Tz. 35
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Gefährdet die Einziehung der geschuldeten Beträge – dauerhaft – die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Stpfl. kommt ein Erlass aus persönlichen Gründen in Betracht (Erlassbedürftigkeit; zu den Anforderungen an die hinzukommende Erlasswürdigkeit des Stpfl. s. Rz. 40). Notwendige Voraussetzung ist, dass die wirtschaftliche Notlage des Stpfl. – mag sie auch unverschuldet sein – durch die Steuerfestsetzung selbst verursacht sein muss (BFH v. 24.11.1988, V R 186/83, BFH/NV 1989, 419; BFH v. 28.09.2006, V B 71/05, juris). Sind die Zahlungsschwierigkeiten demgegenüber nur vorübergehender Natur, scheidet ein Erlass aus, denn für diese Fälle hält die AO andere Maßnahmen bereit, etwa Stundung gem. § 222 AO oder Vollstreckungsaufschub gem. § 258 AO (s. BFH v. 14.01.2002, XI B 146/00, AO-StB 2002, 215). Gefährdet ist die persönliche Existenz des Stpfl., wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht bestritten werden kann (BFH v. 26.10.2011, VII R 50/10, BFH/NV 2012, 552). Darunter fallen Aufwendungen für Nahrung, Kleidung, Wohnung, für ärztliche Behandlung, für den Hausrat und sonst erforderliche Dinge des täglichen Lebens, aber auch Aufwendungen für die gegenüber dem Stpfl. unterhaltsberechtigten Angehörigen. Die wirtschaftliche Existenz ist gefährdet, wenn der Stpfl. Gefahr läuft, seine Erwerbstätigkeit einstellen zu müssen, z. B. seinen Betrieb.
Tz. 36
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für die Beurteilung der Erlassbedürftigkeit sind neben der Ertragslage verfügbare Vermögenswerte zu berücksichtigen. Trotz verfügbarer Vermögenswerte (z. B. Hausgrundstück; s. aber zur Aufgabe des selbst bewohnten Hauses BFH v. 19.12.2003, VI B 95/00, BFH/NV 2004, 466) kann ein Billigkeitserlass allerdings in Betracht kommen, wenn anders die Altersversorgung nicht gesichert ist (BFH v. 27.05.1987, X R 41/81, BFH/NV 1987, 691). Ebenso wenig kann ein Erlass mit der Begründung abgelehnt werden, dem Stpfl. verbleibe im Fall der Vollstreckung noch das unpfändbare Lohneinkommen zum Lebensunterhalt (§§ 850ff. ZPO), denn die Lohnpfändungsvorschriften gewährleisten nur ein Existenzminimum. Im Billigkeitsverfahren ist indes zu beurteilen, ob der lebensnotwendige Unterhalt i. S. einer angemessenen, d. h. zwar bescheidenen aber nicht ärmlichen Lebensführung gefährdet ist (BFH v. 10.03.1987, VII B 169/85, BFH/NV 1988, 71; Loose in Tipke/Kruse, § 227 AO Rz. 92). Nach Auffassung des BFH muss der Stpfl. in der Lage bleiben, eine Versicherung über sofort fällige Leibrentenbezüge gegen eine Einmalprämie in einer Höhe abzuschließen, die ihm eine bescheidene Lebensführung ermöglicht (BFH v. 29.04.1981, IV R 23/78, BStBl II 1981, 726; BFH v. 26.02.1987, IV R 298/84, BStBl II 1987, 612).
Tz. 37
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ist der Stpfl. verheiratet, müssen im Falle des Zusammenlebens der Ehegatten auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Ehegatten berücksichtigt werden (BFH v. 31.03.1982, I B 97/81, BStBl II 1982, 530), denn die Frage der Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts kann nicht ohne Berücksichtigung der Grundsätze des Familienunterhaltsrechts beurteilt werden (BFH v. 26.10.2011, VII R 50/10, BFH/NV 2012, 552).
Tz. 38
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Allerdings muss sich der Billigkeitserlass auf die wirtschaftliche Situation des Stpfl. noch auswirken können (BFH v. 31.01.2002, VII B 312/00, BFH/NV 2002, 889; BFH v. 27.04.2001, XI S 8/01, BFH/NV 2001, 1362; BFH v. 07.07.1999, X R 87/96, BFH/NV 2000, 2). Stehen vollstreckungsrechtliche Schutzvorschriften einer Beitreibung entgegen, hätte ein Erlass für den Stpfl. keine Auswirkung, es sein denn die Steuerrückstände hindern den Stpfl. daran, eine neue Erwerbstätigkeit zu beginnen und sich so eine eigene, von Sozialhilfeleistungen unabhängige wirtschaftliche Existenz aufzubauen (BFH v. 27.09.2001, X R 134/98, BStBl II 2002, 176). Käme ein Erlass ausschließlich anderen Gläubigern durch Verbesserung ihrer Vollstreckungssituation zugute, scheidet ein Erlass aus (BFH v. 12.05.2003, V B 252/02, BFH/NV 2003, 1285).
Tz. 39
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Auch Gegenstand und Zweck der Steuer, um deren Einziehung es sich handelt, können für die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall eine unbillige Härte anerkannt werden kann, von wesentlicher Bedeutung sein. Im Bereich der Verkehrs- und Verbrauchsteuern können Billigkeitsmaßnahmen regelmäßig nur unter besonders gelagerten außergewöhnlichen Umständen in Betracht kommen, da sie unabhängig von der individuellen Leistungsfähigkeit erhoben werden (BFH v. 22.04.1975, VII R 54/72, BStBl II 1975, 727). Bei der Grunderwerbsteuer kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich diese kalkulatorisch als Teil des Kaufpreises darstellt, sodass grundsätzlich ein Erlass auf eine staatliche Mitfinanzierung des Grundstückskaufs hinauslaufen würde.
Tz. 40
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Erlasswürdigkeit ist anzunehmen, es sein denn der Stpfl. hat in eindeutiger Weise gege...