Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe für einen von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossenen erwerbsfähigen Ausländer durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Kann der hilfebedürftige Ausländer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes seine selbständig ausgeübte Tätigkeit glaubhaft machen, so greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 nicht, weil damit ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG begründet ist.
2. Ein materielles Aufenthaltsrecht für dessen Familienangehörige i. S. des § 3 Abs. 1 FreizügG setzt voraus, dass diese Verwandte in gerade absteigender Linie sind. Eine Erklärung des Vaters allein begründet nicht den Nachweis biologischer Abstammung. Erforderlich ist insoweit die Durchführung eines Verfahrens zur Vaterschaftsanerkennung.
3. Bei einem verfestigten Aufenthalt von mehr als sechs Monaten sind einem von Leistungen des SGB 2 nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 ausgeschlossenen Ausländer im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB 12 bei einer Ermessensreduzierung auf Null Leistungen der Sozialhilfe zu bewilligen (BSG Urteil vom 17. 3. 2016, B 4 AS 32/15 R).
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-4, S. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 4, § 9 Abs. 1-2; SGB XII §§ 19, 21 S. 1, § 23 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1, § 82 Abs. 1 S. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 2; FreizügG/EU § 3 Abs. 1; FreizügG/EU § 3 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 25 Abs. 4, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AsylbLG § 3 Abs. 1, 3; GG Art. 6; EMRK Art. 8 Abs. 1; BGB § 1589 Abs. 1, § 1592 Nr. 1, § 1594 Abs. 2, §§ 1628, 1629 Abs. 1 Sätze 2, 4; EGBGB Art. 19 Abs. 1 S. 1; SGG § 86b Abs. 1, 2 Sätze 2, 4; ZPO § 920 Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. November 2016 geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zu 1 vorläufig Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 9. Dezember 2016 bis 31. Dezember 2016, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zur Deckung des Regelbedarfs in Höhe von 102,73 Euro und für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung von 136,93 Euro zu gewähren.
Der Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zu 2 bis 4 vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 9. Dezember 2016 bis 31. Dezember 2016, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, in Höhe von
3,07 Euro Regelsatz und 136,93 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung für die Antragstellerin zu 2
sowie jeweils 36,03 Euro Regelsatz und jeweils 136,93 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung für die Antragsteller zu 3 und 4
zu gewähren.
Dem Antragsgegner und dem Beigeladenen wird nachgelassen, die Leistungen zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung unmittelbar an den Vermieter der aus dem Rubrum ersichtlichen Wohnung zu zahlen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller zu 1 die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Der Beigeladene hat den Antragstellern zu 2 bis 4 die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
Gründe
Die Beschwerde, mit der zuletzt noch Leistungen in Höhe von 886,72 Euro für den Zeitraum vom 9. bis 31. Dezember 2016 begehrt werden, hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Die Beschwerde ist statthaft und für alle Antragsteller zulässig erhoben.
Die Beschwerden der Antragsteller zu 3 und 4 sind nicht deshalb unzulässig, weil sie nicht in ordnungsgemäßer Vertretung erhoben worden wären. Ausweislich der in den Akten des Antragsgegners befindlichen Geburtsurkunde des Standesamtes T vom 17. Mai 2016 ist der Ehemann der Antragstellerin zu 2, Herr H, allerdings der rechtliche Vater und damit Mitsorgerechtsinhaber (vgl. § 1629 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB) des Antragstellers zu 4. Aus denselben Gründen ist die Antragstellerin zu 2 auch nicht die alleinige gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin zu 3. Die Antragstellerin zu 3 ist ausweislich der Geburtsurkunde des Standesamtes M vom 9. Januar 2014 am 3. Juli 2013 in B geboren worden. Ein Vater ist in der Geburtsurkunde zwar nicht angegeben, jedoch trug die Antragstellerin zu 2 zu diesem Zeitpunkt bereits den Familiennamen H, mithin den Namen des mit ihr noch immer verheirateten Herrn H. Nach § 1592 Nr. 1 BGB ist der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratete Mann der Vater. Eine Vaterschaftsanfechtung, die erst eine Anerkennung durch den Antragsteller zu 1 ermöglichen würde (vgl. § 1594 Abs. 2 BGB), ist nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Hier ist nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) die Abstammung nach deutschem Recht festzustel...