Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsinterne Zuständigkeit. Nachträgliche Änderung. Änderung der Geschäftsverteilung. Sozialrechtsweg. Sozialdatenschutz. Verletzung. Feststellung. Schadensersatzanspruch. Teilverweisung. Krankengeld
Orientierungssatz
1. Die gerichtsinterne Zuständigkeit der Spruchkörper wird, soweit keine gesetzliche Regelung eingreift, nach § 21e GVG durch die Geschäftsverteilung bestimmt und kann, wie sich aus § 21e Abs 4 GVG ergibt, auch für bereits anhängige Sachen nachträglich geändert werden (vgl BGH vom 20.5.1981 - IVb ZR 572/80 = NJW 1981, 2464 = juris RdNr 12).
2. Wird der Anspruch auf Feststellung einer (sozial-)datenschutzrechtlichen Verletzung geltend gemacht, ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.
3. Soweit die Gewährung von Schadensersatz wegen datenschutzrechtlicher Verstöße gemäß Art 82 DSGVO (juris: EUV 2016/679) geltend macht wird, ist die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit nicht gegeben.
4. Das Erheben von Sozialdaten durch die Krankenkassen ist nach § 284 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 5 zulässig, soweit diese für die Prüfung der Leistungspflicht und die Erbringung von Leistungen an Versicherte einschließlich der Voraussetzungen von Leistungsbeschränkungen erforderlich sind.
5. Für die Prüfung der Ansprüche auf Krankengeld ist im Hinblick auf § 48 Abs 1 SGB 5 sowohl die Kenntnis der Vorerkrankungszeiten als auch die Kenntnis der Vorbezugszeiten von Krankengeld erforderlich.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die gerichtsinterne Zuständigkeit der Spruchkörper wird, soweit keine gesetzliche Regelung eingreift, nach § 21e GVG durch die Geschäftsverteilung bestimmt und kann, wie sich aus § 21e Abs. 4 GVG ergibt, auch für bereits anhängige Sachen nachträglich geändert werden.
2. Für einen geltend gemachten Anspruch auf Feststellung einer (sozial-)datenschutzrechtlichen Verletzung ist der Sozialrechtsweg eröffnet.
3. Für einen geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von Schadensersatz wegen datenschutzrechtlicher Verstöße gemäß Art. 82 DSGVO ist die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit nicht gegeben.
4. Ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit darf keine Teilverweisung an das Zivilgericht vornehmen.
4. Das Erheben von Sozialdaten durch die Krankenkassen ist gemäß § 284 Nr. 4 SGB V zulässig, soweit diese für die Prüfung der Leistungspflicht und die Erbringung von Leistungen an Versicherte einschließlich der Voraussetzungen von Leistungsbeschränkungen erforderlich sind.
5. Im Hinblick auf die Regelung des § 48 Abs. 1 SGB V, die eine zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf Krankengeld auf 78 Wochen für dieselbe Krankheit und während einer Arbeitsunfähigkeit hinzugetretene Krankheiten vorsieht, ist sowohl die Kenntnis der Vorerkrankungszeiten als auch die dortigen Vorbezugszeiten von Krankengeld erforderlich.
Normenkette
SGB I § 35 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; SGB V § 44 Abs. 1, § 48 Abs. 1, § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 284 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1; SGB X § 67 Abs. 1 S. 1, Abs. 5, § 67b Abs. 1 S. 1, § 81b Abs. 1; SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2, §§ 99, 202 S. 1; ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 2; VwGO § 40; GVG § 17 Abs. 1 S. 2, § 17a Abs. 2, § 21e Abs. 4, § 71 Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 34 S. 3; EGV 883/2004 Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Buchst.B; EUV 2016/679 Art. 1 Abs. 1, Art. 4 Nr. 2, Art. 79, 82
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten sind die Gewährung von Krankengeld über den 11. April 2018 hinaus sowie u.a. Schadensersatz wegen Datenschutzverletzungen und Entschädigung wegen Diskriminierungen streitig.
Der 1971 geborene Kläger war vom 1. April 2008 bis 31. Januar 2017 bei der S GmbH in K/ Ö beschäftigt und bei der Tkrankenkasse (TGKK) krankenversichert. Während der nachfolgenden Arbeitslosigkeit und Wohnsitzverlagerung nach Deutschland bezog der Kläger ab 12. April 2017 Arbeitslosengeld I und war deshalb versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Dieser gegenüber gab der Kläger unter dem 31. August 2017 eine Einwilligungserklärung „zur Inanspruchnahme individueller Beratung und Hilfestellung zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und die damit verbundene Datenerhebung, -speicherung und -nutzung“ ab, wonach er der damit verbundenen Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung seiner personenbezogenen Daten zustimme; hinsichtlich des konkreten Inhalts wird auf Bl. 1 der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Am 12. April 2015 erlitt der Kläger in Ö einen Unfall, bei dem er sich eine Tibiakopffraktur links zuzog, die osteosynthetisch versorgt wurde. Wegen der hierdurch bedingten Arbeitsunfähigkeit bezog der Kläger zunächst Lohnfortzahlung (12. April bis 10. Juni 2015) und nachfolgend vom 11. Juni bis 3. Mai 2016 - unterbrochen durch den Bezug von Übergangsgeld (20. November bis 18. Dezember 2015...