Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidung über Umfang des Kindergeldanspruchs ist für den Erstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers bindend
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Anspruch eines Sozialleistungsträgers gegenüber der Familienkasse auf Erstattung von Kindergeld kann zulässigerweise durch allgemeine Leistungsklage im Finanzgerichtsweg geltend gemacht werden.
2. Einer gegenüber dem erstattungsberechtigten Leistungsträger ergangenen bestandskräftigen Entscheidung über Grund und Höhe des Kindergeldanspruchs kommt bindende Wirkung für das Bestehen des Erstattungsanspruchs zu (Tatbestandswirkung). Eine erneute Incidentprüfung der Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs im Rahmen der Leistungsklage ist in diesem Fall ausgeschlossen.
Normenkette
FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1996 § 74 Abs. 5; SGB X § 104 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; BSHG § 2 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger gegen das beklagte Arbeitsamt ein Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes in der bis Ende 1999 geltenden Fassung (EStG 1996) i.V.m. § 104 des Sozialgesetzbuches (SGB) X zusteht.
Der Kindesvater bezog für seine am "X" November 1976 geborene Tochter "W" Kindergeld. Mit Bescheid vom 11. März 1997 gewährte der Kläger "W" ab dem 1. März 1997 monatlich Hilfe zum Lebensunterhalt von 638,00 DM zuzüglich pauschaliertem Wohngeld von 78,00 DM. Am 17. März 1997 machte der Kläger beim Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X mit der Angabe geltend, von ihren Eltern erhalte "W" keinen Unterhalt. Mit an den Kindesvater gerichteten Bescheid vom 29. April 1997 hob der Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für "W" ab Januar 1997 i.H.v. monatlich 350,00 DM wegen Überschreitens der Einkommensgrenze auf. Gegen den Aufhebungsbescheid legte der Kläger am 2. Juni 1997 Einspruch ein. Der Beklagte wies den Einspruch mit Bescheid vom 30. Januar 1998 als unbegründet zurück. Zur Begründung stellte der Beklagte darauf ab, dass grundsätzlich eine Berücksichtigung von "W" bis einschließlich Februar 1997 auf Grund der bis zu diesem Zeitpunkt andauernden Schulausbildung und ab September 1997 auf Grund der Meldung bei der Berufsberatung des Arbeitsamtes "Q" in Betracht komme. Ob zwischenzeitlich eine Arbeitslosmeldung erfolgt sei, könne dahinstehen, da wegen der Höhe der Einkünfte für Januar bis Februar 1997 von monatlich 690,00 DM BAföG, für März bis August 1997 von monatlich 716,00 DM Sozialhilfe und für September bis Dezember 1997 von monatlich 2.460,00 DM Erwerbseinkünften ein Kindergeldanspruch nicht bestehe.
Der Kläger hat am 31. Juli 1998 Klage erhoben. Er begehrt im Wege der Kostenerstattung vom Beklagten die Zahlung von Kindergeld für "W" in Höhe von 2.100,00 DM für die Monate März bis August 1997. Der Anspruch ergebe sich aus § 74 Abs. 5 EStG 1996 i.V.m. § 104 SGB X, wonach ein nachrangig verpflichteter Sozialleistungsträger einen Erstattungsanspruch gegenüber dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger habe. Der nachrangig verpflichtete Sozialleistungsträger könne Erstattungsansprüche innerhalb der Fristen der §§ 111 bis 115 SGB X verfolgen, ohne dass ein Vorverfahren durchlaufen sein müsse. Dies gelte deshalb, weil zwischen vor- und nachrangig verpflichteten Sozialleistungsträgern kein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis bestehe. Die Klage stelle eine allgemeine Leistungsklage dar und sei deshalb nicht wegen Bestandskraft der Einspruchsentscheidung unzulässig.
Für das Kind "W" bestehe im Erstattungszeitraum 1. März bis 31. August 1997 ein Anspruch auf Kindergeld, denn "W" sei nach einer Bestätigung des Arbeitsamtes Karlsruhe vom 26. Februar 1997 ab dem 21. Februar 1997 arbeitslos gemeldet gewesen und habe der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Da die gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt bei der Einkünfteermittlung nicht zu berücksichtigen sei, sei die maßgebliche Einkommensgrenze nicht überschritten.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn im Wege der Kostenerstattung Kindergeld für "W" i.H.v. 2.100,00 DM zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend: Die Klage sei wegen Versäumung der Einspruchsfrist unzulässig. Da die Einspruchsentscheidung nicht fristgerecht angefochten worden sei, sei eine Änderung der mit ihr vorgenommenen Festsetzung nicht mehr möglich. Dies gelte selbst dann, wenn die Entscheidung rechtswidrig gewesen sein sollte, da keine der Korrekturnormen der Abgabenordnung bzw. des Einkommensteuergesetzes anwendbar seien. Eine auf Zahlung gerichtete Leistungsklage sei nur dann zulässig, wenn der Anspruch vorher durch Verwaltungsakt verbindlich festgestellt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 5 EStG 1996 i.V.m. § 104 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 SGB X.
1. Der Rechtsweg zu den Finanzgerichten ist nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gegeben. Für die B...