Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Streit um Ansprüche auf Leistungen bei häuslicher Pflege. sozialgerichtliches Verfahren. weiterer Ablehnungsbescheid nach „Neuantrag“. Anwendung von § 96 SGG. keine Beschränkung des Streitgegenstands eines Verfahrens über die Ablehnung eines nach altem Pflegeversicherungsrecht gestellten und bis zum 31.12.2016 unbegründeten Antrags. Behandlung als Antrag nach neuem Recht
Leitsatz (amtlich)
1. Durch einen auf "Neuantrag" ergehenden weiteren Ablehnungsbescheid wird der ursprüngliche Ablehnungsbescheid insoweit ersetzt, als der Zeitraum ab Erlass des neuen Bescheides betroffen ist; dieser wird in unmittelbarer Anwendung von § 96 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens.
2. Weder die Überleitungsregelung des § 140 SGB XI noch die Änderung der materiellen Leistungsvoraussetzungen für Leistungen bei häuslicher Pflege beschränken den Streitgegenstand eines Verfahrens über die Ablehnung eines nach altem Pflegeversicherungsrecht gestellten und bis zum 31.12.2016 unbegründeten Antrags; dieser ist fortan als Antrag nach neuem Recht zu behandeln.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stralsund vom 16. Juni 2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2016 und der Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2016 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Leistungen nach Pflegegrad 2 für den Zeitraum vom 01. Januar 2017 bis zum 30. April 2017 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin werden zu 1/4 der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Ansprüche der Klägerin auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege seit dem 01. Oktober 2015.
Die am 1964 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert. Sie leidet u. a. an einer massiven Adipositas mit einem BMI von über 54, einem chronischen Schmerzsyndrom und einer Depression.
Am 20. Oktober 2015 beantragte sie bei der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld und Pflegesachleistungen als Kombinationsleistung. In einem daraufhin von der Beklagten beauftragten Pflegegutachten des MDK (Pflegefachkraft P) vom 12. November 2015 wurde ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von insgesamt 20 Minuten im wöchentlichen Tagesdurchschnitt eingeschätzt (Körperpflege 12 Minuten, Mobilität 8 Minuten; 30 Minuten Hauswirtschaft). Von einer Einschränkung der Alltagskompetenz sei nicht auszugehen.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 16. November 2015 ab. Den hiergegen am 11. Dezember 2015 unter Verweis auf ein Pflegetagebuch erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2016 unter Verweis auf das Gutachten des MDK zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 03. Juni 2016 bei dem Sozialgericht Stralsund mit der Begründung Klage erhoben, ihr Pflegebedarf sei höher als vom MDK eingeschätzt. Zudem sei sie auch in ihrer Alltagskompetenz erheblich eingeschränkt.
Das Sozialgericht hat angenommen, die Klägerin beantrage,
den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Leistungen aus der Pflegeversicherung der Pflegestufe I bzw. 0 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte auf einen erneuten Antrag der Klägerin auf Pflegeleistungen vom 15. September 2016 eine weitere Begutachtung durch den MDK (Pflegefachkraft B) vom 14. Oktober 2016 veranlasst, in welchem ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von insgesamt 22 Minuten täglich (13 Minuten Körperpflege, 9 Minuten Mobilität; daneben 45 Minuten Hauswirtschaft) eingeschätzt wurde. Ein regelmäßiger allgemeiner Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf sei nicht gegeben, sodass die Alltagskompetenz nicht erheblich eingeschränkt sei. Die Beklagte hat daraufhin auch den erneuten Antrag abgelehnt. Den entsprechenden Verwaltungsakt vom 17. Oktober 2016, der auf den Rechtsbehelf des Widerspruchs verweist, hat sie (zunächst) nicht zu den Gerichtsakten gereicht, sondern lediglich mit Schriftsatz/Klageerwiderung vom 17. Oktober 2016 das MDK-Gutachten übersandt und die Abweisung der Klage beantragt.
Das Sozialgericht hat die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 16. Juni 2017 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, streitig sei ein „Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung der Pflegestufe I bzw. 0“. Die Klägerin sei jedoch weder erheblich pflegebedürftig im Sinne der Pflegestufe I, da sie bei den in § 14 Absatz 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI a. F. aufgezählten Verrichtungen im Bereich der Grundpflege keinen täglichen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten im wöchentlichen Durchschnitt habe, noch ...