Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelverzeichnis. Anspruch auf Aufnahme eines (Therapie)-Laufrads. Funktionstauglichkeit. Sicherheit. medizinischer/therapeutischer Nutzen. mittelbarer Behinderungsausgleich
Orientierungssatz
1. Zum Anspruch auf Aufnahme eines (Therapie-)Laufrads in das Hilfsmittelverzeichnis.
2. Die Versorgung eines behinderten Menschen mit einem Laufrad zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht bereits deswegen stets ausgeschlossen, weil die Benutzung dieses Hilfsmittels den Erhalt der Gehfähigkeit sowie sonstiger körperlicher Fähigkeiten voraussetzt, welche es den Versicherten ermöglichen würden, den Nahbereich auch zu Fuß zu erschließen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Laufräder Leochrima HTL 16/12 und HTL 20/12 in das Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V aufzunehmen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Aufnahme eines Laufrads in das Hilfsmittelverzeichnis.
Der Kläger ist Hersteller von zwei Typen von Laufrädern, die er unter der Bezeichnung Leochrima HTL 16/12 und Leochrima HTL 20/12 vertreibt. Die Laufräder werden auf der Basis von Tretrollern gefertigt, sie sind (u.a.) mit unterschiedlich großen Rädern, einem tiefen Durchstieg, einer verstellbaren Sattelstütze, einem verstellbaren Lenkervorbau und Bremsen ausgestattet. Ein Sattel gehört nicht zum Lieferumfang. Optional werden eine Führungsstange sowie eine Fußstütze als Zubehör angeboten.
Am 5. März 2010 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Aufnahme der Laufräder als neue Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis unter der Produktgruppe 22 “Mobilitätshilfen„. Ein früher gestellter Antrag sei von dem Beklagten noch mit Bescheid vom 6. November 2007 und Widerspruchsbescheid vom 18. April 2008 abgelehnt worden. Die Laufräder dienten der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung und dem Ausgleich einer Behinderung, sie seien keine alltäglichen Gebrauchsgegenstände. Beigefügt waren dem Antrag eine Konformitätserklärung betreffend die Anforderungen der Richtlinie 93/42/EWG, ein technischer Bericht des TÜV Süd, wonach die Laufräder der Prüfspezifikation DIN EN 12182: 1999 entsprechen würden, eine technische Dokumentation, eine Gebrauchsanleitung, ein Erfahrungsbericht aus dem Universitätsklinikum M über den erfolgreichen Einsatz der Laufräder in der Physiotherapie der Kinderklinik sowie Kopien von ärztlichen Verordnungen der Laufräder an Versicherte.
Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 29. Juni 2010 die Aufnahme des Produktes Therapielaufrad Leochrima HTL 16/12 und HTL 20/12 in das Hilfsmittelverzeichnis ab. Das angemeldete Produkt sei als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen. Sitzroller und Laufräder seien handelsübliche Produkte, die auch von Gesunden und Nichtbehinderten benutzt würden. Ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand werde nicht dadurch zu einem Hilfsmittel, dass er in gewisser Weise behindertengerecht umgestaltet sei. Ein Unterschied zwischen dem Therapielaufrad Leochrima und handelsüblichen Laufrädern sei nicht erkennbar. Der tiefliegende Rahmen stelle keine ausschließlich auf die Bedürfnisse von Behinderten ausgerichtete Konstruktion dar. Der Sattel gehöre nicht zum Lieferumfang, die als Zubehör angebotene Führungsstange sei kein behindertenspezifisches Ausstattungselement. Ob die Fußkonsole ein behindertenspezifisches Zubehör sei, könne nicht beurteilt werden. Sie könne jedenfalls nichts daran ändern, dass das Laufrad Leochrima insgesamt als allgemeiner Gebrauchsgegenstand anzusehen sei. Zudem sei nicht erkennbar, inwieweit das Produkt zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung bzw. zur Vorbeugung vor oder zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich sein könnte. Der entsprechende Nachweis müsse im häuslichen bzw. alltäglichen Lebensbereich erbracht werden, da der Einsatz des Produkts in Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen nicht den Regelungen der §§ 33 und 139 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) unterfalle. Der medizinische Nutzen eines Produkts setze einen spezifischen und konkreten Zusammenhang zwischen seinem Einsatz bei bestimmten Krankheitsbildern und dem Eintritt eines Behandlungserfolgs voraus. Vorliegend fehlten bereits eindeutige und detaillierte Herstellerangaben zu den vorgesehenen Indikationen. Diese Angaben könnten nicht durch die pauschale Nennung möglicher Einsatzgebiete ersetzt werden. Zudem sei der Nachweis des medizinischen Nutzens durch die Vorlage wissenschaftlicher Studien zu führen. Solche lägen aber nicht vor.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass das Laufrad speziell für Kranke und Behinderte konstruiert worden sei. Ein vergleichbares Produkt sei auf dem deutschen Markt nicht erhältlich. Das Laufrad könne eingesetz...