Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG. keine Anwendbarkeit auf Kinder anerkannter Flüchtlinge. europarechtskonforme Auslegung
Orientierungssatz
Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache spricht einiges dafür, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 2 formulierte Leistungsausschluss für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG auf die Kinder anerkannter Flüchtlinge nicht anzuwenden ist.
Tenor
Die Antragsgegnerin zu 1 wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab dem 02.02.2012 bis zum 31.07.2012 zu zahlen.
Die Antragsgegnerin zu 1 trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
Die am 14.06.2010 geborene Antragstellerin lebt mit ihren unverheirateten Eltern und drei Schwestern zusammen in einem Haushalt. Die Mutter X erhält Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), bis zum 02.01.2010 in Form von Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG und seit dem gem § 2 AsylbLG als Analogleistungen. Der Vater X ist als Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt und besitzt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Er bezieht ebenso wie die weiteren Kinder Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II. Zwei Geschwister sind Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 AufenthG; für die dritte Schwester besteht eine Duldungsfiktion nach § 81 Abs 3 S 1 AufenthG, wonach ihr Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf einen Aufenthaltstitel als erlaubt gilt. Die Antragstellerin ist derzeit im Besitz einer Duldungsfiktion nach § 81 Abs 3 S 2 AufenthG, die bewirkt, dass die Abschiebung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als ausgesetzt gilt.
Die Antragstellerin bezog zunächst bis September 2011 Leistungen nach dem SGB II. Diese stellte die Antragsgegnerin zu 1 ab Oktober 2011 ein. Mit Bescheiden vom 09.12.2011 und vom 27.01.2012 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 08.02.2012 bewilligte die Antragsgegnerin zu 1 dem Vater und den übrigen drei Kindern Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2012 bis 28.01.2012 und vom 29.01.2012 bis 12.04.2012.
Gegen die Bescheide legte die Antragstellerin Widerspruch ein und machte geltend, auch sie müsse Leistungen nach dem SGB II erhalten, auch wenn sie formell leistungsberechtigt nach dem AsylbLG sei. Denn als Tochter eines anerkannten Flüchtlings stünden ihr Leistungen in Höhe der innerstaatlichen Sozialhilfe über Art. 23 iVm 28 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL = Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes) zu. Die Widersprüche sind noch nicht beschieden.
Am 02.02.2012 hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu 1 zur Leistungsgewährung, hilfsweise die Antragsgegnerin zu 2 zur Gewährung existenzsichernder Leistungen zu verpflichten. Zur Begründung vertieft sie ihr Vorbringen aus den Widerspruchsverfahren hinsichtlich der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art 23 iVm 28 QualRL.
Die Antragsgegnerin zu 1 hält demgegenüber eine Bewilligung für die Antragstellerin für nicht möglich, da sie leistungsberechtigt nach dem AsylbLG und damit vom Bezug von SGB II-Leistungen gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II ausgeschlossen sei. Eine eventuelle Europarechtswidrigkeit sei im Hauptsacheverfahren zu klären. Im Übrigen zeige aber Erwägungsgrund 9 der Richtlinie, dass Personen, die nur aus familiären Gründen aufenthaltsberechtigt seien, vom Anwendungsbereich der QualRL ausgenommen seien. Auch habe das BSG in zwei Urteilen eine Ausstrahlungswirkung der anerkannten Flüchtlingseigenschaft auf die Leistungsberechtigung von Familienangehörigen verneint.
Die Antragsgegnerin zu 2 hat eine Leistungsverpflichtung dem Grunde nach anerkannt und der Antragstellerin bei Vorlage aller notwendiger Unterlagen Grundleistungen nach § 3 AsylbLG angeboten. Die Antragstellerin hält diese unter Verweis auf den Vorlagebeschluss des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22.11.2010 - L 20 AY 1/09 - juris, für verfassungswidrig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
II. Der zulässige Antrag ist begründet.
Gemäß § 86 b Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass dur...