahmen der Familienversicherung gesetzlich krankenversichert. Bei ihr wurde 1996 durch den Hautarzt Dr. M. eine Amalgamallergie festgestellt. Der Umweltarzt Dr. D. diagnostizierte ebenfalls 1996 eine Autoimmunerkrankung durch Metalle und Zahnherde, Nerven- und Immunschäden durch Zahngifte, Knochenauflösung im Kiefer, eitrige Osteomyelitis im Kiefer und Riesen-Oberkiefer-Zysten mit Nebenhöhlenbeteiligung. Er empfahl eine Entfernung der Amalgam-Füllungen. 2005 wurden der Klägerin schließlich sämtliche Zähne entfernt.
Am 23.09.2009 legte die Klägerin der Beklagten Kostenvoranschläge des Zahnarztes Dr. Z. vom 20.08.2009 betreffend eine Implantatversorgung im Ober- und Unterkiefer zur Kostenübernahme vor. Die Eingliederung erfolgte bereits in der Zeit vom 30.07. bis 19.10.2009. Dr. Z. hatte die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Implantatversorgung und Suprakonstruktionen keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung seien. Die Beklagte ließ zur Prüfung einer Ausnahmeindikation ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) erstellen. Aufgrund persönlicher Untersuchung am 28.10.2009 führte Dr. A. mit Gutachten vom 20.01.2010 aus, Ober- und Unterkiefer seien bereits mit Implantaten und Kunststoffbrücken versorgt gewesen, die Klägerin sei hiermit relativ gut zurechtgekommen. Der Speichelfluss sei normal gewesen. Die Kriterien einer Ausnahmeindikation seien nicht erfüllt. Telefonisch lehnte die Beklagte daraufhin am 02.02.2010 die Kostenübernahme ab. Eine Kontrolluntersuchung bei Dr. Z. im Juni 2010 ergab, dass Implantate im Oberkiefer nicht richtig eingewachsen waren.
Mit Heil- und Kostenplan (HKP) vom 27.07.2010 (Eingang bei der Beklagten am 30.07.2010) veranschlagte Dr. Z. für die weitere prothetische Versorgung des Unterkiefers Gesamtkosten von 7.748 €. Die Eingliederung war bereits am 15.06.2010 erfolgt. Die Beklagte wandte sich mehrfach an Dr. Z. mit der Bitte um Einreichung eines korrigierten HKP, da der vorgelegte nicht den vertragsrechtlichen Bestimmungen entspreche. Dies erfolgte zunächst nicht. Die Klägerin wandte sich am 29.07.2010 telefonisch an die Beklagte und machte geltend, eine Prothese sei bei ihr wegen Mundtrockenheit nicht möglich. Hierzu reichte sie ein Attest der praktischen Ärztin Dr. K. vom 30.07.2010 nach, wonach die Klägerin unter starker Mundtrockenheit leide verbunden mit häufigen Zahnfleischentzündungen, weshalb ihr das Tragen einer Zahnprothese nicht möglich sei.
Die Beklagte ließ ein weiteres MDK-Gutachten durch Dr. M. erstellen, der unter dem 25.10.2010 ausführte, allgemeine Mundtrockenheit ohne Radiatio oä sei für eine Ausnahmeindikation nicht ausreichend. Nach vorliegender OPG-Aufnahme seien die geplanten Maßnahmen bereits vor dem 21.06.2010 durchgeführt worden.
Mit Bescheid vom 22.11.2010 lehnte die Beklagte daraufhin eine Kostenbeteiligung für die Implantate im Ober- und Unterkiefer ab, da keine Ausnahmeindikation vorliege. Hiergegen legte die Klägerin am 14.12.2010 Widerspruch ein.
Am 30.12.2010 ging bei der Beklagten ein weiterer HKP von Dr. Z. vom 27.12.2010 über die prothetische Versorgung des Oberkiefers ein mit voraussichtlichen Gesamtbehandlungskosten von 4.121,12 €. Mit Bescheid vom 03.01.2011 bewilligte die Beklagte einen Festzuschuss iHv 347,48 € unter Berücksichtigung eines Bonus von 30% für Zahnvorsorge. Die Eingliederung erfolgte am 17.05.2011.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und bezog sich hierbei auf alle drei beantragten Behandlungsmaßnahmen. Es liege keine Ausnahmeindikation nach § 28 Abs 2 Satz 9 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor, Kieferatrophien gehörten nach der Rechtsprechung des Bundessozi...