Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der vom örtlichen Gutachterausschuss festgestellten Liegenschaftszinssätze nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG nicht verfassungswidrig
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch wenn Liegenschaftszinssätze der Gutachterausschüsse der Kommunen bis zum Streitjahr 2017 weder zeitgleich noch flächendeckend in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stehen und es bei der Ermittlung und Zurverfügungstellung von Liegenschaftszinssätzen durch Städte und Gemeinden erhebliche Vollzugsdefizite gibt, ist die in § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG angeordnete vorrangige Anwendung vorliegender, vom örtlichen Gutachterausschuss zutreffend ermittelter Liegenschaftszinsätze nicht verfassungswidrig. Insbesondere besteht kein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit bzw. keine Verletzung des Gebots der gleichheitsgerechten Ausgestaltung der Wertbemessung; der Steuerpflichtige hat bei Vorliegen eines korrekt ermittelten Liegenschaftszinssatzes nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG auch keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Anwendung eines für ihn günstigeren Liegenschaftszinssatzes nach § 188 Abs. 2 Satz 2 BewG (im Streitfall: in Baden-Württemberg belegenes Grundstück).
2. Die Definition des Liegenschaftszinssatzes in § 188 Abs. 1 BewG entspricht der Definition des Liegenschaftszinssatzes in § 193 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB. Die Liegenschaftszinssätze werden aus der nach § 193 Abs. 5 Satz 1 BauGB vom Gutachterausschuss zu führenden Kaufpreissammlung auf der Grundlage geeigneter Kaufpreise und der ihnen entsprechenden Reinerträge für gleichartig bebaute und genutzte Grundstücke unter Berücksichtigung der Restnutzungsdauer der Gebäude nach den Grundsätzen des Ertragswertverfahrens abgeleitet. Mit dem Liegenschaftszinssatz werden die allgemein vom Grundstücksmarkt erwarteten künftigen Entwicklungen berücksichtigt, insbesondere die Entwicklung der Ertrags- und Wertverhältnisse sowie die Entwicklung der üblichen steuerlichen Rahmenbedingungen.
Normenkette
BewG § 188 Abs. 1, 2 Sätze 1, 2 Nr. 2; BauGB § 192 Abs. 1, § 193 Abs. 5 S. 2 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, welcher Grundbesitzwert für Zwecke der Schenkungsteuer auf den 20. Dezember 2017 für das gemischt genutzte Grundstück in A anzusetzen ist. Im Kern geht es dem Kläger um die Klärung der Frage, ob § 188 Abs. 2 Satz 1 Bewertungsgesetz (BewG) verfassungswidrig ist und deshalb § 188 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BewG zur Anwendung kommt.
Im Wege einer Schenkung aufgrund des notariellen Übergabevertrags vom 20. Dezember 2017 (UR …) hat Herr B. mit Wirkung zum 1. Januar 2018 u.a. seinen hälftigen Miteigentumsanteil am streitgegenständlichen Grundstück im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge auf seine beiden Kinder, den Kläger und dessen Schwester C., zur Mitberechtigung zu gleichen Teilen übertragen.
Der Kläger war in der Folge zu ¼ Miteigentümer des streitgegenständlichen 129 m2 großen Grundstücks in A (Grundbuch der Stadt A, Flst. …), welches mit einem gemischt genutzten Mehrfamilienhaus bebaut ist. Das Grundstück liegt in … A.
Im Rahmen der am 28. August 2018 beim Beklagten eingegangenen Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts auf den 20. Dezember 2017 für Zwecke der Schenkungsteuer im Ertragswertverfahren machte der Kläger folgende Angaben zur Immobilie:
Lage |
Miete (kalt) |
m2 |
Art der Nutzung |
EG |
… EUR |
… |
[gewerbliche Nutzung] |
1. OG |
… EUR |
… |
Wohnung |
2. OG |
… EUR |
… |
Wohnung |
Summe: |
… EUR |
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Den Liegenschaftszinssatz (§ 188 BewG) gab er mit 5,5 % und den Bodenrichtwert mit … EUR/m² an. Als Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit wurde 1999 (Baujahr) angegeben.
Mit Bescheid vom 12. September 2018 setzte der Beklagte den Grundbesitzwert im Ertragswertverfahren in Höhe von … EUR fest. Dem Kläger rechnete er ¼ Anteil zu, d. h. … EUR. Gemäß den Erläuterungen zum Bescheid wurde der maßgebliche Liegenschaftszinssatz entsprechend dem Immobilienmarktbericht 2016 des Gutachterausschusses für die Ermittlung von Grundstückswerten der Stadt A angewandt, d. h. … % (§ 188 Abs. 2 Satz 1 BewG). [Der angewandte Liegenschaftszinssatz nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG war niedriger als der vom Kläger in der Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts angesetzte Liegenschaftszinssatz von 5,5%]. Im Übrigen gab es keine Abweichungen zu der klägerseitig eingereichten Erklärung.
Mit Schreiben vom 14. September 2018 legte der Kläger Einspruch ein. Der Einspruch richtete sich gegen den seitens des Beklagten angewandten Liegenschaftszinssatz. Der Kläger begründete den Einspruch dahingehend, dass erhebliche Zweifel am Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und damit der Verfassungsmäßigkeit des angewandten § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG bestünden. Zwar gebe § 188 Abs. 2 Satz 1 BewG dem Liegenschaftszinssatz eines Gutachterausschusses den Vorrang vor den Werten des § 188 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1-4 BewG,...