Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer Ghetto-Beschäftigungen als Beitragszeiten nach dem ZRBG. Schwesternhelferin im Ghetto Warschau. deutscher Sprach- und Kulturkreis
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Charakter der Tätigkeit in Einrichtungen der Ghettoverwaltung - hier Tätigkeit als Schwesternhelferin im jüdischen Krankenhaus.
2. Bei der Auslegung des Entgeltbegriffs iS des ZRBG ist auf die tatsächlichen Verhältnisse im Ghetto abzustellen. Das Entgelt kann auch in zusätzlichen Nahrungsmitteln zur beliebigen Verfügung bestehen.
3. Beiträge für Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto gelten auch dann als gezahlt, wenn die Verfolgten dem deutschen Sprach- und Kulturkreis nicht angehören.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 25.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.03.2005 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer “Ghettobeitragszeit„ von November 1940 bis April 1943 im Ghetto Warschau sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligen ist die Gewährung von Regelaltersrente unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten im Ghetto Warschau streitig.
Die am ....1920 in P. (Polen) geborene Klägerin hat in den Jahren 1938 und 1939 die Universität in Warschau besucht. Als polnische Jüdin wurde die Klägerin Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Ab August 1940 musste sie sich im Ghetto Warschau im sog. damaligen Generalgouvernement aufhalten. Im April 1943 gelang ihr während der Deportation die Flucht. Bis September 1944 lebte sie in Warschau in verschiedenen Verstecken, kam dann in das Lager Druszkow und von dort nach Kielce. Nach der Befreiung im Januar 1945 hielt sie sich zunächst in Polen auf, kam danach in das DP Lager Berlin und lebte schließlich in Bayern. Im Jahr 1948 reiste die Klägerin nach Neuseeland aus. Seit 1955 lebt sie in Kanada. Sie besitzt die kanadische Staatsbürgerschaft.
Die Klägerin ist als Verfolgte des Nationalsozialismus vom Bayerischen Landesentschädigungsamt München - Aktenzeichen ... - anerkannt worden. Zur Abgeltung ihrer Ansprüche wegen verfolgungsbedingtem Gesundheits- und Freiheitsschaden nach dem Bundesentschädigungsgesetz hat sie eine einmalige Entschädigung in Höhe von DM 8.250,- erhalten.
Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) hat die Klägerin im Jahr 1956 eine eidesstattlichen Versicherung abgegeben, in der es heißt, “Bei Beginn der Verfolgung wohnte ich in Warschau (...) wir Juden wurden verpflichtet, die weiße Armbinde mit blauem Stern zu tragen und Zwangsarbeit zu leisten. (...) Das Ghetto wurde im August 1940 errichtet. Ich musste übersiedeln in O. Str.. (... ) Die notwendigsten Lebensmittel haben wir durch den Judenrat bezogen. Mein Bruder ist ein Arzt und er arbeitete im jüdischen Spital. Ich habe auch in dem Spital gearbeitet. Ich war im Ghetto Warschau bis April 1943.„
Im Rahmen der Antragstellung auf Entschädigung wegen Schaden an Körper und Gesundheit hat die Klägerin im Jahr 1962 erklärt: “Ich kam ins Getto Warschau und musste unter unmenschlichen Umständen schwere Arbeit verrichteten. Ich litt sehr an Hunger und anderen Entbehrungen.„ In einer Eidesstattlichen Erklärung aus dem Jahr 1965, die ebenfalls im Zusammenhang mit der Antragstellung auf Entschädigung wegen Schaden an Körper und Gesundheit abgegeben wurde, hat die Klägerin angegeben: “Ich musste in das Ghetto Warschau, wo ich schwere Zwangsarbeit verrichten musste und sehr an Hunger und Erniedrigungen durch die SS litt.„
Der Zeuge S. R. L. hat im Entschädigungsverfahren der Klägerin deren Aufenthalt im Ghetto bestätigt und erklärt, sie habe die Judenzeichen tragen müssen und Zwangsarbeit geleistet.
Die Zeugin L. I. hat im Entschädigungsverfahren der Klägerin angegeben: “Sie hatte einen Bruder, der Arzt ist und mit diesem Arzt war ich in guter Bekanntschaft. Das Ghetto wurde im August 1940 errichtet. (…) Ich war im Ghetto bis zur Liquidierung (…) Ich weiß und bezeuge, dass die Antragstellerin von September 39 bis Anfang März oder April 43 in Warschau und Ghetto Warschau war, die Judenzeichen tragen musste und Zwangsarbeit leistete. Vom Frühling 1943 habe ich sie nicht mehr gesehen.„
Mit Schreiben vom 22.5.2003, bei der Beklagten am 4.6.2003 eingegangen, wandet die Klägerin sich wegen Leistungen für “Arbeiter im Warschauer Ghetto„ an die Beklagte und machte im folgenden Rentenverfahren folgende Angaben zu ihrer Tätigkeit: “Ghetto Warschau, Mitte November 1940 bis Mitte April 1943, C. Krankenhaus, Schwesternhelferin. Am 23.4.1943 vom Umschlagplatz in Warschau im Zug nach Treblinka geschickt.
Nach Einsichtnahme in die bei der Oberfinanzdirektion München - Landesentschädigungsamt - München geführten Entschädigungsakten (Az. ...) lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 25.6.2004 unter Hinweis auf die seinerzeitigen Aussagen im Ents...