Entscheidungsstichwort (Thema)
Begrenzung der Regelleistung im einstweiligen Rechtsschutz. Anordnungsgrund. Anwaltskosten. Mietschulden. Prozesskostenhilfe. Regelleistung. effektiver Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Es ist Bestandteil des effektiven Rechtsschutzes, dass, wenn ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wird, die Grundsicherungsleistungen zeitnah zur Verfügung zu stellen sind.
2. Eine Begrenzung der Regelleistung auf 70 % kommt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren unter Hinweis auf eine ansonsten eintretende Vorwegnahme der Hauptsache nicht in Betracht. Ein Abwarten auf das Hauptsacheverfahren ist im Hinblick auf den existenzsichernden Charakter der pauschalierten Regelleistung nach § 20 SGB 2 und des Bedarfsdeckungsgrundsatzes nicht zumutbar.
Normenkette
SGB II §§ 20, 22 Abs. 5; SGG § 86b Abs. 1, 2 S. 2
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 15.05.2009 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller die Regelleistung nach § 20 SGB II für den Zeitraum vom 16.04.2009 bis zum 30.06.2009 ungekürzt und nicht nur in Höhe von 70 % zu gewähren. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach.
Gründe
Das Sozialgericht (SG) hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 15.05.2009 verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 16.04.2009 (Beantragung des einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht) bis zum 30.06.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ausgehend von den Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 402,20 EUR (angemessene Kaltmiete 223,30 EUR, Nebenkosten 120,- EUR, Heizkosten 59,- EUR) und von einer Regelleistung in Höhe von 70 % von 351,- EUR (245,70 bzw. 139,23 EUR) zu gewähren. Die weitergehenden Anträge, Leistungen bereits ab dem 01.03.2009 zu zahlen und "seiner Vermieterin alle verursachten Kosten zu erstatten", hat das SG abgelehnt.
Der Antragsteller begehrt mit seiner Beschwerde die Zahlung von Grundsicherungsleistungen bereits ab März 2009, die Berücksichtigung der ungekürzten Regelleistung und die Zahlung der Kosten incl. Anwaltskosten, die die Vermieterin gegenüber dem Antragsteller geltend macht aus dem Mietverhältnis seitens der Antragsgegnerin.
Die zulässige Beschwerde ist insoweit begründet, als das SG die Höhe der Regelleistung auf 70 % begrenzt hat. Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).
Soweit der Antragsteller Leistungen nach dem SGB II bereits ab März 2009 begehrt, ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angegriffenen Beschluss, die er sich nach Prüfung zu eigen macht (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Ergänzend betont der Senat, dass im Hauptsacheverfahren geklärt und endgültig entschieden werden muss, ob der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen für den Zeitraum vom 01.03.2009 März bis zum 15.04.2009 hat.
Für den Zeitraum vom 16.04.2009 bis zum 30.06.2009 ist das SG zu Recht davon ausgegangen, dass dem Antragsteller ab 16.04.2009 die Regelleistung zusteht. Insoweit sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Jedoch steht dem Antragsteller für April 2009 anteilig ab 16.04.2009 sowie für Mai und Juni 2009 die ungekürzte Regelleistung zu. Entgegen der Auffassung des SG kommt eine Begrenzung der Regelleistung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf 70 % unter Hinweis auf eine ansonsten eintretende Vorwegnahme der Hauptsache nach der Rechtsprechung des Senats bei Vorliegen eines glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs nicht in Betracht (Beschluss des erkennenden Senats vom 14.05.2009 - L 7 B 72/09 AS ER; ebenso LSG NRW, Beschluss vom 02.05.2007 - L 20...