Verfahrensgang
SG Augsburg (Entscheidung vom 28.04.2022; Aktenzeichen S 19 SO 81/21) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 13.07.2023; Aktenzeichen L 8 SO 154/22) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Juli 2023 - L 8 SO 154/22 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Z, A, beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Die Klägerin macht geltend, es liege Untätigkeit des Beklagten vor, weil ihr ein Bescheid vom 26.3.2018 bislang nicht zugestellt worden sei.
Die nach ihren eigenen Angaben wohnungslose Klägerin stellte bei dem Beklagten einen Antrag auf Überprüfung einer bestandskräftig verfügten Versagung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Den die Überprüfung ablehnenden Bescheid vom 26.3.2018 stellte der Beklagte öffentlich zu, nachdem eine Zustellung mittels Postzustellungsurkunde erfolglos geblieben war. Zugleich begehrte die Klägerin unter erstmaliger Angabe einer postlagernden Adresse in der Folge vom Beklagten, einen Bescheid über den Überprüfungsantrag zuzustellen. Der Beklagte antwortete, dass über den Überprüfungsantrag bereits mit Bescheid vom 26.3.2018 entschieden worden sei(Schreiben vom 1.6.2021) . Die Klägerin hat Untätigkeitsklage beim Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. Im Klageverfahren hat das SG der Klägerin eine Abschrift des Bescheids übersandt und die Klage als unzulässig verworfen(Gerichtsbescheid des SG vom 28.4.2022) . Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mangels Angabe einer Wohnanschrift als unzulässig verworfen(Urteil des LSG vom 13.7.2023) .
Hiergegen wendet sich die Klägerin und beantragt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil.
II
PKH kann der Klägerin nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint( § 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) . Daran fehlt es hier.
Es bestehen Zweifel, ob die Angaben im PKH-Antrag ausreichend sind, obwohl die Klägerin keine Wohnanschrift mitteilt. Schon die Bedürftigkeit als Voraussetzung für die Bewilligung von PKH kann nicht abschließend geprüft werden, solange die Klägerin Angaben zu ihren Wohnverhältnissen verweigert und damit eine nachvollziehbare Darstellung dieses ganz erheblichen Teils der Lebenshaltungskosten fehlt(vgl bereits Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 13.4.2022 - B 8 SO 43/20 B - RdNr 5) . Im Übrigen müssen Rechtsschutzgesuche an ein deutsches Gericht im Regelfall die Wohnanschrift des Rechtsuchenden benennen. Nur im Ausnahmefall ist mit Rücksicht auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes die fehlende Angabe einer Anschrift unschädlich, wenn der Rechtsschutzsuchende glaubhaft über eine solche Anschrift nicht verfügt, etwa weil er wohnungs- oder obdachlos ist(vgl nurBSG vom 26.9.2023 - B 5 R 21/23 BH - RdNr 6 mwN) . Entscheidend für die Beurteilung, ob Wohnungslosigkeit vorliegt und also die aus Gründen der Rechtssicherheit vorzugswürdige Kommunikation mit dem Gericht über eine Wohnanschrift ausscheidet(vgl dazuBSG vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S - SozR 4-1500 § 90 Nr 1 RdNr 6 ff) , sind nähere Angaben zum konkreten Aufenthaltsort. Auf die Frage nach der Erfüllung melderechtlicher Pflichten kommt es insoweit - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht an. Wohnungslosigkeit behauptet die Klägerin aber nur, ohne im Einzelnen Angaben zu machen, die diese Behauptung nachvollziehbar werden lassen und ggf Ansatzpunkte für eine eigene Überprüfung durch das Gericht bieten könnten.
Hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision liegt jedenfalls nicht vor. Eine solche Erfolgsaussicht wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten(§ 73 Abs 4 SGG ) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) . Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Eine solche Rechtsfrage stellt sich hier weder wegen der Frage, ob der Bescheid vom 26.3.2018 wirksam öffentlich zugestellt worden ist, noch wegen der Frage, ob die Klägerin wohnungslos ist. Deshalb ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge(§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Es ist nicht erkennbar, dass das LSG verfahrensfehlerhaft ein Prozess- statt eines Sachurteils erlassen hat. Die Klage war unabhängig von der Frage unzulässig, ob die Klägerin im Einzelfall (etwa wegen Wohnungs- oder Obdachlosigkeit) zur Angabe einer Wohnanschrift verpflichtet war. Untätigkeit iS des § 88 Abs 1 Satz 1 SGG lag nicht vor. Der Beklagte hatte bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung über den Überprüfungsantrag entschieden und die Entscheidung zu Recht öffentlich zugestellt, weil die Klägerin - was sich mit ihrem eigenen Vortrag deckt - im Frühjahr 2018 nicht erreichbar war.
Es ist auch nicht erkennbar, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter mit Erfolg eine Verletzung rechtlichen Gehörs( Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫;§ 62 SGG ) rügen könnte; denn die Klägerin hatte Gelegenheit, sich in der mündlichen Verhandlung ausreichend rechtliches Gehör zu verschaffen. Sie war ordnungsgemäß geladen und ihr Antrag auf Vorauszahlung der Reisekosten zum Verhandlungsort wurde vom LSG eine Woche vor der mündlichen Verhandlung und damit rechtzeitig positiv beschieden. Der Umstand, dass die Klägerin dieses Schreiben nach eigenen Angaben erst einen Tag vor dem Termin erhalten hat, liegt in ihrer Sphäre (der Postlagerung). Das LSG durfte in Abwesenheit der Klägerin aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, da die Klägerin ordnungsgemäß in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war. Dies gilt trotz ursprünglicher Anordnung des persönlichen Erscheinens. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens steht im Ermessen des Vorsitzenden(Stäbler in jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 111 RdNr 9, Stand: 24.6.2022; Roller in Berchtold, SGG, 6. Aufl 2021, § 111 RdNr 6) . Erscheint der Beteiligte nicht, prüft das Gericht, ob die Sache auch ohne seine Anwesenheit entscheidungsreif ist. Eine solche ausdrückliche Entscheidung hat das LSG hier mit der Aufhebung des persönlichen Erscheinens getroffen(zum GanzenBSG vom 31.1.2008 - B 2 U 311/07 B - RdNr 4 f) ; es ist auch nicht erkennbar, welches weitere Vorbringen gerade die Anwesenheit der Klägerin persönlich erforderlich gemacht haben sollte. Die Klägerin war durch ihren von ihr bevollmächtigten Bruder im Termin ordnungsgemäß vertreten. Dieser hat aber weder den Willen der Klägerin, persönlich am Termin teilnehmen zu wollen, geltend gemacht noch die Nichtteilnahme entschuldigt. Einen Vertagungsantrag hat er nicht gestellt. Auch im Übrigen lässt der Gang der Verhandlung nicht erkennen, dass keine ausreichende Gelegenheit bestand, sich Gehör zu verschaffen. Insbesondere hat das LSG die erforderliche Wartezeit bei Nichterscheinen eines Klägers von wenigstens 15 Minuten eingehalten(vgl nurBSG vom 31.3.2004 - B 4 RA 126/03 B - RdNr 8 ) . Der Rechtsstreit war auf 12:00 Uhr terminiert und ausweislich des Sitzungsprotokolls begann die Verhandlung erst um 12:22 Uhr. Ohnehin ist nicht erkennbar, dass nach Erscheinen des Vertreters die Sach- und Rechtslage mit ihm nicht ausreichend erörtert worden ist.
Mit der Ablehnung von PKH entfällt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH( § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 121 Abs 1 ZPO ) .
Fundstellen
Dokument-Index HI16326924 |