Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis des wettbewerbsrechtlichen Belästigungsverbots zum europäischen Datenschutzrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen über die Zulässigkeit und Verarbeitung personenbezogener Daten in Gestalt eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals sind nicht als Prüfungsmaßstab bei der Beurteilung eines Verstoßes gegen das wettbewerbsrechtliche Belästigungsverbot heranzuziehen.
2. Art. 13 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58/EG tritt nicht gegenüber der DS-GVO zurück.
3. Einem nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG auszusprechenden Verbot steht die unionsrechtliche Regelung in Anhang I Nr. 26 der UGP-RL nicht entgegen.
Normenkette
DS-GVO Art. 95, 99 Abs. 2; GRCh Art. 16; RL 2002/58/EG Art. 13; UGP-RL Anhang 1 Nr. 26; UWG § 7 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 08.06.2018; Aktenzeichen 37 O 6840/17) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 08.06.2018, Az. 37 O 6840/17, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das landgerichtliche Urteil und dieses Senatsurteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich Ziffer 1. des landgerichtlichen Urteils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 50.000,- abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Hinsichtlich Ziffer 2. des landgerichtlichen Urteils und hinsichtlich der Kosten kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% der zu vollstreckenden Kosten leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Zulässigkeit von Telefonanrufen zu Werbezwecken.
Mit Urteil vom 08.06.2018 hat das Landgericht den Anträgen der Klägerin - welche wie die Beklagte Endverbraucher mit Strom und Gas beliefert - entsprechend die Beklagte verurteilt,
1. es bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken Verbraucher anzurufen und/oder anrufen zu lassen, um ihnen Energiedienstleistungsverträge anzubieten, ohne dass deren vorherige Einwilligung vorliegt,
2. an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von EUR 1.531,90 nebst Zinsen seit dem 30.06.2017 zu zahlen.
Zur Begründung ist im Ersturteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, ausgeführt:
Die Klägerin sei als Mitbewerberin gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktivlegitimiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei sie befugt, die streitgegenständlichen Ansprüche auf Unterlassung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten gerichtlich geltend zu machen. Dem stehe Unionsrecht nicht entgegen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Verbraucherschutzverbände und Mitbewerber ein erhebliches Interesse am Unterbleiben von bei Verbrauchern eingehenden unerwünschten Telefonanrufen hätten.
Hinsichtlich des am 12.09.2016 beim Verbraucher V. von den Mitarbeitern der Beklagten getätigten Werbeanrufs sei keine Verjährung eingetreten, da dieser der Klägerin unstreitig erst am 03.04.2017 zur Kenntnis gebracht worden sei.
Der Unterlassungsanspruch der Klägerin folge aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Die Beklagte habe gegen das in dieser Vorschrift geregelte Belästigungsverbot verstoßen, indem sie die streitgegenständlichen Werbeanrufe getätigt habe, ohne zuvor die Einwilligung der angerufenen Gesprächsteilnehmer einzuholen. Da die Einwilligung vorab zu erteilen sei, sei nicht erheblich, ob der Zeuge K. während des Telefonats zu erkennen gegeben habe, mit der Fortführung des Telefonats nicht einverstanden zu sein. Auch der Zeuge V. habe sein Einverständnis zur Kontaktaufnahme mit der Beklagten nicht erteilt. Die als Anlage B 2 vorgelegte "Optin Bestätigung Datenpool - DZ102" beziehe sich lediglich auf seine Ehefrau Elke V. Die in Richtung auf den Zeugen R. als Anlage B 1 vorgelegte "Optin Bestätigung Datenpool - N1145" reiche für das Vorliegen einer Einverständniserklärung ebenfalls nicht aus.
Eine Vorlage des Rechtsstreits an den EuGH sei nicht veranlasst. Die Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG, wonach Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern generell nur nach vorheriger ausdrücklicher Einwilligung zulässig sei, stehe nach der Rechtsprechung des BGH mit Unionsrecht in Einklang.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die sie wie folgt begründet:
Das Landgericht habe es verabsäumt, die Voraussetzungen der Telefonwerbung zunächst anhand des Datenschutzrechts zu erörtern, da § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG unionsrechtlich in Art. 13 der RL 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation, nachfolgend: EK-DSRL) fundiert sei. Insoweit setze die Anwendbarkeit des Datenschutzrechts gemäß Art. 1 Abs. 1 der EK-DSRL bis einschließlich 24.05.2018, sodann nach der Datenschutzgrundverordnung (VO (EU) 201...